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Heidelberger Familienblätter — 1862

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Nr. 104 - Nr. 115 (3. September - 28. September)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Nr. 111. Freitag, den 19. September 1862.

Die myſteriöſe Schriftt
ö oder

Ein räthſelhaftes Verbrechen.
Amerkaniſche Criminal-Novelle. Nach dem Engliſchen des H. L. Longford.

(Fortſetzung.)
Der Richter ſtand wie angewurzelt, mit ganzem Herzen dem kühnen
Waghals folgend, der ſein Leben für die Rettung ſeines Kindes einſetzte.
Kühn und kräftig hielt Cyrill die Richtung nach dem Boote inne.
Aber in einer ſolchen See konnte ſelbſt der raſcheſte Schwimmer nur auf
ein langſames Vorrücken hoffen. Bald auf den Gipfel einer ungeheuren
Woge gehoben, bald in den tiefen Abgrund der ungeſtümen Fluthen ver-
ſinkend, erſchien und verſchwand er, bis die Spannung den ſchweigenden
Zuſchauern faſt unerträglich wurde. Der Schwimmer indeß verfolgte ſein
Ziel, anſcheinend ohne Erſchlaffung ſeiner Kräfte oder ſeines Entſchluſſes,
das Auge feſt auf das Boot vor ihm gerichtet, wie es ſich mit den Wel-
len hob oder ſank.
Noch hielt Leila ſich feſt, das bleiche Antlitz flehend gegen das Ufer
gewandt. Sie wußte nicht, daß Hülfe ſich nähere, ſie dachte nicht an
den ſtarken Schwimmer, der ihr Beiſtand und Rettung brachte.
Wind und Strömung waren beide ſtark, und während ſie das Wei-
terkommen Cyrill's erſchwerten, unterſtützten ſie doch ſeine Anſtrengungen
in ſo fern, daß ſie ihm mit jeder Minute den Gegenſtand ſeines Zieles
näher zubrachten. Nach und nach verminderte ſich die Entfernung
zwiſchen ihnen, nach und nach kam die Rettung näher. Nur wenige Ellen
fehlten noch; ein paar Armſchläge nur, und er hatte das Boot erreicht.
Zuletzt wurde er von einer ungeheuren Welle erfaßt und ſo hoch gehoben,
daß die nach Hülfe vom Ufer her ausſchauenden Augen des Mädchens
auf ihn fielen. Ein Sprung, ein Untertauchen, und Cyrill war an ihrer
Seite, hatte ſie mit ſtarkem Arme umfaßt, und flüſterte ihr Worte der
Hoffnung, des Lebens, der Rettung zu.
Ein wilder Schrei der Verwunderung und der Freude, und ihre
Kraft verließ. ſie. Sie hing beſinnungslos in ſeinen Armen. Er drückte
die theurz Bürde an ſein Herz, und mit der einen Hand das Boot er-
faſſend, hielt er ſie mit der andern aus dem Waſſer empor.
Aber jetzt waren andere Arme zu ihrer Hülfe da. Als Cyrill das
Boot erreichte, brach ein wildes Freudengeſchrei aus dem Zuſchauerkreiſe
hervor. Das Seil ergreifend, welches Cyrill mitgenommen, begannen ſie
aus Leibeskräften daſſelbe ans Ufer zu ziehen.
Das Boot fügte ſich ihren Anſtrengungen und näherte ſich raſch.
Cyrill hielt ſich feſt an demſelben, aber mehr noch war er bemüht, die
theure Geſtalt derjenigen, die er kaum erſt der Wuth der Elemente ent-
riſſen, gegen die zuͤrnenden Wogen zu ſchützen.
 
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