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Heidelberger Familienblätter — 1863

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Nr. 76 - Nr. 89 (1. Juli - 31. Juli)
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Heidelberger Familienblätter.

Nr. 76. Mittwoch, den 1. Juli 1863.

Die Braut des Blinden. —
Eine Erzählung aus dem ſebzehnten Jahrhundert. Von J. Krieger.

Cortſetzung. 0

„Ja, mein theurer Freund!“ ö
„Wenn es wirklich dahinkäme,“ fuhr Bannieri fort,‚ „ot würden die
Engel Euer künftiges Lebensloos beweinen! denn noch einmal rufe ich
Euch zu: Leonore liebt nur Euren Reichthum, die körperlichen Vorzüge,
die Euch die gütige Natur geſchenkt. Um den Werth Eures Herzens
kümmert ſie ſich nicht. Wüßte ſie auch, daß Eure Seele ein übertünchtes
Grab wäre, ſie würde Euch dennoch die Hand reichen. Und gleich ihr,
denkt und fühlt auch der Vater.“
„Ihr thut Beiden ſchweres Unrecht, Doetor!“ rief Henri unwillig.
„Nein, nein, ſagte Bannieri heftig. „Ich nenne den Vater einen
Tochter der Euch nie geliebt hat, auch niemals lieben wird, und die
ochter —“
„Schweigt! Ich will, ich darf das nicht hören.“
„Ihr müßt. Der Wahrheit dürft Ihr Euer Ohr nicht verſchiehen,
und wenn es Euch auch das Herz zerreißen ſollte. Schon in der erſten
Stunde, wo ich mit Eurem Vormunde zuſammentraf und ihm von der
Möglichkeit einer Heilung für Euch ſprach, las ich Verrath und böſe
Tücke in ſeinen gleißneriſchen Mienen. Wäre es in ſeiner Macht ge-
weſen, meine Kunſt unwirkſam zu machen, ohne ſich ſelbſt zu verderben,
beim Himmel, er würde keine Sekunde gezögert haben. Da er aber das
nicht im Stande war, ſo entwarf er mit der Liſt eines Teufels jenen
Plan, der Euch zu dem Selaven ſeiner Tochter machte.“
„Ihr täuſcht Euch, Herr, Ihr täuſcht Euch!“
„Nein, ich habe Gewißheit. Euer Vormund hat nicht ehrlich gegen
Euch gehandelt. Seht, ich könnte Euch nur ein Wort in die Ohren
raunen und Ihr würdet mit Schaudern vor der Verbindung mit Leonoren
von Montagne zurückbeben.“
„Sprecht dieſes Wort aus l/ rief Henri heftig. „Ich will Ueber-
zeugung!“
„Ich darf es nicht, „Iagte Bannieri ruhig. „Es haͤngt der Herzens-
frieden, die Ehre eines Menſchen, der mir theuer iſt, an dieſem einen
Worte. Aber die Ueberzeugung, daß Ihr betrogen ſeid, will ich Euch
verſchaffen. Noch ehe der Prieſter Euch vermählt, ſoll Euch Klarheit
werden. Es gilt eine Prüfung, Herr Graf. Wird der Graf von Mon-
tagne und das Mädchen, das Ihr Braut nennt, ſie beſtehen, dann mögt
Ihr mich einen Lügner, einen Verläumder ſchelten. ö
Henri erblaßte, als er die letzten Worte vernahm.
VUnd worin ſo oll dieſe Prüfung beſtehen ?“ fragte er mit ziternder Stimme.
 
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