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Heidelberger Familienblätter — 1874

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No. 96 - No. 103 (2. December - 30. December)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belketriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Samſtag, den 19. December. 1874.

Der Wurzengraber.

Erzählung aus den bairiſchen Bergen. Von Th. Meſſerer.

(Fortſetzung.)

„Jetzt geht mir ein Lichtl auf,“ murmelte er lebhaft.
„Das Diendl gefallt mir ſchon ein Paar Tag' nimmer,
iſt nimmer luſtig, muß jedes Wort aus ihr herausbetteln,
redt nicht und iſt wie verzaubert. Ja, Kreuzkruzitürken!“
— Dabei ſchlug er ſich vor die Stirne. — „Ich alter
Eſel hab ſelber den Marder hereingelockt in' Schlag zum
Täuberl und kann jetzt zuſchau'n, was d'raus wird.
Kruzitürken, wie man nur ſo blitzdumm ſein kann! Hirſch-

gruberin,“ rief er dann laut, „jetzt hilft Dir nichts mehr,
jetzt mußt herausrucken mit dem Geld, mußt blechen!

Jetzt iſt's Zeit, daß ich fortkomm' und den Burſchen
weiter bring', und erwiſch ich den Teufelsbuben,“ ſchrie
er und ſchüttelte drohend den Stutzen — „wie er mei-
nem Diendl nachſteigt, nachher will ich ihm heimleuchten,
daß er ſich's merkt.“ ö ö ö
Unter den letzten Worten war Chriſtel geräuſchlos
hinter ihm in die Thür getreten und hatte noch die Dro-
hung des Vaters vernommen und den zornig erhobenen
Stutzen erblickt. Wie von einer Kugel getroffen, knickte
ſie zuſammen. In einer Hand den Korb ſaumt der
Haue tragend, hielt ſie in der anderen ihre kurze Jacke
und den Hut und ſchlich nun mit allen Zeichen des
Schreckens auf ihr Heulager in dem hinteren Hütten-
raume zu. Alles von ſich werfend, fiel ſie darauf hin,
und barg das angſtglühende Geſicht in dem Kiſſen.
Das Geräuſch des umfallenden Korbes machte den
Wurzengraber erſt auf die Anweſenheit des Mädchens
aufmerkſam. Verwundert trat er auf ſie zu.
„Was iſt jetzt das wieder?“ fragte er mit ernſtem,
dabei aber ungewöhnlich mildem Ausdruck. „Wie ſchleichſt
Dich denn Du bei der Thür herein, haſt Du kein Grüß-
gott nicht, wenn Du heimkommſt? Wie kommſt mir
denn Du vor? Ein luſtiges G'ſangl oder einen friſchen
Juchzer hört man ſo ſchon lange nimmer von Dir. Biſt
alleweil mein Lercherl geweſen, haſt geſungen früh und
ſpat, ich kenn' Dich gar nimmer, mein Diendl.“
Kopfſchüttelnd ſchaute er bald auf das Mädchen,
das ohne zu antworten, doch wie durch ſeine Milde halb
beruhigt, ſich aus ihrer liegenden Stellung aufrichtete, bald
auf den umgeſtürzten Tragkorb, dem eine Fülle von pur-
purnen Bergnelken und blauen Genzianen entquollen war.
„Und was haſt heut wieder heim'bracht?“ tadelte er mit
ſanftem Vorwurf. „Kein Kräutel, keine Wurzen —.
lauter Blümeln! Treiben wir denn da heroben einen
2⁴
tumm ſtarrte die junge Chriſtel vor ſich hin. In
kurzen ſchweren Züͤgen rang ſich der Athem a8 der de-
klommenen Bruſt und ungeduldig zog und riß ſie an
dem rothen Unterleibchen, aus dem die ſchneeweißen

Hemdärmel hervortraten, als wollte ſie es vom Leibe
zerren.

„Iſt's denn heut gar ſo heiß draußen,“ begann der
Vater wieder, „daß Dir das Leibel auch noch zu warm
wird? Den Janker haſt ſo ſchon aus'zogen.“ Er bückte
ſich nach dem Kleidungsſtück und legte es ſammt dem
Hute neben das Mädchen auf das Bett. Lange betrach-
tete er ſie mit prüfendem Blick und der Ausdruck in
ſeiner ſonſt wenig Vertrauen erweckenden Miene war jetzt
ein ganz anderer. Das zärtlichſte Vaterherz offenbarte
ſich in jeder Linie dieſer harten, verſchloſſenen, wie unter
dem Hauch der Liebe aufgehenden Züge.

„Na, es iſt mir Alles viel zu eng, Vater, es ſchnürt
mich ſo zuſamm', ich muß krank ſein,“ klagte das Mäd-
chen mit weicher Stimme. Die Worte kamen nur zögernd
über die Lippen, die ſchönen dunklen Augen aber, aus
denen die ganze Seele des einfachen Naturkindes ſchaute,
waren zutraulich zum Vater aufgeſchlagen.

„Was weißt Du von Krankſein,“ ſagte Hannes und
ſchüttelte ungläubig den grauen Kopf. „Laß mich aus
mit ſo einer Dummheit, Dir hat nichts gefehlt, ſo lang
Du auf der Wert biſt. Wird denn ein Hirſchel krank
oder ein jung's Reh in der friſchen Bergluft! Wo thut's
Dir denn nachher weh?“ frug er dennoch und die kleinen
grauen Augen blickten warm und liebevoll auf das Mäd-
chen auf.
„Da drinn', Vater, da liegt's wie ein Stein“ —
und ſie griff aufſtöhnend mit der Hand nach dem Herzen
und erhob wie hülfeſuchend das treuherzige Geſicht zu
ihm — „„da iſt was drinn', das will nicht hinauf und
nicht hinunter, das druckt mich ſo und will nicht leichter
werden und macht mir ſo ängſtlich und ſo heiß. Es iſt

mir ſo ſterbensbang, daß ich keinen Fuß mehr heben kann,

und nachher möcht' ich wieder ſpringen über alle Berg'
und hinunter fliegen in einem Sauſer in's Thal. Da
iſt mir leicht, ich mein', ich bin ein Vogel, und ich g'ſpür'
nichts mehr inwendig, als daß's über und über klopft
und daß's mir ganz heiß aufſteigt, und gleich d'rauf
möcht's mich lieber wieder frieren — das dauert aber nie
lang, es liegt bald wieder ſo ſchwer drinn' und thut ſo
weh wie eh' vor.“
Der Wurzengraber hörte mit liebevoller Aufmerk-
ſamkeit zu und während er herzlich beſorgt das fliegende
Roth auf den Wangen des Mädchens beobachtete, fiel
ſein Blick auf das ſchmucke Sträußchen an ihrem Hute.
„Siehſt es, ſiehſt es!“ rief er jäh emporfahrend,
und ſich am Hinterkopfe mit den Nägeln in die Haare kral-
lend, lief er mit den Geberden der lebhafteſten Beküm-
merniß in der Hütte auf und ab.
„Hat ſeine Richtigkeit, fehlt nichts, 's iſt ſchon ſo —
8 Dienol iſt verliebt und weiß's nicht einmal! Hab's
gehütet, wie meinen Augapfel, hab's aufgezogen weit weg
von der ſchlechten Menſchheit und jetzt iſt doch der Teufel
los! Wie ſoll man's denn da machen — da hütet Einer
leichter ein Rudel Gambſen, als ſo ein Paar Madeln!“

Zornig ergriff er ſeinen auf dem Heerdrande lie-
genden Hut und ſtieß ihn ſich mit einem derben Schlag
auf das wirre Haar. Dann näherte er ſich raſch ſeinem
Kinde wieder und frug wie mit harmloſer Neugier:
„Sag, Chriſtel, hat Dir das Sträußel vielleicht ein —

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