Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1875

DOI Kapitel:
No. 79 - No. 87 (2. October - 30. October)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43706#0353

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Ygidelberger

Jamilienblätter.

Velletririſche Beilage zur Heidelberzer Zeitunh.

M S87.

187.

Bie Rachbarskinder.
Novelle von Panline Eccardt. ö
Fortſetzung.)
Felten ſagte ſeinem Schwager nichts von dieſem Be-
ſuche, und da auch der Graf des jungen Mannes nie
gedachte, ſo meinte er, Leo habe nun wohl duch die ehe-
malige Protektion aufgegeben.
Graf Leo verließ mit dem kommenden Frühling die
Reſidenz, ging auf Reiſen, war nur ſelten auf Waldburg
zu finden und noch ſeltener und dann immer nur auf
kurze Zeit in der Refidenz. So waren die Jahre hin-
gegangen. Felten begann zu überlegen, ob es nicht an
der Zeit ſein dürfte, die Tochter, die nun ihr ſiebenzehn-
tes Jahr erreicht, zu ſich zu rufen, um ſeinem Hauſe
neue Anziehungskraft zu geben. ö
ſellſchaft die verwittwete Oberſt von Sametzka und er-

regte durch ihre Schönheit wie durch den Glanz ihres

Auftretens die allgemeine Aufmerkſfamkeit.
Frau von Sametzka konnte ſechsunddreißig Jahre
zählen, war mittelgroß, doch immer von jugendlichen
Formen, große dunkelgraue Augen belebten die ruhigen,
edlen Züge ihres Geſichts, und wußten, durch die ſänfte
Trauer, die ſich in ihnen ausſprach, ſchnell Theilnahme zu
erwecken. — ö
„Sie hatte einer angeſehenen Familie Empfehlungs-
briefe aus Nizza, wo ihr Gatte, Oberſt Sametzki, einem
Lungenübel erlegen war, überbracht und ward durch dieſe
vorgeſtellt.

Nach und nach erfuhr man, daß ſie eine Deutſche,

geborene von Lingen aus dem Sächſiſchen, dem Oberſt
von Sametzki kurz vor dem Aufſtande 1846 ihre Hand
gereicht, und dann, da er bei demſelben ſtark betheiligt
war, mit ihm in der Verbannung gelebt habe.
Dieſe Antecedentien waren, wenn auch den ſchwer-
müthigen Augenaufſchlag zu rechtfertigen, dennoch nicht

dazu angethan, daß man lebhaft der blendenden Erſchei-
nung begegnete. Man war höflich, ſchien Theilnahme zu

empfinden, doch im Ganzen reſervirt.
„Dieſe Polen sder was mit ihnen zuſammenhängt, ſin
ſtets Gemälde mit dunklem Hintergrund, und wie tief ich
»Nauch ein Volk beklage, das ſeine Naiionalität eingebüßt,
ſo werde ich mich dem Einzelnen gegenüber doch ſehr vor-
ſehen,“ ſagte Hofmarſchall Excellenz von Bentheim.
Nur Einer verbrannte ſich die Flügel, und zwar ſo

ſehr, daß er nicht anſtand, ſeinen, von ihm ſelbſt mit

veinlicher Aengſtlichkeit bewahrten Namen dieſer etwas
obſcuren Perſönlichkeit zu Füßen zu legen. — —
Eugenie von Felten zögerte nicht, ihre neue Stellung
zu nutzen. Nach und nach gewann die einſt ſo um Mit-

leid flehende Geſtalt etwas Herrſchendes, und die ſo.

ſchwermüthigen Augen ſtrahlten jetzt hell genug die Un-
antaſtbarkeit ihres geehrten Namens auss.
In ihrem Zimmer, von allem nur denkbaren Luxus
umgeben, ſaß Eugenie nachläſſig in einer Chaiſelongue,
einen franzöſiſchen Roman in der Hand.
„Es iſt auch ewig das Alte,“ ſagte ſie gähnend und

legte das Buch auf ein neben ihr ſtehendes Tiſchchen,

Da erſchien in der Ge-

dächtniß wach rufen.“

„ſelbſt ieſe, mit einer ſo beweglichen Phantaſie aus-

geſtatteten Franzoſen wiſſen nichts Neues zu bringen, im-
mer dieſe betrogenen Männer oder Frauen.“
„Und doch ſtets ſo treu dem Leben nacherzählt!“
autwortete ihrem lauten Denken eine zweite Stimme.
Sie hatte die Augen wie zum Schlaf geſchloſſen,
öffnete ſie auch jetzt nicht, ſondern ſagte gedehnt — „Ach
Bruder Egon! Was führt denn dich zur ungewöhnlichen
Stunde hierherꝛ ö
„Kind,“ ſagte Egon, indem er einen Seſſel herbei-
zog und ſich niederſetzte, „erwache, ich kann dich träumend
nicht brauchen, vielmehr wirſt du die Güte haben, wach,
recht wach zu ſein. Der Waldburger Graf kommt mit
ſeiner Nichte, deiner theuern Stieftochter hier an.“
Eugenie ſchrack empor und ſtarrte Egon mit weit-
geöffneten Augen an. „Wer ſagt's??
„Ich habe es im Club gehört, Kammerherr von
Wangen machte ſich mit dieſer imponirenden Nachricht
nicht wenig breit.“
Eugenie ſetzte ſich wieder. „Was thut's!“ rief ſie,
und warf verächtlich lächend den Kopf zurück. „Einmal
mußte er doch zurückkommen, muß ich ihm doch eigentlich
dankbar ſein, hat er mir doch volle zwei Jahre Zeit ge-
laſſen, mich hier zu aklimatiſtren, was wollte, was könn te
er mir noch thun? Zudem,“ hier warf ſie einen be-
friedigten Blick in den Spiegel, „er hat ſich nicht ver-
nihtRP. er konnte mich aufgeben, vergeſſen hat er mich
ni —
„Ich bitte dich Kind,“ zuckte Egon mitleidig die
Schultern, „vergiß nicht, daß du mit den vierziger Jah-
ren liebäugelſt, die auch für die ſchönſte Frau nicht un-
gefährlich ſind.“ ö
„Ou haſt,“ höhnte Eugenie, „heute vermuthlich
keine Bitte an mich, ſonſt würdeſt du dich hüten mich zu
beleidigen.“
„Keine Bitte, wohl aber eine Forderung.“ Er er-
hob ſich und ſtellte ſich dicht. vor Eugenie. „Du weißt,
daß ich in deinem Intereſſe mein Leben ruinirt. Weißt,
daß als Graf Waldburg acht Tage vor Eurer Hochzeit
den ſchönen Polen vor deinen Füßen fand, und ſich wei-
gerte, das Verlöbniß zu halten, ich ihn durch meine For-
derung und den Eklat, den dieſelbe hervorrufen mußte,
zu ſchrecken glaubte. Er ließ ſich nicht ſchrecken und
zeichnete mich für's Leben. Ein hinkender Lieutenant war
nicht zu brauchen, das kleine Erbe unſerer Eltern bald
verthan; da mußte ich ja froh ſein, daß der Schwager
Sametzki mich als Croupier engagirte..7.
Eugenie war aufgeſtanden, und ſich ängſtlich um-
blickend, hielt ſie Egon die Hand auf den Mund.
„Biſt du von Sinnen?“ Wozu dieſe alten Geſchichten
erwähnen ?“ — —
„Eben weil ſie alt ſind,“ fuhr Egon fort, „und du
ſie vergeſſen zu haben ſcheinſt, muß ich ſie deinem Ge-

Eugenie wand ihr Taſchentuch in fieberhafter Angſt
um ihre Hand. „Was willſt — was begehrſt du,“
ſtöhnte ſie abgebrochen hervor. „Geld? Ich habe keines,
meine Kaſſe iſt erſchöpft!“ ö
 
Annotationen