Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M10.
Mittwoch, den 4. Februar.
Tagebuch⸗Blätter
von Gerhard Rohlfs niedergeſchrieben
auf ſeinem Wege zur Tibyſchen Wüſte.
Schluß.
Heute Morgen waren wir um 10½ Uhr zum Vice-
Könige befohlen. Wir holten Herrn v Jasmund ab.
Der Vice-König reſidirt in einem neuen Palais im neuen
Stadttheil Ismaelia. Nach wenigen Vorſtellungen, die
zwiſchen Ali Paſcha, dem Ceremonienmeiſter und dann
einem anderen, der der Großſiegelbewahrer iſt, ſtatt fan-
den, führte man uns die Treppe hinauf, wo wir oben
vom Vice⸗König empfangen wurden. Aus dem großen
Saale führte er uns in ein kleines Zimmer. Die Unter-
haltung drehte ſich natürlich nur um die Expedition.
Zuerſt aber, nachdem wir vorgeſtellt, hielt Herr v. Jas-
mund einen kleinen speech, worin er dem Vice⸗Konig
dankte für das, was er für die wiſſenſchaftliche Expedi-
tion gethan. Dann erwiderte der Vice⸗König, wie glück-
lich er zich ſchätze, mit ſolchen Leuten eine ſolche Expedi-
tion organiſiren zu können, und dann ſtattete ich meine
Grüße ab und dankte ihm Namen des Kaiſers und Kö-
nigs. Als ich dies ſagte, erhob ſich der Chedive von
ſeinem Platze, aus Ehrfurcht vor dem Namen Sr. Maje-
ſtät und Sr. Königlichen Hoheit.
Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte
/. Stunden) über die Expedition und hierbei bek lagte
ſich der Vice⸗König bitter über Bakers Expedition, der
unnütz Menſchenblut vergoſſen und für Abſchaffung des
Sklavenhandels nichts gethan habe. Dieſe vom Vice-
Könige geſprochenen Worte bekräftigen alſo in der That,
daß Sir Samuel gar nichts erreicht hat, daß ſeine Ex-
pedition vielmehr nur unheilvoll wirkte. Ich begriff nun
auch, warum die ägyptiſche Regierung meiner Erpedition
ſo wenig officielleu Charakter wie möglich geben will.
Der Vice⸗König, 1830 geboren, alſo jetzt 43 Jahre-
alt, hat eine gedrungene Geſtalt, ein ſympathiſches Ge-
ſicht, freundliche Augen, im Ganzen ein ſehr inteltgentes
Aeußere. Jedenfalls nach ſeiner Phyſiognomie zu ſchlie-
ßen, ein Mann, der mehr liebt, das Gute zu thun, als
das WMoe
3 wir uns verabſchiedet hatten, begab i ich mi
v. Jasmund zu ſinem mige Puntte we-
gen des Dampfers, der Kameele ꝛc.
und zu Papier zu bringen. ö
Darüber war es Mittag geworden. Nach Tiſche kam Jas-
mund, mich abzuholen zu einem Beſuche bei Huſſein Paſcha,
dem zweiten Sohne des Vice⸗Königs, der den öffentlichen Ar-
beiten vorſteht. Es handelte ſich nämlich darum, die
Papiere bezüglich des Nivellements der Eiſenbahnſtrecke
von Siut zu bekommen, damit wir bei unſerem Vorgehen
von dieſem Punkte eine beſtimmte Baſis haben. Huſſein
wohnt auf Kasbah und im ſelben Palais oder Harem
in welchem der große Mehemed Ali ſein Leben ausge-
näher zu präciſiren
Hotel um noch einige Punkte we-
haucht hat. Ein großartiges Gebäude von coloſſalen
Dimenſionen, deſſen Bel⸗Etage ein immenſes Kreuz bil-
det, derart, daß 1 das Audienzzimmer, 2 den Saal und
14. 3
3 3 3 noch andere Zimmer umfaſſen. Wie im chedivi-
ſchen Palaſte, war auch hier Alles auf's Geſchmackvollſte
auf's Reichſte und ohne Ueberladung decorirt. Aber die
Kasbah hat nicht nur dieſen einen Palaſt, ſondern es
iſt das ein Complex von Forts, Schlöſſern und Mo-
ſcheen. Da iſt z. B. das Palais, in dem der Vice-König
die Beiramsfeſtlichkeiten abhält, da iſt vor Allem die
ganz aus Alabaſter oder beſſer geſagt aus ägyptiſchem
Marmor erbaute Moſchee Mehemed's Ali.
Mögen nun auch die Architekten ſagen, was ſie wol-
len, mögen ſie behaupten, dieſe Bauten zeigen keinen be-
ſtimmten Stil, mögen ſie glauben, die Minarets ſeien
im Verhältniß zu ihrer bedeutenden Höhe zu dünn oder
zu wenig umfangreich, es ſteht feſt, daß gerade dieſe
Moſchee eine der Hauptzierden Kairo's iſt, daß man
ohne ſie ſich Kairo nicht mehr vorſtellen könnte. Und
in ihren einzelnen Theilen, wie im Ganzen kann man
ſie nur ſchön nennen, im Innern wie im Aeußern. Nur
der häßliche Uhrthurm auf der Weſtfagade des Hofes,
aus Holz erbaut, paß nicht zum Enſemble. — Wir be-
ſuchten natürlich auch das Innere, uns wurden die obli-
gaten Schuhe übergezogen, aber ich merkte einen Fort-
ſchritt, ſie waren nicht, wie früher, aus Stroh, ſondern
aus Tuch und wurden feſtgebunden durch Bänder.
Eine ſtark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt
und geſagt, es ſei das der Ort, wo eventuell der tür-
kiſche Sultan ſeinen Sitz nehme; dies ſcheint mir proble-
matiſch, ich glaube vielmehr, es iſt eine Einrichtung für
den Harem.
Nachdem wir dann die unvergleichlich ſchöne Ausſicht
von dem Punkte aus genoſſen hatten, wo beim Maſſacre
der Mameluken einer derſelben ſich durch einen kühnen
Sprung in die Tiefe gerettet haben ſoll, ein Punkt, von
welchem aus man die Stadt, die Gräder der Chalifen,
das rothe Gebirge (Gebel ahmer) das Mokhatan⸗Ge-
birge, die Pyramiden, den Nil, ein großes Stück des
üppigen Nil⸗Delta und die unendliche Sahara überblickt
ein Punkt, von dem aus man das vollkommenſte Bild
über Aegypten gewinut, wo man den Charakter dieſes
Landes mit einem Blick überſchanen kann — nachdem
wir dies in uns aufgenommen, ſtiegen wir zur Haſſan
Moſchee, am Fuße der Kasbah gelegen, hinab. ö
Die Haſſan-Moſchee gilt überall als die ſchönſte
Moſchee von Kairo und doch keineswegs mit Recht.
Die Großartigkeit der Steinmauern beſtreite ich nicht,
aber die ſchon zugeſchnittenen Quadern wurden von den
Pyramiden entnommen. Die Zartheit, das Kühne des
Tropfſteingewölbes, das Unglaubliche der Stalactiten—⸗
Kuppeln, gebe ich gern zu, aber das Material dazu iſt
M10.
Mittwoch, den 4. Februar.
Tagebuch⸗Blätter
von Gerhard Rohlfs niedergeſchrieben
auf ſeinem Wege zur Tibyſchen Wüſte.
Schluß.
Heute Morgen waren wir um 10½ Uhr zum Vice-
Könige befohlen. Wir holten Herrn v Jasmund ab.
Der Vice-König reſidirt in einem neuen Palais im neuen
Stadttheil Ismaelia. Nach wenigen Vorſtellungen, die
zwiſchen Ali Paſcha, dem Ceremonienmeiſter und dann
einem anderen, der der Großſiegelbewahrer iſt, ſtatt fan-
den, führte man uns die Treppe hinauf, wo wir oben
vom Vice⸗König empfangen wurden. Aus dem großen
Saale führte er uns in ein kleines Zimmer. Die Unter-
haltung drehte ſich natürlich nur um die Expedition.
Zuerſt aber, nachdem wir vorgeſtellt, hielt Herr v. Jas-
mund einen kleinen speech, worin er dem Vice⸗Konig
dankte für das, was er für die wiſſenſchaftliche Expedi-
tion gethan. Dann erwiderte der Vice⸗König, wie glück-
lich er zich ſchätze, mit ſolchen Leuten eine ſolche Expedi-
tion organiſiren zu können, und dann ſtattete ich meine
Grüße ab und dankte ihm Namen des Kaiſers und Kö-
nigs. Als ich dies ſagte, erhob ſich der Chedive von
ſeinem Platze, aus Ehrfurcht vor dem Namen Sr. Maje-
ſtät und Sr. Königlichen Hoheit.
Hierauf war lange Unterhaltung (die Audienz dauerte
/. Stunden) über die Expedition und hierbei bek lagte
ſich der Vice⸗König bitter über Bakers Expedition, der
unnütz Menſchenblut vergoſſen und für Abſchaffung des
Sklavenhandels nichts gethan habe. Dieſe vom Vice-
Könige geſprochenen Worte bekräftigen alſo in der That,
daß Sir Samuel gar nichts erreicht hat, daß ſeine Ex-
pedition vielmehr nur unheilvoll wirkte. Ich begriff nun
auch, warum die ägyptiſche Regierung meiner Erpedition
ſo wenig officielleu Charakter wie möglich geben will.
Der Vice⸗König, 1830 geboren, alſo jetzt 43 Jahre-
alt, hat eine gedrungene Geſtalt, ein ſympathiſches Ge-
ſicht, freundliche Augen, im Ganzen ein ſehr inteltgentes
Aeußere. Jedenfalls nach ſeiner Phyſiognomie zu ſchlie-
ßen, ein Mann, der mehr liebt, das Gute zu thun, als
das WMoe
3 wir uns verabſchiedet hatten, begab i ich mi
v. Jasmund zu ſinem mige Puntte we-
gen des Dampfers, der Kameele ꝛc.
und zu Papier zu bringen. ö
Darüber war es Mittag geworden. Nach Tiſche kam Jas-
mund, mich abzuholen zu einem Beſuche bei Huſſein Paſcha,
dem zweiten Sohne des Vice⸗Königs, der den öffentlichen Ar-
beiten vorſteht. Es handelte ſich nämlich darum, die
Papiere bezüglich des Nivellements der Eiſenbahnſtrecke
von Siut zu bekommen, damit wir bei unſerem Vorgehen
von dieſem Punkte eine beſtimmte Baſis haben. Huſſein
wohnt auf Kasbah und im ſelben Palais oder Harem
in welchem der große Mehemed Ali ſein Leben ausge-
näher zu präciſiren
Hotel um noch einige Punkte we-
haucht hat. Ein großartiges Gebäude von coloſſalen
Dimenſionen, deſſen Bel⸗Etage ein immenſes Kreuz bil-
det, derart, daß 1 das Audienzzimmer, 2 den Saal und
14. 3
3 3 3 noch andere Zimmer umfaſſen. Wie im chedivi-
ſchen Palaſte, war auch hier Alles auf's Geſchmackvollſte
auf's Reichſte und ohne Ueberladung decorirt. Aber die
Kasbah hat nicht nur dieſen einen Palaſt, ſondern es
iſt das ein Complex von Forts, Schlöſſern und Mo-
ſcheen. Da iſt z. B. das Palais, in dem der Vice-König
die Beiramsfeſtlichkeiten abhält, da iſt vor Allem die
ganz aus Alabaſter oder beſſer geſagt aus ägyptiſchem
Marmor erbaute Moſchee Mehemed's Ali.
Mögen nun auch die Architekten ſagen, was ſie wol-
len, mögen ſie behaupten, dieſe Bauten zeigen keinen be-
ſtimmten Stil, mögen ſie glauben, die Minarets ſeien
im Verhältniß zu ihrer bedeutenden Höhe zu dünn oder
zu wenig umfangreich, es ſteht feſt, daß gerade dieſe
Moſchee eine der Hauptzierden Kairo's iſt, daß man
ohne ſie ſich Kairo nicht mehr vorſtellen könnte. Und
in ihren einzelnen Theilen, wie im Ganzen kann man
ſie nur ſchön nennen, im Innern wie im Aeußern. Nur
der häßliche Uhrthurm auf der Weſtfagade des Hofes,
aus Holz erbaut, paß nicht zum Enſemble. — Wir be-
ſuchten natürlich auch das Innere, uns wurden die obli-
gaten Schuhe übergezogen, aber ich merkte einen Fort-
ſchritt, ſie waren nicht, wie früher, aus Stroh, ſondern
aus Tuch und wurden feſtgebunden durch Bänder.
Eine ſtark vergitterte Abtheilung wurde mir gezeigt
und geſagt, es ſei das der Ort, wo eventuell der tür-
kiſche Sultan ſeinen Sitz nehme; dies ſcheint mir proble-
matiſch, ich glaube vielmehr, es iſt eine Einrichtung für
den Harem.
Nachdem wir dann die unvergleichlich ſchöne Ausſicht
von dem Punkte aus genoſſen hatten, wo beim Maſſacre
der Mameluken einer derſelben ſich durch einen kühnen
Sprung in die Tiefe gerettet haben ſoll, ein Punkt, von
welchem aus man die Stadt, die Gräder der Chalifen,
das rothe Gebirge (Gebel ahmer) das Mokhatan⸗Ge-
birge, die Pyramiden, den Nil, ein großes Stück des
üppigen Nil⸗Delta und die unendliche Sahara überblickt
ein Punkt, von dem aus man das vollkommenſte Bild
über Aegypten gewinut, wo man den Charakter dieſes
Landes mit einem Blick überſchanen kann — nachdem
wir dies in uns aufgenommen, ſtiegen wir zur Haſſan
Moſchee, am Fuße der Kasbah gelegen, hinab. ö
Die Haſſan-Moſchee gilt überall als die ſchönſte
Moſchee von Kairo und doch keineswegs mit Recht.
Die Großartigkeit der Steinmauern beſtreite ich nicht,
aber die ſchon zugeſchnittenen Quadern wurden von den
Pyramiden entnommen. Die Zartheit, das Kühne des
Tropfſteingewölbes, das Unglaubliche der Stalactiten—⸗
Kuppeln, gebe ich gern zu, aber das Material dazu iſt