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Heidelberger Familienblätter — 1865

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No. 26 - No. 39 (1. März - 31. März)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43186#0157

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Heidelberger Familienblätter.

M 39.rꝛeitag, den 31. Mirz 1865.

Wollen iſt Können.

Siebentes Kapitel.

„O nein, beſte Mama, das ſteht nicht zu fürchten; er wird ſich ſchon
zu tröſten wiſſen, entgegnete Julie, während ein Ausdruck unnennbaren
Schmerzes über ihr Antlitz glitt.
„So ſagſt du mit deinem eiskalten Herzen; ich aber, die ich Alfred
kenne, die ich weiß, wie innig er dich geliebt hat, ich habe meine Gedanken
für mich. Gott gebe nur, daß meine Ahnungen nicht in Erfüllung gehen!-
ſagte die Oberſtin ſeufzend. ö
Julie fuhr in ihrer Arbeit fort und ſchwieg.
Ein Diener meldete, daß die Majorin Stal mit hren Töchtern einen
Beſuch abzuſtatten wün ſchte. Eine Stunde ſpäter finden wir die Gäſte an
dem behaglichen Theetiſch verſammelt.
Die Majorin Stal war eine der reichhaltigſten lebenden Plauder-
chroniken der Stadt. Ereignete ſich irgendwo ein Skandal, ſo wußte ſie
es aus erſter Hand. Lebte ein Ehepaar in Unfrieden, ſo war die Majorin
die, welche von den häuslichen Stürmen die genaueſte Kenntniß hatte. Alle
neuen Verhältniſſe waren Ahr bekannt. Kaum hatte ein Mädchen ihrem
Geliebten das ſchüchterne Ja zugeflüſtert und der Vater ſeine Einwilligung
gegeben, ſo war die Majorin auch ſchon von der Sache unterrichtet, ehe
noch die Verlobung bekannt gemacht ward.
Kurz, ſie wußte Alles. An ſie wendete ſich ein Jeder, welcher über
die Angelegenheiten ſeines Nächſten aufgeklärt ſein wollte.
Während ſie jetzt den dampfenden Thee ſchlürfte und die trefflichen
Zwiebacke pries, ſagte ſie:
„Nun, Frau Oberſtin, Sie wiſſen wohl ſchon, was für eine Verlobung
in einigen Tagen ſtattfinden wird?“
„Sie meinen wohl die Karoline Sveden's, Frau Majorin?“
„O nein; es iſt aber möglich, daß. der Lieutenant nicht Zeit gehabt
hat, davon zu ſprechen. Ich war übrigens an demſelben Tage dort, wo
er ſeine Bewerbung um das Madchen anbrachte.“
„Von wem ſprechen Sie, Frau Majorin?“ fragte die Oberſtin, und
auf ihrem Antlitz glühte eine dunkle Röthe.
Juliens Hand zitterte ſo, daß ſie kaum die Nadel zu führen vermochte.
„Wovon ſollte ich anders ſprechen als von der Bewerbung des Lieu-
tenant Strale um Elin Ling? Ich dachte, er hätte es ſelbſt erzählt, denn
ging am Mittwoch, wenn ich mich nicht ganz irre, von Zollverwalters
ierher.“
„Da ſind Sie wohl nicht recht unterrichtet, Frau Majorin“, ſagte die
Oberſtin in etwas ſcharfem Ton und betrachtete ihre Tochter, welche bleich
und kalt da ſaß wie eine Marmorbildſäule.
„O doch wohl“, fuhr die Majorin fort. „Ich war an jenem Tage
bei Frau Ling zu Kaffee. Gegen die Theezeit kamen der Lieutenant und
der Zollverwalter zu uns herunter. Während Emerentia ſang, hörte ich
 
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