Zerzy.
Eine Novelle aus Polens Gegenwart, von George v. Dyherrn ·
(Fortſetzung.)
Iberia trat ohne einen Schutz gegen die Winter-
kälte in's Freie, Agnata mahn einen weiben Kaſchwür-
baſchlik um. ö
„Ich ſehe aus wie eine Krähe, die auf dem Schnee-
feld umherhüpft mit meinem ſchwarzen Kleide“ ſcherzte
Iberia — „du biſt die weiße Taube, Agnata. *—
„Jerzy kam ihnen entgegen. „Wir bedanken uns
für das Concert“ ſagte Fräulein von Narazin.
* „d galt der Thetis dort unterm Bretterhaus, nicht
wahr, Jerzy?“ fragte ſeine Couſine. „Wir wollen nach
Bronikowo und bitten um deine Begleilung!“ —
„Sie waren lange nicht bei uns, Graf Jerzy/ meine
Wur wird ſich ſehr freuen, Sie zu ſehen —
„Jerzy zauderte. Eine böſe Stimme in ſeinem In-
neren reizte ihn mit den jungen Damen nach Bronikowo
zu fahren und ſeiner Großmutter Herz durch Kälte zu
verwunden. Er wollte ihr wie ein Fremder mit glatter
Höflichkeit entgegentreten und jedes freundliche Wort zu-
rückweiſen, ihr zeigen, daß ſie keiner Hoffnung auf aar
Aenderung ſeiner Sinnesweiſe Raum gehen dürfe.
wollte ſich ſelbſt die Pein bereiten, dies glänzende S5105
zu ſchauen, alle die Wonne des Reichthums einen Mo-
ment koſten, den Strahl der Mutterliebe in den Augen
der Frau von Narazin leuchten ſehen und dann mit
ſtolzer Freude und einer hohen Genugthuung ſich ſagen,
dies Alles verſchmähſt du um deiner Mutter willen, die
ſie verſtieß ee
Man ſieht, der Züngling beſaß aunlge aunlagen zur
Pönitenz — er legte ſich ſelbſt Verſuchungen auf, um als
triumphirender Sieger daraus hervorzugehen mit dem fro-
hen und unvergleichlichen Gefühl ſeiner Jugendkraft, ſeiner
Selbſtüberwindung.
„Doch eine andere Stimme hielt ihn mahnend ab von
dieſem Beſuch. Er ſah den feuchten Scheideblick der
ſchwergeprüften Frau, als ſie von ihm ging er hörte ihre
Stimme, die trotz ſeiner Abneigung mächtig an ſein Herz
drang und er ſagte: „Nein, ich werde Sie nicht begleiten,
ich bin ermüdet und für ſich fügte er Iinzu: »durch mich
ſoll kein neues Leid über ſie kommen!“
So fuhren ſie allein und Iberia meinte, Jerqy pflege
allemal das Gegentheil von dem zu thun, was man hoffe
und wünſche, es ſei ihm eine wahre Freude, einen Strich
durch die Pläne ſeiner Freunde zu machen, blos weil er
hinter jedem Vorſchlag eine Beeinfluſſung wittere. — Ag-
nata vertheidigte ihren heißblütigen Vetter. Sie glaubte
an die Großmuth ſeines Herzens und war überzeugt,
daß er jedes Opfer bringen köunte, wenn man an ſein
beſſeres Selbſt ſich wandte, wenn man es verſtand, alle
die guten Eigenſchaften, die wie die ſchimmernden Per-
len in der Tiefe ſeines Weſens verborgen ſchliefen, zu
erwecen. —
Der Schlitten flog durch den Wald dahin. Sie
es, blendend faſt.
mert und mit ge ſchmackloſen Farben gemalt.
wöhlten einen türzeren Weg als die Landſtraße und kamen
bei der großen Eiche vorüber, an der einſt Iberia Nara-
zin ihre Augen in Todesangſt geſchloſſen. — Kahl ſiand
der mächtige Baum mit ſeinen gewaltigen blätterloſen
Aeſten inmitten der immergrünen Fichten, auf deren die-
tem Nadelwerk der gefrorene Schnee glitzernd lag, daß
ſie lief die belaſteten Zweige ſenkten. Dort hatten Jerzy's
dunkle Augen geleuchtet, dort waren die Büſche hinter
ſeiner Geſtalt zuſammengeſchlagen. „Iberia wurde ſtill in
der Erinüerung an zene Szene. Damals lag die Wal-
desdämmerung in grüner Friſche und entzückender Kühle
über dem einſamen Ort, nur in dem braunen kurzen
Gelock ſpielte ein goldener Schimmer der durch die hohen
Kronen fallenden Sommerſonne — jetzt dehnte ſich der
Wald in flimmerndem Winterſchmuck und' die Bäume
ragten wie kryſtallene Säulen zum Himmel. Hell war
Iberia ſchloß wieder die Augen, wie
damalt
ö 76³ iſt ein räthſelhafter Zug/ der mich zu ihm treibt
— wie eine magnetiſche Kette zieht es mich zu ihm hin,
dachte ſie.
Am Wege ſtand ein hölzernes Cruzifix, ——
u den
Füßen des Bildes des Heilandes war ein kleines Brett
angebracht und eine Frau eben damit⸗ beſchäftigt ein klei-
nes Kinderhemd auf daſſelbe niederzulegen. — Sie bot
ein rührendes Bild der Mutterliebe, als ſie dann auf
den kalten Schnee miederkniete und die Hände zum Gebet
erhob. Sie trug die kleidſame Tracht jener Gegend, aber
ſie ſchien zierlicher, ſauberer. Ein rother faltiger Rock
mit breitem weißem Saum, eine violette Schürze, ein
ſchwarzes Mieder, das die breiten Aermel des Hemdes
ſehen ließ, eine weiße Haube mit Spitzenbeſatz und um
den Hals rothe Korallenſchnre bildeten das maleriſche
Koſtüm dieſer Fran. —
„Die Glückliche,“ ſagte Agnata in ſanftem Tone —
„ſie bringt dem Gekreuzigten das Hemd des kranken Kin-
des und hofft dadurch eine Geneſung zu erlangen. Dieſes
Volk iſt beneidenswerchin ſeinem Aberglauben. —“
„Aberglauben?“ wiederholte Iberia erſtaunt. „Hältſt
du denn dieſe That für Aberglauben? —“
„Gewiß thue ich das. Ich glaube an die Macht des
Gebetes zu Gott, doch nicht an ſeine Einwirkung auf
menſchliche Geſchicke, wenn man bloße Gelübde ablegt oder
von ihm wie dieſe Frau durch äußere Zeichen Wunder
erfleht. — Ich beleuchte dieſen Aberglauben mit meinem
Verſtande und er ſagt mir, daß er eine Läſterung der
Größe Gottes iſt. Dies Volk iſt darin aufgewachſen, ich
weiß es und fühlt ſich wohl dabei, deshalb iſt er ihm
nützlich, doch ein denkender Menſch wird den Wunſch he-
gen, das Licht der Aufklärung auch in dieſe Herzen drin-
gen und ſie aus der Entwürdigung reißen, mit der ſie
das Heilige profaniren und es zum Theilnehmer an allen
kleinen Ereigniſſen machen.“
„ Du biſt eine Freiſinnige, Agnata, mein Glaube iſt
blind wie der jener Frau,“ antwortete Iberia. „Meine
Phantaſie muß die Religion ſchmücken, ich bedarf aller
Ceremonien, alles äußeren Olanzes, um m andächtig geſtimmt
Eine Novelle aus Polens Gegenwart, von George v. Dyherrn ·
(Fortſetzung.)
Iberia trat ohne einen Schutz gegen die Winter-
kälte in's Freie, Agnata mahn einen weiben Kaſchwür-
baſchlik um. ö
„Ich ſehe aus wie eine Krähe, die auf dem Schnee-
feld umherhüpft mit meinem ſchwarzen Kleide“ ſcherzte
Iberia — „du biſt die weiße Taube, Agnata. *—
„Jerzy kam ihnen entgegen. „Wir bedanken uns
für das Concert“ ſagte Fräulein von Narazin.
* „d galt der Thetis dort unterm Bretterhaus, nicht
wahr, Jerzy?“ fragte ſeine Couſine. „Wir wollen nach
Bronikowo und bitten um deine Begleilung!“ —
„Sie waren lange nicht bei uns, Graf Jerzy/ meine
Wur wird ſich ſehr freuen, Sie zu ſehen —
„Jerzy zauderte. Eine böſe Stimme in ſeinem In-
neren reizte ihn mit den jungen Damen nach Bronikowo
zu fahren und ſeiner Großmutter Herz durch Kälte zu
verwunden. Er wollte ihr wie ein Fremder mit glatter
Höflichkeit entgegentreten und jedes freundliche Wort zu-
rückweiſen, ihr zeigen, daß ſie keiner Hoffnung auf aar
Aenderung ſeiner Sinnesweiſe Raum gehen dürfe.
wollte ſich ſelbſt die Pein bereiten, dies glänzende S5105
zu ſchauen, alle die Wonne des Reichthums einen Mo-
ment koſten, den Strahl der Mutterliebe in den Augen
der Frau von Narazin leuchten ſehen und dann mit
ſtolzer Freude und einer hohen Genugthuung ſich ſagen,
dies Alles verſchmähſt du um deiner Mutter willen, die
ſie verſtieß ee
Man ſieht, der Züngling beſaß aunlge aunlagen zur
Pönitenz — er legte ſich ſelbſt Verſuchungen auf, um als
triumphirender Sieger daraus hervorzugehen mit dem fro-
hen und unvergleichlichen Gefühl ſeiner Jugendkraft, ſeiner
Selbſtüberwindung.
„Doch eine andere Stimme hielt ihn mahnend ab von
dieſem Beſuch. Er ſah den feuchten Scheideblick der
ſchwergeprüften Frau, als ſie von ihm ging er hörte ihre
Stimme, die trotz ſeiner Abneigung mächtig an ſein Herz
drang und er ſagte: „Nein, ich werde Sie nicht begleiten,
ich bin ermüdet und für ſich fügte er Iinzu: »durch mich
ſoll kein neues Leid über ſie kommen!“
So fuhren ſie allein und Iberia meinte, Jerqy pflege
allemal das Gegentheil von dem zu thun, was man hoffe
und wünſche, es ſei ihm eine wahre Freude, einen Strich
durch die Pläne ſeiner Freunde zu machen, blos weil er
hinter jedem Vorſchlag eine Beeinfluſſung wittere. — Ag-
nata vertheidigte ihren heißblütigen Vetter. Sie glaubte
an die Großmuth ſeines Herzens und war überzeugt,
daß er jedes Opfer bringen köunte, wenn man an ſein
beſſeres Selbſt ſich wandte, wenn man es verſtand, alle
die guten Eigenſchaften, die wie die ſchimmernden Per-
len in der Tiefe ſeines Weſens verborgen ſchliefen, zu
erwecen. —
Der Schlitten flog durch den Wald dahin. Sie
es, blendend faſt.
mert und mit ge ſchmackloſen Farben gemalt.
wöhlten einen türzeren Weg als die Landſtraße und kamen
bei der großen Eiche vorüber, an der einſt Iberia Nara-
zin ihre Augen in Todesangſt geſchloſſen. — Kahl ſiand
der mächtige Baum mit ſeinen gewaltigen blätterloſen
Aeſten inmitten der immergrünen Fichten, auf deren die-
tem Nadelwerk der gefrorene Schnee glitzernd lag, daß
ſie lief die belaſteten Zweige ſenkten. Dort hatten Jerzy's
dunkle Augen geleuchtet, dort waren die Büſche hinter
ſeiner Geſtalt zuſammengeſchlagen. „Iberia wurde ſtill in
der Erinüerung an zene Szene. Damals lag die Wal-
desdämmerung in grüner Friſche und entzückender Kühle
über dem einſamen Ort, nur in dem braunen kurzen
Gelock ſpielte ein goldener Schimmer der durch die hohen
Kronen fallenden Sommerſonne — jetzt dehnte ſich der
Wald in flimmerndem Winterſchmuck und' die Bäume
ragten wie kryſtallene Säulen zum Himmel. Hell war
Iberia ſchloß wieder die Augen, wie
damalt
ö 76³ iſt ein räthſelhafter Zug/ der mich zu ihm treibt
— wie eine magnetiſche Kette zieht es mich zu ihm hin,
dachte ſie.
Am Wege ſtand ein hölzernes Cruzifix, ——
u den
Füßen des Bildes des Heilandes war ein kleines Brett
angebracht und eine Frau eben damit⸗ beſchäftigt ein klei-
nes Kinderhemd auf daſſelbe niederzulegen. — Sie bot
ein rührendes Bild der Mutterliebe, als ſie dann auf
den kalten Schnee miederkniete und die Hände zum Gebet
erhob. Sie trug die kleidſame Tracht jener Gegend, aber
ſie ſchien zierlicher, ſauberer. Ein rother faltiger Rock
mit breitem weißem Saum, eine violette Schürze, ein
ſchwarzes Mieder, das die breiten Aermel des Hemdes
ſehen ließ, eine weiße Haube mit Spitzenbeſatz und um
den Hals rothe Korallenſchnre bildeten das maleriſche
Koſtüm dieſer Fran. —
„Die Glückliche,“ ſagte Agnata in ſanftem Tone —
„ſie bringt dem Gekreuzigten das Hemd des kranken Kin-
des und hofft dadurch eine Geneſung zu erlangen. Dieſes
Volk iſt beneidenswerchin ſeinem Aberglauben. —“
„Aberglauben?“ wiederholte Iberia erſtaunt. „Hältſt
du denn dieſe That für Aberglauben? —“
„Gewiß thue ich das. Ich glaube an die Macht des
Gebetes zu Gott, doch nicht an ſeine Einwirkung auf
menſchliche Geſchicke, wenn man bloße Gelübde ablegt oder
von ihm wie dieſe Frau durch äußere Zeichen Wunder
erfleht. — Ich beleuchte dieſen Aberglauben mit meinem
Verſtande und er ſagt mir, daß er eine Läſterung der
Größe Gottes iſt. Dies Volk iſt darin aufgewachſen, ich
weiß es und fühlt ſich wohl dabei, deshalb iſt er ihm
nützlich, doch ein denkender Menſch wird den Wunſch he-
gen, das Licht der Aufklärung auch in dieſe Herzen drin-
gen und ſie aus der Entwürdigung reißen, mit der ſie
das Heilige profaniren und es zum Theilnehmer an allen
kleinen Ereigniſſen machen.“
„ Du biſt eine Freiſinnige, Agnata, mein Glaube iſt
blind wie der jener Frau,“ antwortete Iberia. „Meine
Phantaſie muß die Religion ſchmücken, ich bedarf aller
Ceremonien, alles äußeren Olanzes, um m andächtig geſtimmt