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Heidelberger Familienblätter — 1875

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No. 88 - No. 95 (3. November - 27. November)
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hfeidelberger Lamilienblätter.

Beunetritiſche Beilage zur Heidelberger Zeituug.

M 89

Samſtag/ den 6. November.

1875.

Die Nachbarskinder.
Novelle von Pauline Eccardt.
Fortſetzung.)

ö VI. ö
In ſeinem Zimmer mit Rechnungen und Büchern
ſaß am anderen Morgen der Geheimrath Felten. An
ſeiner düſtern Miene, ſeinem unruhig blickenden Auge,
ſah man, daß die Beſchäftigung ihn wenig befriedigte.
Je mehr er verſuchte, Klarheit ſeiner gegenwärtigen Ver-
hältniſſe zu gewinnen, je mehr wuchſen Staunen und
Schrecken, und endlich legte er die Feder nieder, bedeckte

mit beiden Händen das Geſicht und ein tiefer Seufzer

entrang ſich der gequälten Bruſt.
Feltens erſte Frau, Leopoldinens Mutter, hatte in
ihrem Teſtament ihr nicht unbedeutendes Vermögen zwi-
ſchen Gatte und Kind getheilt, und zwar ſo, daß der
Zinsgenuß des Ganzen dem Vater, als natürlichem Vor-
mund des Kindes, bis zu Leopoldinens zurückgelegtem
einundzwanzigſten Jahre zufiel. Heirathete Leopoldine
vor ihrem einundzwanzigſten Jahre ohne Zuſtimmung des
Vaters, ſo fiel ihr Antheil demſelben zu. Nach ihrer
Mündigkeit jedoch war ſie Herrin ihrer Wahl, wie ihres
Verwögens. *
Dieſes damals vom Grafen Leo nicht gutgeheißene
Teſtament war von der vollen Liebe einer jungen Gattin
dictirt, die nach eigenem Gefühl urtheilend, eine zweite
Wahl ihres Gatten, ſollte ſie ihm entriſſen werden, als
unmöglich anſah:
Felten war demnach als Wittwer ein reicher Mann,
der ſein Jahreseinkommen nicht verbrauchen konnte.
Dies änderte ſich jedoch, als er nach der Haupiſtadt
verſetzt, dem dortigen Leben Conceſſionen machen zu
müſſen glaubte. — ö
Wie erſtaunte er, als er nach dem erſten Jahres-
abſchluß fand, daß nicht nur ſeine Einnahme verbraucht,
ſondern auch ein Deficit vorhanden war. Hier fing ſein
Irrweg an — er nahm vom Capital. Dann folgte
ſeine Heirath mit der von Allen für reich gehaltenen
Frau von Sametzka. ö ö
Felten, dies müſſen wir zugeſtehen, hatte ſie nicht
ihres Reichthums wegen geheirarhet. Er war von ihrer
Schönheit geblendet und dieſer zweiten Liebe ſchwächer
als der erſten.
ö „Zu zartfühlend, um nach ihren Mitteln zu fragen,
ſah er dem veränderten Hausweſen, welches ſeine Frau
nun einführte, zagend doch noch immer hoffend zu. Als
aber Rechnungen über Rechnungen kamen, die den
ſtaunenerregenden Luxus ganz allein auf ſeine Schultern

legten, da wagte er zum erſten Mal über die enormen

Summen, welche ſie verbraucht, mit ſeiner Frau zu
ſprechen. ö
Haächelnd, ſcheinbar ſcherzend, fragte er ſie, wozu, für
wen ſie ihre Reichthümer aufſpare, daß ſie nicht einmal
ihre koſtbare Garderobe davon beſtreite?
ö Stolz, ſtaunend hefteten die Augen ſeiner Gattin
ſich auf Felten, und mit feſtem, kaltem Ton erwiderte

ſie ihm, daß ſie als ſeine, des Herrn von Felten Gattin,
nicht geglanbt, des geringen Vermögens, welches durch
die Theilung mit ihres erſten Gatten Verwandten kaum
nennenswerth geworden, zu bedürfen, und zu Gunſten

ihres armen verkrüppelten Bruders darüber verfügt habe.

Va erfolgte zum erſtenmal, was man eine Scene
zu nennen pflegt. Aber Feltens Gattin hatte nur allzu-
wohl die Schwächen des Mannes erkannt, dem ſie ihre
Hand gereicht, und unter dem Vorwand, durch ein glän-
zendes Hausweſen ihn empor zu heben aus dem Kreiſe
ſo vieler im Rang ihm Gleichſtehenden ihn zu beſchwich-
tigen gewußt.
Jetzt zu ſpät ſollte er erkennen, daß Geſellſchaften,
Equipage, Dienerſchaft, daß Sammer, Seide, Band und
Spitzen auch ein nicht beſcheidenes Vermögen zu ver-
ſchlingen im Stande ſind. Sein Vermögensantheil war
dahin, der Leopoldinens ſtark, ſehr ſtark angegriffen.
Wie ſollte er ſeinem Schwagner begegnen? Wie
ſeinem Kinde in die Augen ſehen? ö
Er ſtand auf, ließ das Frühſtück, das man ihm
ſervirt, unberührt ſtehen. Dann ging er, einige Zimmer
im Seitenflügel zu beſehen, die man für Leopoldinen
flüchtig hergerichtet, ſie würden dem Kinde genügen, hatte
ſzeine Frau geſagt. — ö ö
„Dem Kinde,“ rief er bitter lachend, „der Jung-
frau, welche drei Jahre in der Schweiz in einem der
erſten Penſionate Genfs erzogen, dann mit ihrem Onkel,
dem Grafen, in Frankreich und Italien gereiſt war, der
ſoll dieſe Dienerwohnung genügen 2“ Wie war es mög-
lich geweſen, daß er dazu geſchwiegen? Freilich war,
als einmal von Leopoldinens Rücktehr die Rede, dieſelbe
noch weit hinaus gerückt geweſen. Jetzt, heute kam ſie
und wie war er vorbereitet, ſie zu empfangen?
Er ging zu ſeiner Frau.
Die Diener, die im Nebenzimmer beſchäftigt waren,
die gewöhnliche Ordnung herzuſtellen, die durch das
geſtrige Feſt geſtört worden, und ſich natürlich nicht da-
mit beeilten, hörten heftrige Worte, wie ſte ſie noch
nicht vernommen, dann lautes Schluchzen bis das ge-
räuſchvolle Oeffnen der Thür ſie von ihrem Lauſcherpoſten

bvertrieb.

Geiſterbleich und zornbebend kehrte Felten nach ſei-
nem Zimmer zurück. Was ſollte, was konnte er be-
ginnen? Seinen gerechten Vorwürfen waren anfangs
Hohn, Spott, dann Thränen begegnet. Keine Bitte um
Verzeihung, kein Geloben der Beſſerung — nur ſtarrer
Trotz und laute Klagen über das armſelige Loos, welches
ſie gezogen. —
Wie konnte der Mann von Bildung, wollte er die
Ehre ſeines Namens nicht preisgeben, hier rettend ein-
ſchreiten? Sein Schwager? Sollte er ſich ihm ent-
decken? Welche Demüthigung, dem klugen feinen Manne
ſeine Rathloſigkeit zu geſtehen, ihm die ganze Haltloſigkeit
ſeiner Stellung klar darzulegen. Sein Verhältniß zum
Schwager hatte ſeit ſeiner zweiten Ehe eine merkliche
Aenderung erfahren. Ihre Beziehungen zu einander, das
hatte er oft empfunden, wurden einzig und allein nur
noch durch Leopoldinen aufrecht erhalten. Leopoldine!
 
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