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Heidelberger Familienblätter — 1877

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No. 53 - No. 60 (4. Juli - 28. Juli)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

58.

Samſtag, den 21. Juli

1877.

„Za oder nein.“
Novelle von W. v. Düänheim.
Nachdruck verboten. Geſ. v. 11. M. 70.

Ein ſchwüler Sommertag ging zur Rüſte. Die
Sonne ſtand noch inmitten glühenden Gewölks am Hori-
zont, aber doch wehte ſchon ein erfriſchender Hauch, der
Menſchen und Thiere freier athmen ließ.
Die Straßen der altehrwürdigen Provinzialhaupt-
ſtadt belebten ſich. Aus allen Thüren erſchienen die
Spaziergänger, froh, daß der unerträglich heiße Tag
vorüber war.
Das allgemeine Ziel bildete der Park inmitten der
Stadt. Dorthin ſtrömten die wandernden Gruppen,
denen aus den ſchattigen Alleen wohlthuende Kühle ent-
gegen kam. Lindenblüthen füllten den ganzen weiten
Raum wit ihrem Duft. Hinaus, hinaus unter die Bäume,
jubelte es in jeder Bruſt und Alles eilte, die Sommer-
nacht zu genießen. ö
Nur ein Spaziergänger erſchien theilnahmlos, wel-
cher langſam, dem großen Zuge folgend, die Straße nach
dem Park hinabſchritt. Auf ſeinem männlich ſchönen
Antlitz lag es wie Trauer, Langeweile, ja ein wenig
Blaſirtheit. Sein Aeußeres verrieth ſogleich den Frem-
den, den Reſidenzbewohner. ö
kein Verlangen zu tragen. In ſeinen Mienen prägte es
ſich deutlich aus, daß er an ganz andere Dinge dachte,
wie an diejenigen, welche ihn umgaben. —

Doch plötzlich fuhr er zuſammen und that eilig einen

Schritt vorwärts, während er, aus der Zerſtreuung er-
wachend, ſchnell mit der Hand zum Hut fuhr. Allein
ſein Gruß kam zu ſpät. Die Dame, der er galt, war
ſoeben aus einer Seitenſtraße eingebogen, und nun ſchon
vorüber. Gleich darauf erreichte ſie drei junge Mädchen,
die eine Strecke vor ihm gingen, und von denen ſie leb-
haft begrüßt wurde. Die andern wendeten ſich eilig. zu
ihr und lauſchten ihren Worten. Mit ihrem Kommen
begann eine Luſtiglkeit in der kleinen Geſellſchaft, welche
allen Vorübergehenden ein beifälliges Lächeln entlockte.
Die vier Mädchen ſchienen übrigens nur für ſich da zu
ſein, und gar nicht zu merken, daß man ſie beobachte.
Der einſame Spaziergänger war jetzt wie verändert.
Gemeſſen hielt er mit der Mädchengruppe Schritt, wäh-
rend ſein Blick beharrlich auf der ſchlanken Geſtalt ruhte,
die eben hinzugekommen. Von Zeit zu Zeit, wenn ſie
ſich im Geſpräch, oder lachend zur Seite neigte, ließ ſie
ein wenig von ihrem kräftig und ſchön geſchnittenen
Profil ſehen. Allein auch die Grazie, mit der ſie ging,
die Anmuth der ganzen Erſcheinung, beſaßen ſchon An-
ziehendes genug, um einen jungen Mann zu feſſeln.
Wie erſchreckend ſtand ſie plötzlich ſtill. Sie bückte
ſich, blickte ſuchend nach unten, aber ehe ſie es erhaſchte,
glitten Tuch und Fächer an ihrem Kleide auf's Trottoir
hinab. Haſtig that ſie einen Schritt vorwärts, um nicht
darauf zu treten und wandte ſich dann erſt um, es auf-
zuheben. In dieſem Augenblick holte ſie der junge Mann

Nach Geſellſchaft ſchien er

ihre Erinnerung lebendig zu werden.

ein, ſchneller wie ſie, hob er das Niedergefallene auf und
reichte es ihr mit hoͤflicher Verbeugung hin.
Sie dankte ihm mit einem Blick aus ihren großen
freundlichen Augen, die klug und kindlich zugleich drein-
ſchauten, — und mit einem Lächeln, welches ihr reizend

fſtand. Das machte ihn verlegen. Er, der ſo ausſah,

als könne er ohne Mühe eine Eiche aus der Erde reißen,
wurde roth, wie ein ſchüchternes Mädchen und fand kein
Wort, obgleich er wohl etwas ſagen wollte.
Sie bemerkte es und ſah ihn einen Augenblick frei
und fragend an, als ſchwebe es auf ihren Lippen, aus-
zurufen: „was hat das zu bedeuten!“ Dann flog auch
über ihr Geſicht eine flüchtige Röthe, ſie nickte noch ein-
mal leicht, wandte ſich und ging. — —.
Die Begegnung hier in der Straße war nicht die
erſte geweſen. Einige Stationen vor der Stadt war ſie
mit größerer Geſellſchaft in's Coupee geſtiegen, in dem
er bei der Herreiſe ſo lange allein geſeſſen, Wälder,
Felder und Wieſen angeſehen und geträumt hatte. Zu-
erſt war ihm die Störung unangenehm geweſen, bald
aber zog ihn das hübſche Maͤdchen mit ihren klugen Be-
merkungen an. Ohne auf ihn Acht zu geben, unterhielt
ſie ihre Begleiter und er erſtaunte über die natürliche
Anmuth ihrer Art zu ſprechen, die ſich mit treffendem
Urtheil paarte. Er hatte noch niemals alle Dinge auf
ſo einfache Weiſe behandeln hören, und das ſo richtig.
Sie ſagte alles gerade heraus, wie ſie es eben mit ihren
klaren verſtändigen Augen ſah und mit ihren noch ver-
ſtändigeren Gedanken erfaßte.
Dabei war ſie ebenſo beſcheiden als klug, nicht ver-
legen, nicht dreiſt, muthvoll und doch zart zugleich. Und
ſie konnte ſo fröhlich lachen, recht wie ein Kind. Er
ſagte ſich bald, daß er ein Mädchen, welches ſo fein und
frei zugleich in ihrem Weſen war, noch nicht kennen ge-
lernt habe, und er bedauerte, daß die Fahrt ſo ſchnell zu
Ende ging. Auf dem Perron verlor er ſie damals aus
dem Auge und glaubte ſchon, ſte nicht wiederzuſehen.
Indeſſen in der Provinzialhauptſtadt drängt ſich das
Leben der Vornehmeren auf wenige Straßen und Plätze
zuſammen. Alle diejenigen, welche dort zu gleichem Zwecke
weilen, treffen darin einander, ohne ſich zu ſuchen.
So erging es auch ihr und ihm. Er war freudig
überraſcht, ſie in einem Kaufladen wiederzuſehen, und
grüßte — er wußte ſelbſt nicht, wie es geſchah — als
ſei ſie ſeine alte Bekannte. Doch ſie mußte ihn wohl in
der Eiſenbahn nicht gerade bemerkt haben, oder ſie ent-
ſann ſich ſeiner augenblicklich nicht; denn ſie erwiderte
ſeinen Gruß nur ſo flüchtig, daß er dort bereits zum
erſten Male verlegen wurde und ſich bald entfernte.
Einige Stunden darauf fand er ſie bei einem Buch-
händler, wo ſie Muſikalien einkaufte, und diesmal ſchien
Sie dankte ſehr
freundlich und lächelte, als ſie ſah, wie der Sonnenſchein
in ſeinem Geſichte aufging.
Dann hatte er gehört, wie ein Gehülfe den andern
leiſe beauftragte, den Prinzipal zu holen, der befohlen,
wenn dieſes Fräulein käme, ihm allein die Bedienung

vorzubehalten. Der Prinzipal eilte auch wirklich mit der
 
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