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Heidelberger Familienblätter — 1864

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No. 130 - No. 142 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43185#0525

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Heidelberger Familirnblätter.

131. Freitag, den 4. Nopember 1864.

Ein Stüttchen Papier.

Novelle nach Criminalacten erzählt von Ernſt Fritze.

Fünftes Capitel.
Fortſ etzung.

„Ich bin bereit, mein Herr!“ ſprach ſie dann kurz. Eine wunder-
bare Hoheit ſtrahlte aus ihren Augen. Sie trug ein Ungemach für ein
Weſen, das ſchwächer war als ſie, und das ſie liebte! Sie bewies jetzt
ihre tiefe, herzliche Liebe für Selma! Ein Wort hätte ſie von dem Ver-
dachte befreit. Hätte ſie, geſagt: „Nicht ich, ſondern Selma von Büren
hatte den verhängnißvollen Auftritt am Vorabende unſerer Abrei ſe, der bis
zum lauten Zank ausartete, nicht meine Stimme, ſondern die Stimme der
ſonſt ſanft ſprechenden Selma durchdrang die Stille der Nacht und wurde
von außen gehört,“ ſo blieb ſie ganz außerhalb der Unterſuchung und der
Argwohn lenkte ſich auf Selma! Sie gewann es über ſich, zu ſchweigen!
Sie mußte ſchweigen, um Selma's Glück zu erhalten. Nie würde Jdachim
von Thorhöfel, der überſpannt feinfühlende Mann, der lieber ſeinem gänz-
lichen Man entgegen ging, als daß er nach Ausflüchten geſucht, um ſein
Wort, ſein Ehrenwort zu umgehen, nie würde dieſer Mann einem Mädchen
die Hand gereicht haben, das verdächtigt — wenn auch unſchuldig verdächtigt
— geweſen war. Sie fühlte, daß ſie ſchweigen mußte, bis zu dem Momente,
wo ſie des Zeugniſſes von Selma benöthigt war und ſie hoffte, daß ihre
Unſchuld, auch ohne dies Zeugniß, glänzend dargethan werden würde.
Armes, bethörtes Weſen, Du kannteſt die erdrückende Gewalt der
Zeugen⸗ und Beweiseide nicht, Du ahnteſt nichts von der Wucht des
Volksurtheiles, das, zuerſt nur eingeſchüchtert und auf falſche Fährten
geleitet, nach und nach zum Glauben ſich ausbildet, der beſchworen wird
zum Verderben eines Unglücklichen. Nicht gegen Bosheit allein hatte Anna
Marie zu kämpfen, nein auch gegen die Dummheit, die, der Furcht gewohnt, ö
ſich lenken läßt.
Mittlerweile hatte der Kriminalrath Skatten ſein Protokoll vervoll-
ſtändigt, Ialhe Briefe Anna Mariens, die ſie von Solkau aus ge-
ſchrieben, in Beſch lag genommen und ſeinen⸗ Actuar nach einem Wagen ge-
ſendet, worin er mit Anna Marie Platz nahm. Ohne Klage ſchied das junge
Mädchen vom Vater, der ſeine ſonſtige Haltung ganz eingebüßt hatte. Mit
Ruhe und Beſonnenheit, alles Aufſehen vermeidend, verließ ſie das elterliche
Haus, von dem Segen der Mutter begleitet. Sie fuhr dahin, wohin ſelten
eine ſo vollkommen reine Seele gebracht wird, wie die ihrige, aber ſie zeigte
ſich muthig dem Kampfe des Verhängniſſes gegenüber!
Als Anna Marie fort war, faßte der Major unſicher an ſeine Stirn,
als wolle er ſich von ſeinem eigenen Leben überzeugen und flüſterte un-
 
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