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Heidelberger Familienblätter — 1865

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No. 40 - No. 52 (2. April - 30. April)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43186#0161

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Heidelberger Familienblätter.

W. 40. Sonntag, den 2. April 1865.

Wollen iſt Können.

Siebentes Kapitel.

„Nun, und was antwortete der Zollverwalter?“ fragte die Oberſtin
und ward blutroth im Geſicht,
„Er ſagte, der Lieutenant ſei ſoeben oben bei ihm geweſen und habe
um Elin's Hand angehalten. Die Sache ſei ſo gut wie abgemacht, dafern
nicht Elin ſelbſt etwas Rceden einzuwenden hätte.
„Und das iſt ſicherlich nicht der Fall“, fel Fräulein Emerentia Stal
ein. „Elin ſagte mir im Vertrauen, der Lieutenant gefiele ihr ſehr, und
ihre Verlobung mit ihm werde baldigſt gefeiert werden.“
„Na, ſie hat ſich auch keine Mühe verdrießen laſſen, ihn zu angeln“,
meinte Fräulein Malvine Stal, ein Mädchen von unbeſtimmtem Alter,
welches Anſpruch darauf machte, noch ſehr jung und ausgezeichnet ſchön
zu ſein. Dabei hegte ſie unauslöſch lichen Neid gegen alle jungen, ſchönen
und Eebne Mädchen, welche im Begriff f ſtanden, ſich zu verhei-
rathen. Sie ſelbſt hatte nach ſowohl jungen als alten Bewerbern geſchmachtet
und ſich ſo vielmal verliebt, daß ſie die Gegenſtände ihrer Neigung nicht
mehr zählen konnte. Alles dies aber war gleichwohl ohne Erfolg geweſen,
denn man hatte niemals von einem wirklichen Freier gehört. Jetzt ſtand.
ſie in dem Alter, wo eine Dame, welche heirathen will, lieber ſterben würde
als ſagen, in welchem Jahre ſie geboren iſt.
„Uebrigens“, ſetzte Malvine mit verächtlichem Lächeln hinzu, „Lann
man wohl annehmen, daß Elin in ihrem ganzen Leben keinen Mann be-
käme, wenn ſie kein Geld hätte, was natürlich viele Mängel zudeckt. Sie
iſt weder ſchön, noch gut, noch liebenswürdig.“
„Da haben Sie wohl nicht ganz recht, Fräulein Stal“, ſagte Julie
mit ſo unnatürlich ruhiger und klangvoller Stimme, daß dieſelbe einen
eigenthümlichen Ausdruck bekam. „Elin Ling iſt nicht blos ein ſchönes,
ſondern auch ein gutes und liebe nswürdiges Mädchen, welches ganz gewiß
nicht unvermählt bliebe, auch wenn ſie noch ſo arm wäre. Ueberdies glaube
ich nicht, daß Alfred nach Geld heirathet.“
„Na, ein Millionär, der den Reichthum verachten kann, iſt er doch
auch nicht“, meinte Malvine, indem ſie den Kopf emporwarf.
Die Oberſtin ſtrickte ſo fleißig daß ſie eine Maſche nach der andern
fallen ließ.
„Aber merkwürdig bleibt es doch, daß der Lieutenant hier, wo er wie
das Kind im Hauſe iſt, nichts erzählt hat“, ſagte die Majorin, indem ſie
einen eigenthümlichen, lauernden Blick auf die Oberſtin heftete.
„Ich war nicht zu Hauſe, als Alfred uns am letzten Mittwoch beſuchte“,
autwortete letztere und brachte das Gapräc auf etwas Anderes.
Nachdem man ein leichtes Abendbrod eingenommen, nahmen die Gäſte
Abſchied.
Mutter und Tochter waren nun allein.
 
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