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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 27 - No. 34 (4. April - 28. April)
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Heidelberger Zamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 2 8S. —

Samſtag, den 7. April

1877.

Dieſſeits und jenſeits des Betans.
Erzählung von F. A. Lorche.

Corſſezung)

Die drei Menſchen, aus demſelben Orte kom-
mend, derſelben Stadt zuſteuernd, fanden ſich auf die
natürlichſte Weiſe immer wieder zuſammen. Unter ſo
verſchiedenen Verhältniſſen auch Editha und Herbert dort
gelebt, die gleiche Bildung, ein gleicher Geſchmack an
Lectüre, ein warmes Intereſſe und feines Verſtändniß
für die Kunſt auch bei ihm, weckten tauſend Beziehungen
zu der fernen Heimath und ließen ein lebhaftes Geſpräch
nie in's Stocken gerathen. Und durch alles hindurch
blickte immer ſeine glückliche und heitere Lebensanſchauung.
„Es muß auch noch getanzt werden, ſo lange es
ruhig bleibt“, meinte er eines Abends und der jugendliche
Theil der Geſellſchaft ließ ſich leicht dazu bewegen.
Seit der Tanzſtunde „mit lauter Mädchen“ war es
das erſte Mal, daß Editha ſich mit einem ebenbürtigen
Partner nach rhythmiſchem Takt in frohem Kreiſe ſchwang,
es ſchien ihr in dieſen Tagen, als wiſſe ſie jetzt erſt,
was es heiße, jung zu ſein.
Mieajeſtätiſch glitt das breite Schiff durch die mächtige
Fluth und heiter glitten ihr die Stunden im ernſten Ge-
ſpräch unter den poetiſchen Eindrücken des leuchtenden
Tag⸗ und Nachtgeſtirnes am weiten Himmelsdom über
dem ewig dahinrauſchenden Ocean.
Ein Reif fiel auf die junge Blüthe dieſes Glückes.

So gern es Herbert vermieden hätte, ſo kam es doch nach

einigen Tagen zur Sprache, daß das Haus Bright, zu
deſſen Dienſten ſich Editha für ein Jahr verpflichtet
hatte, daſſelbe war, welches unter der Firma Bright und
Feld hüben und drüben wohlbekannt, und daß er als
Vertreter der europäiſchen Handelshälfte eben nach Amerika
reiſte. — Eine leichte Röthe überflog Editha's Wangen
und freudig leuchtete es für einen Moment in ihren
Augen bei dem Gedanken, auf dieſe Weiſe mit Herbert
in ſteter Verbindung zu bleiben. Peters bemerkte es mit
Beſorgniß.
So bald er ſie des Abends allein ſprechen konnte,
ſagte er zu ihr:
„Sie wiſſen, daß ich den beiden jüngſten Mädchen
der Mrs. Bright, die auch Ihre Schülerinnen werden
ſollen, Privatunterricht gebe. Es ſind gute, aufgeweckte
Kinder, die ich aber leider nicht davon zurückhalten kann,
mich in alle Geheimniſſe ihres Herzens und in die des
Hauſes, wo ſie irgend welche aufſtöbern, einzuweihen.
Ich habe dies unpaſſende und wenig erwünſchte Ver-
trauen bisher durch die ſtrengſte Discretion zu ehren ge-
ſucht — Ihnen gegenüber aber will ich von jenen Mit-
theilungen ſoweit Gebrauch machen, als es für Sie dort
irgend von Nutzen ſein kann. — Zuerſt ſollen Sie er-
fahren, daß der junge Herr Feld der Verlobte der älteſten
Miß Disertaf ö
„Die er nie geſehen!“ rief Editha erſchreckt, ſi
raſch faſſend fügte ſie hinzu: „das wäre ja unerhört.“

„Das finde ich auch und habe deßhalb ein gewiſſes
Mißtrauen gegen den jungen Mann nicht überwinden
können, ſo gut er mir auch ſonſt gefällt.“
„Aber was ſollte ihn dazu bewogen haben?“
„Die Väter haben es geplant, Miß Bright beſitzt
eine Million, ihr von großmütterlicher Seite erb⸗ und
eigenthümliches Privatvermögen, und daß das Geſchäft
auf dieſe Weiſe zwiſchen den beiden Häuſern fortgehen
kann, iſt mehr werth als eine Million. Miß Bright iſt
ein hübſches Mädchen (der junge Mann hak ihre Photo-
graphie in ſeiner Brieftaſche), ſie iſt wohlerzogen u
elegant bis in die Fingerſpitzen. Eleganz vertritt für
dieſe Leute die Stelle der Poeſie, und je reicher ſie ſind,
deſto mehr ſtreben ſie nach Geld. Zu den Reichſten zu
gehören, iſt ihr Ehrgeiz.“
„Von ſolcher Geſinnung“, erwiderte kleinlaut Editha,
„habe ich bei dem jungen Mann nichts bemerkt, und daß
er Gefühl für wahre Poeſie hat, davon bin ich über-
zeugt.
Editha's Weſen war fortdauernd viel zu reſervirt
geweſen, als daß ſie einer entſchiedenen Schwenkung be-
durft häͤtte, um wieder ganz in ihre ſtolze, abweiſende
Haltung zurückzukehren.
„Man kommt keinen Schritt weiter mit ihr,“ ſagte
Herbert zu ſich ſelbſt; es war ihm ganz recht, um ſo
unbekümmerter für ihre und ſeine Ruhe durfte er ſich
dem Reiz überlaſſen, den das tägliche Zuſammenſein mit
ihr auf ihn ausübte.
* *
Der Hafen war erreicht, der Landungstroubel über-
ſtanden. Editha ſaß bereits in dem Wagen, den man
zu ihrem Empfange geſandt, als Herbert noch zu ihr
eilte, um ihr Lebewohl zu ſagen. Das Gefühl, mit die-
ſem Abſchied zugleich von der ſchönſten Zeit ihres Lebens
zu ſcheiden und vermuthlich der ſchwerſten entgegen zu
gehen, leuchtete warm, ihr unbewußt, in ihren Augen und
warm erwiderte ſie ſeinen letzten Händedruck. — Er bog
ſich noch einmal zu ihr, über die Wagenthür, die er
ſchloß, verlangend nach noch einem ſolchen Blick. Aber
ſie hatte ſich ſchon in die Wagenkiſſen zurückgelehnt und
den Schleier am Hut heruntergelaſſen.
„War das wirklich ihr Blick und ihr Händedruck
geweſen?“ fragte er ſich erſtaunt. Einen Moment ließ
er die ſelige Empfindung, die ſie in ihm erweckten, in
ſich nachklingen. Dann raffte er ſich auf. Er konnte
dennoch freien Herzens Miß Alice gegenübertreten, die
ſeine ganze Phantaſie erfüllte. ——
Ees war ein langer Weg, den Editha zurückzulegen
hatte. Er gab ihr Zeit, ſich zu ſammeln und ſich zu
wiederholen, was ihr Peters über die Menſchen, mit
denen ſie zunächſt leben ſollte, vertraut hatte. Mit Mr.
Bright würde ſie nichts zu thun haben, hatte er gemeint.
— Es ſei ein Geſchäftsmann, der ſich nicht mehr um
die häuslichen Verhältniſſe kümmere, als es durchaus
nöthig. — Mrs. Bright wäre die hochmüthigſte und
dümmſte Frau unter der Sonne. — Der älteſte Sohn,
 
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