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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 61 - No. 69 (1. August - 29. August)
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Heidelberger Familienblätter.

Velletriſiſch Beilage zur Heidelberger Zeitung.

X 61. Samſtag, den 1. Auguſt. 187N.

Nach ſieben Jahren.

Novelle von Ludwig Harder.

(Fortſetzung.)

Sein Auge begegnete dabei mit eigenthümlichem

Ausdruck dem Blick der Prinzeſſin, welche es gerathen

fand, dieſes ihrer Umgebung natürlich ganz unverſtändliche
Geſpräch abzulenken und deshalb ernſter fortfuhr: „Aus
all den Naturmärchen, welche Sie mit ſo viel Anmuth
erzählen, geht doch hervor, daß ſie die Gegend hier ſchon

vielfach durchſtreiften und daß Sie ſie lieben, Prinz. Ich

freue mich herzlich darüber, ſo kindiſch es auch klingen
mag. O, ich liebe dieſes kleine Fleckchen Erde unaus-
ſprechlich! Iſt es doch meine Heimath, der Rahmen zu
der glücklichen Kindheit, welche ich hier verlebte.“
Das Geſpräch kam nun auf einzelne ſchöne Punkte,
und wurde immer allgemeiner, bis der Prinz ſich endlich
entfernte. Ulrike ſtarrte dem Scheidenden düſter nach;
ſie wußte, daß er wiederkehren würde gern nnd oft! aber
ſie ſollte ihn nicht ſehen. Eingeſperrt in die dumpfen
Zimmer, lebte ſie die einförmigen Tage dahin, während
eine Andere, vielleicht Helene von Sebo — —. Sie
vermochte den Gedanken nicht zu enden. Sophie Clotil-
dens Verzeihung war der einzige Ausweg in ihrem Elend.
Die Herzogin ſtand allein; ſie erwartete jene Bitte; aber
Ulrike ſchwankte nur einen Augenblick, dann ſchritt ſie
mit ſtummem Gruß an ihrer Mutter vorüber. Doch,
als ſie, eine Gefangene, ſich auf dem Wege zu ihrem
eleganten Kerker befand, da flammte lodernder Haß in
ihrem Herzen auf gegen Mathilde, die vermeintliche Ur-
heberin aller ihrer Leiden; ſie gelobte ihr unbarmherzige
Rache, und das Verhängniß ließ ſie Fräulein von Rhon
auf ihrem Wege finden. Jetzt ſchwand die letzte Beſin-
nung der Prinzeſſin. Hochaufathmend blieb ſie ſtehen,
ein wilder Haß ſprühte aus ihren ſchwarzen Augen; dann

lagerte ſich ein kaltes höhniſches Lächeln auf ihrem blaſ-

ſen Geſicht, die zornbebende Hand ließ langſam den koſt-
baren Fächer zur Erde gleiten. Mathilde, welche ihr
zunächſt ſtand, hob ihn auf und wollte ihn der Prinzeſſin
reichen; aber Ulrike wandte ſich um: „Beſte Baroneß
Wehen, nehmen Sie doch jener Dame den Fächer ab, es
will ſich für mich nicht ſchicken, mit Heldinnen der Bühne

zu verkehren.“ Und ihrer vermeintlichen Gegnerin einen

Blick voll bittern Hohnes zuwerfend, rauſchte ſie hinaus.
Es war ein Tag der Demüthigung für die arme
Mathilde. ö

VIII.

Es war am nächſten Morgen ziemlich früh, als
Graf Sebo das Vorzimmer Mathildens betrat und ſich
bei ihr melden ließ. Er ſchien blaß und angegrifſen,
wie in Folge einer durchwachten Nacht; und der Zug

von Entſchloſſenheit um ſeine Lippen war zur Unbeug-

ſamkeit geworden, obgleich er ziemlich aufgeregt der Ant-
wort harrte, welche Fanny ihm von ihrer Herrin brin-

gen würde. Das Mͤdchen kehrte bald zurück mit dem Be-
ſcheid: „das Fräulein von Rhon laſſe bitten,“ und Arthur.
trat ein. ö
Die Hofdame ſtand in reizender Haustoilette vor
einem runden Tiſchchen, auf welchem Schmuck und Blumen
nachläſſig durcheinander lagen; in der Hand hielt ſie ein
ſchweres Bouquett von den ſeltenſten Treibhauspflanzen.
Es koſtete Arthur ſichtlich große Ueberwindung, die
Schwelle dieſes Gemaches zu überſchreiten. Mathilde
ſchien es nicht zu bemerken.
„Sein Sie mir willkommen, Graf,“ empfing ſie ihn
mit ihrer ruhigen klaren Stimme, die auch nicht einen
Augenblick bebte. „Sie ſehen mich ſehr gern bereit, Ih⸗—
nen die gewünſchte Unterredung zu bewilligen, denn,
warum ſoll ich es leugnen? Etwas von Evas Sünde
iſt auf mich, wie auf alle Frauen gekommen und ich bin
ſehr neugierig, zu erfahren, was mir die Ehre Ihres
frühen Beſuches verſchafft.“ ö

Der ruhige, ſcherzhafte Ton dieſer Rede empörte den
Grafen, ſein Blut kochte, und ſie war ſo kalt! Der

Schmerz, welcher ſeine Bruſt zuſammenſchnürte, machte
ihn bitter. ö
„Ach, mein Fräulein,“ erwiderte er, „ſuchen Sie den
Grund meines Kommens nur in Ihnen ſelbſt. Weshalb
naht der Bettler dem Reichen, der Hülfeflehende dem Mäch-
tigen? Sophie Clotildens Hof, wie jeder andere, hul-
digt der Intrigue, der Gunſt, und da einmal der Weg
zur Gunſt durch Mathilde von Rhon führt, wundert
es Sie, daß ich dieſen Weg ſo gnt wie jeder Andere
gehe?“ ö
„Sie überſchätzen meine Macht! Indeſſen — welche
Gunſt verlangen Sie?“ fragte Mathilde, indem ſie ſich
niederließ und den Grafen durch eine Handbewegung ein-
lud, ein Gleiches zu thun.
„Sie ſind nicht großmüthig genug, meine Bitte zu
errathen? — Aber natürlich! ſie betrifft ja ihren Freund!
Sie kennen alle Einzelnheiten ſeiner Stellung zu Comteſſe
Sebo, verzweifelt genau, — um ſo lobenswerther, daß
Sie nicht eiferſüchtig ſcheinen,“ ſetzte er halblaut hinzu.
„Für einen Bittenden iſt Ihr Benehmen mindeſtens
kühn, Herr Graf!“

„Verzeihen Sie, die Menſchen ſind ſo verſchieden;

vorzüglih Damen! Und Helene gehört leider nicht zu
jenen ſtarken, glücklichen Seelen, welche aus dem Grab
ihrer Erinnerungen den Schauplatz neuer Freuden machen.
Sie werden oftmals über das alberne Kind gelacht ha-
ben, daß es nicht verſteht, ſeine erſte Liebe gleichmüthig
wie ein Büſchel Unkraut aus ſeinem blutenden Herzen zu
reißen, und dieſe Operation iſt doch ſo leicht, ſo leicht!

Helene iſt jedoch in dieſer Kunſt noch nicht geuͤbt; ſie wird
am Anblick des Prinzen zu Grunde gehen! Rüſing flie-

hen kann ſie jetzt nicht ohne Gefahr für ihren Namen!
Darum muß Prinz Friedrich die Gegend verlaſſen, ſei's
mit Liſt, ſei's mit Gewalt, er darf und ſoll nicht bleiben!
— Aber Sie hören nicht auf meine Worte!“

Mathilde räumte nämlich ſcheinbar theilnahmlos
zwiſchen ihren Schmuckſachen. „O doch!“ erwiderte ſie,

ohne aufzublicken, oder in ihrer Beſchäftigung einzuhalten,
„Sie ſagten, daß der Prinz Rüſing verlaſſen ſolle.“
 
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