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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 96 - No. 103 (2. December - 30. December)
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delberger Fan

lilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

1.—

Mittwoch, den 2. December.

1874.

Der Wurzengraber.
Erzählung aus den bairiſchen Bergen. Von Th. Meſſerer.

(Fortſetzung.)

Der Mann, der der Hirſchgruberin mit dieſen Wor-
ten in den Weg trat, trug wohl auch Gebirgstracht, doch
verrieth der Schnitt der ſtark abgetragenen Joppe, daß
er nicht zu dieſen Thalbewohnern gehöre, und die ſchä-
bige Kopfbedeckung erinnerte in ihrer Form an einen Ty-
rolerhut. Unter ihrer breiten Krämpe ſtachen ein Paar
kleine grauen Augen hervor und um den von einem
ſtruppigen grauen Bart eingerahmten Mund ſpielte ein
höhniſches Lächeln, als er der erſchrockenen Frau keck in's
Geſicht ſtarrte. Die Kniee, ſo weit ſie aus der farbloſen
alten Lederhoſe hervortraten, und auch die breite Bruſt,
die hinter dem groben Linnenhemde ſichtbar war, zeigten
ſich von Sonne und Luft dunkel gebräunt. Er mochte
kaum die Fünfziger Jahre erreicht haben, und wenn wohl
in jedem Zuge der Gebirgler zu erkennen war, erſchien
weder Geſichtsausdruck noch Haltung des Mannes ſo frei
und ungezwungen, wie bei den friedlichen Bergbauern,
und die ganze Erſcheinung wies darauf hin, daß der unaus-

geſetzte Kampf mit den Menſchen und den Elementen dieſe

magere ſehnige Geſtalt ſo vor der Zeit verkümmert und
zuſammengeſchrumpt hatte.
„Geh mir aus dem Weg, Hannes, und laß mich
vorbei,“ fuhr ihn die Hirſchgruberin, die ſich raſch wieder
gefaßt hatte, unwirſch an. „Will nicht hoffen“ — hier
dämpfte ſie die ſcharf klingende Stimme — „daß Du
ſchon wieder Geld verlangſt, hab Dir erſt ein Paar Kro-
nenthaler hineingeſchickt mit der Gundel in die Riß.“
Vo nicht gleich ſo hitzig, ſchöne Hirſchgruberin,“
entgegnete er ſpöttiſch. „Setz Dich zuvor ein biſſel her
zu mir, hab ein Wörtl unter vier Augen zu reden mit
Dir.“ Und er zog die ſtattliche Frau am Arme von dem
Waldſträßchen ab, doch unwillig entriß ſie ſich ihm.
„Du haſt mir gar nichts zu ſagen, ich will nichts
mehr wiſſen von Dir!“ herrſchte ſie ihn an und ſchoß
zornige Blicke aus den ſchwarzen Augen.
„Ich muß Dir aber ſagen,“ fuhr Hannes, der ſich
nicht beirren ließ und ihr immer noch hartnäckig den Weg
vertrat, in verändertem Tone fort — „daß ich grad vom
Hirſchgruberhof herkomm' und dort meinem Diendl, der
Gundel, auf's Herz bunden hab, daß ſie mir ja nicht
anbandelt mit dem ſchön' Hardl.“
Unwillkürlich glitt ein Lächeln über das volle Geſicht
der Bäuerin, dann warf ſie einen ſo ſcharfen Blick auf

Hannes, als wollte ſie ihm bis auf den Grund der Seele

ſchauen, und da für den Augenblick aller Hohn aus dem
pfiffigen verſchlagenen Geſichte gewichen war, ließ ſie es
willig geſchehen, als er ſie zwiſchen das Geſtrüpp heinein
auf einen breiten Felsblock niederzog, der, von Moos und
Schlingpflanzen überwuchert, abſeits vom Wege für Beide
einen bequemen Sitz bot.
„„Ich muß Dir ja verzählen,“ fuhr Hannes in ver-
traulicher Weiſe halblaut fort, „daß's mich nimmer in der
Riß drinn' leid't. Mich haben die Blutſakra, die Jager,

halten.

umſtellt, wie auf einem Treibjagen, haben ſogar meine
Hütten verreiſert (umſtellt) wie einen Dachsbau, mit

einem Wort, ich werd gehetzt, wie der ſtärkſte Hirſch in

der Schußzeit. Drum bin ich auch fort aus der Riß
und hab mich droben am Staffel mit meinem jüngſten
Diendl, der Chriſtel, nieder'laſſen. Dießmal mußt mir
noch aufhelfen, Hirſchgruberin, grad diesmal noch.“ ſagte
er gedehnt und ließ nun gleichfalls ſein Falkenauge durch-

dringend auf der neben im ſitzenden ruhen, die in ihrer

ſchmucken Erſcheinung einen ſeltſamen Gegenſatz zu dem
verwahrlosten Aeußern des verkommenen Menſchen bot.
„Kein' Kreuzer mehr kriegſt von mir!“ rief die
Bäuerin entrüſtet und wollte aufſtehen, doch zwang Han-
nes ſie mit eiſernem Druck auf den Steinblock zurück.
„Himmelherrgott, Du hergelaufenes Weibsbild, Du
willſt auch noch auf mich drucken!“ keuchte er, denn der
innere Zorn erſtickte ihn faſt. „Was Du mir gibſt, iſt
ſo grad ein Almoſen für ſo eine reiche Bäuerin. Nimm
Dich aber in Acht vor'm Wurzerhannes, ſtolze Hirſchgru-
berin, ſonſt ſollſt mich kennen lernen, ſonſt kannſt noch
was erleben, daß Dir 's Herz im Leib gruſelt!“ drohte
er mit verbiſſenem Grimme und unheimlicher flammte es
in den ſtechenden grauen Augen. „Wie wär's denn,“
fuhr er lauernd fort und legte ihr mit hämiſchem Grinſen
die Hand auf die Schulter — „wenn ich dem alten Hirſch-
gruber verzählen thät, wie ſauber und wie fein ſeine ſchöne
Bäurin den Brandhuber⸗Hardl find't?“ ö
Die Hirſchgruberin rückte unruhig auf dem Felſenſitze
und dem ſpähenden Blicke ihres Gefährten entging es
nicht, wie ſie wiederholt die Farbe wechſelte.
„Ich hab alleweil zu Dir gehalten wegen meiner
Gundel,“ begann er wieder, „aber mach mich nicht wild.
Denk zurück, wie Du als ſchöne Burgl vom Achenſee
herein'kommen biſt in die Jachenau, weil ſich der alte
Hirſchgruber in Dein glattes Geſicht vergafft hat. Vergiß
nicht, daß mein Weib ſelig den klein' Hieſen im Winter
über alle Berg' tragen hat und ich jahrelang das Koſt-
geld für Dich zahlt hab. Ja, ſtolze Bäurin,“ rief er
höhniſch und rückte den Hut verwegen auf das Ohr —
„ich hätt' Dir's Kranzel heruntereißen können auf der
Hochzeit zu Länggries, ich hätt' Dir einen Prügel unter
die Füß' werfen können — aber zu gut bin ich geweſen,
einfadeln (einlullen) hab ich mich laſſen durch Deine
falſchen Wort' und Dein Schönthun. Es wird aber ge-
ſcheidter ſein, ich bring einmal den ſelbigen Hieſen auf

den Hirſchgruberhof, iſt ein weltsgroßer Burſche worden

in Tyrol drin.“
Ein ſchadenfroher Zug ſpielte um die bärtigen Mund-
winkel, als er der Hirſchgruberin frech unter die Augen
ſchaute. Er konnte es nicht verbergen, daß er ſich an
ihrer Beſtürzung weidete.
„Um Gotteswillen,“ flüſterte dieſe faſt athemlos vor
Angſt und preßte die Hand auf den Arm des unheim-
lichen Menſchen — „ſchrei nicht ſo, Hannes! Man weiß
nicht, wer im Holz herinn' ſteckt. Ich hab Dir verſpro-
chen, Dich nicht umkommen zu laſſen, ich will's auch
Sag wo ich Dich finden kann.“ Und wiede
wollte ſie ſich raſch erheben, aber Hannes kam ihr zuvor
und hielt ſie feſt. ö ö —
 
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