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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 18 - No. 26 (3. März - 31. März)
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heweerger Zamilicublätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

1877.

X 23. Mittwoch, den 21. März

ö des Entſetzens. Aber, als hätten die Worte das ent-
Blut um Blut. flohene Leben zurückgerufen, legten ſich die beiden Arme
Von Hans Heiling. des am Boden Liegenden mühſam um das ſchluchzende

ö (Schluß.) Mädchen und er ſagte mit matter Stimme:

„Ima — es iſt geſühnt.“ ö

„Können Sie die letzte Bitte eines Sterbenden, eines „Sie ſtrich ſanft mit ihrer Hand über ſeine feuchte
Reuigen erfüllen — koöͤnnen Sie meinem Bruder ver⸗ Stirn und nickte traurig, während neue Thränen über

geben, Ima?“ bat Oswald innig.
Sie legte die Hand in die ſeine.
„Ich will es, Kronau — Gott helfe mir dazu.“
Er preßte die ſchlanken Finger an ſeine Lippen.
„Ich danke Ihnen, Ima, in ſeinem und in meinem
Namen. Gott lenke ebenſo das Herz Ihres Bruders.“
„Mein Bruder!“ rief das junge Mädchen mit neuem
Entſetzen. „Sie dürfen ihm nicht begegnen, bevor er
alles weiß. Laſſen Sie mich erſt mit ihm reden — er
wird Sie nicht zu Worte kommen laſſen.“
„Nahende Schritte tönten vom anderen Ende der
kleinen Gaſſe her.
„Ich muß jetzt fort,“ ſagte Ima haſtig. „Gehen
Sie nicht aus, bevor Sie Nachricht von uns erhalten.“
Und Oswald's Begleitung freundlich zurückweiſend,
ſchlüpfte ſie den dunklen Hof entlang. Noch hatte ſie
die Treppe des Hotels noch nicht völlig erreicht, als von
der Stelle, welche ſie ſo eben verlaſſen, laute Stimmen
zu ihr herüber drangen.
Sie lauſchte.
„Und nun noch meine Schweſter,“ hörte ſie deutlich
ſagen; dann folgten leiſer geſprochene Worte — jetzt
rief es heftig:
„Keine unnützen Worte — wehre dich, feiger Schurke!“
Eine momentane Stille — ein unterdrückter Schrei
— dann ein leiſes Stöhnen vom Thorbogen herüber.
Eine furchtbare Ahnung trieb ſie mit Windeseile
zu dem Platze zurück. Der Mond warf ſein bleiches
Licht durch das Häuſermeer hindurch, gerade auf ein
Srückchen der engen Gaſſe und den äußeren Eingang des
Thores. Hier, das entblößte Haupt an die hell beleuchtete
Wand gedrückt, lag eine ſchwarze Geſtalt lang zu Boden
geſtreckt — eine andere ſtand, wie es ſchien, regungslos
daneben.
„Oswald!“ ſchrie Ima, ſich neben der lebloſen Ge-
ſtalt nieder werfend und das ſchöne Haupt, welches ſie
ſchon einmal ebenſo todesbleich in jener Gondel geſehen,
auf ihre Kniee ſtützend. Kein Zug in dem ſtillen Antlitz
regte ſich und ihr Kopf ſank mit heißen Thränen auf
daſſelbe nieder. Die andere Geſtalt, in einen weiten
dunklen Mantel gehüllt, hatte noch immer wie verſteinert
an derſelben Stelle geſtanden, nicht weniger regungslos,
als der Lebloſe dort am Boden. Das Mondlicht ſpielte
mit dem blanken Stabl in der herabhängenden Hand
und mit dem dunklen Tropfen, der von ſeiner Spitze auf
die Steine glitt. Jetzt ſtreckte ſich die andere Hand aus
nach dem Arm des jungen Mädchens und eine drohende
Stimme ſagte:
„Hinweg, Unſinnige, hinweg von ihm!“
Ima fuhr nicht zuſammen bei dem Klange dieſer

Stimme — ihr war, als gehöre ſie hin an dieſen Ort

ihre Wangen rollten. ö
Ein glückliches Lächeln glitt über ſein ſchönes farb-
loſes Antlitz. ö ö
„Ima,“ flüſterte er leiſe, „jetzt darf ich es dir ſagen:
— ich habe dich geliebt — unſagbar, über Alles. O,
ſage auch du mir ein gutes Wort, bevor ich ſterbe.“
Sie hauchte einen Kuß auf ſeine bleichen Lippen.
„Gehe nicht von mir, Oswald,“ flehte ſie angſtvoll.
Ernſt zog jetzt hefiiger an dem Arm ſeiner Schweſter.
„Stehe auf, Ima,“ befahl er ſtreng.
Sie erhob ſich und ſtand nun hoch aufgerichtet,
feſten Willen und tiefſten Schmerz in ihrem feinen Antlitze
vor ihm.
„Du haſt einen Unſchuldigen getödtet, Ernſt,“ ſagte
ſie mit von Thränen faſt erſtickter Stimme. „Dieſer
Mann, den ich liede — ja, Ernſt, ich liebe ihn,“ wieder-
holte ſie feſt, als ihr Bruder eine Bewegung des heftigſten
Unwillens machte — „dieſer Mann iſt ſo unſchuldig an
Hermann's Tode, wie du und ich. Er kam hierher, dir
die letzten Worte ſeines ſterbenden, reuevollen — Bruders
zu überbringen.“
Der Offizier zuckte zuſammen.
„Seines Bruders!“
„Kniee hin zu deinem Opfer, Ernſt, und laß dir
meine Worte wiederholen — — wenn er es noch kann.“
Err ließ die blutige Waffe klirrend auf die Steine
fallen und knieete, Angſtſchweiß auf der kalten Stirn, zu
Kronau nieder.
„Iſt es wahr, was ſie ſagt?“ ſtöhnte er.
Oswald ſah mit einem milden Blicke zu ihm auf.
„Verzeihen Sie ihm,“ fluͤſterte er bittend — „er hat
ſchwer gebüßt.“
„Gott im Himmel!“ rang ſich aus des Offiziers
aͤchzender Bruſt.
Oswald ſtreckte ſeine ſchwache Hand nach ihm aus.
„Ich hatte ihm gelobt,“ ſagte er, ſchmerzlich lachelnd,
„Ihnen mein Leben als Sühne für ihn zu bieten — ich
war darauf vorbereitet — Laſſen Sie nun alles zwiſchen
uns ausgelöſcht ſein,“ bat er leiſe.
Ima war an der anderen Seite des Verwundeten
niedergekniet; — ſie legte die Haͤnde der beiden Maͤnner
in einander.
Ernſt faßte krampfhaft nach ſeiner Bruſt — ein
erſchütternder Aufſchrei rang ſich von ſeinen Lippen —
laut weinend brach der ſtarke Mann zuſammen.

* 1
1

Lange, bange Tage und Nächte waren verſtrichen,
in denen Ernſt nicht von dem Lager des Kranken ge-
wichen war. Er hatte darauf beſtanden, die Pflege allein
 
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