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Heidelberger Familienblätter — 1878

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No. 10 - No. 17 (2. Februar - 27. Februar)
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Beletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

10.

Samſtag, den 2. Februar

18578.

Ber Rechte.

Erzählung von E. Hartner.

Fortſetzung.)

So klein die Szene war, ſie hatte in Hildegard doch
einen Mißklang zurückgelaſſen, deſſen ſie nicht Herr wer-
den konnte. Sie mochte es betrachten, von welcher Seite
ſie wollte: er hatte ſeine Mutter verleugnen wollen.
Das war ein Flecken in ihrem Ideal, den Hildegard

nicht verzeihen konnte. Ihr junges Herz empörte ſich für

die verlaſſene arme Alte, ſei ſie nun wes Standes ſie
wolle, und ſie fühlte, daß es großer, ſelbſtloſer Liebe be-
durfte, um mit unwandelbarer Treue an einem Sohn zu
hängen, der ſich zu gut dünkte für die Seinen.
In ſolche Gedanken vertieft, hatte ſie ſich in eine
Fenſterniſche zurückgezogen, wo ſie ziemlich allein ſtand.
Die meiſten Paare hatten den Tanzſaal verlaſſen,

der während der Pauſe gelüftet wurde. Das Wetter war

in den letzten Tagen umgeſchlagen und die Luft drang
empfindlich kühl in den überhitzten Raum.
„Wenn ich auch jetzt nicht mehr um einen Tanz
bitten darf, ſo geſtatten Sie mir doch, daß ich mich nach
Ihrem Befinden erkundige, mein gnädiges Fräulein.“
Hildegard ſah auf; Hubert ſtand vor ihr. „Ich
würde mir ſelber leid thun, wenn ich noch einen Tanz
hätte!“ ſagte ſie lächelnd. „Was mein Befinden anbe-
trifft — nun, ich kann nicht klagen! “
Sie ſagte das mit einem Ton, der Hubert betroffen

machte, ſeine ernſten Augen ruhten mit einem Blick ſo

inniger Theilnahme auf ihr, daß ſie die ihren in Ver-

wirrung ſenkte. „Sie ſollten nicht hier bleiben!“ ſagte
er mit leiſem Tadel. „Sie ſind erhitzt und es iſt hier

ſehr kühl“
„Wir ſind im Mai!“ erwiderte ſie.

„Man kann ſich auch im Auguſt erkälten!“ ſagte

er eifrig. „Ich bitte, gehen Sie wenigſtens von dem

Fenſter fort oder geſtatten Sie mir, es zu ſchließen!“

Sie gehorchte faſt unwillkürtich und er machte es zu.
„So!“ ſagte er vergnügt. „Jetzt iſt unſere Ecke
vor der kalten Nachtluft geſchüͤtzt und wir können ein
wenig plaudern. Worüber haben Sie vorhin nachgedacht,
als Sie ſo allein und ernſthaft hier ſtanden??ꝰ?
Hildegard ſah mit ernſtem Blick zu ihm auf.

glaube kaum, daß die Frage, die mich deſchäftigt hat, Sie
intereſſtren könnte 1“ ſagte ſie lägelnd.

„Wenn es kein Geheimniß iſt, ſo laſſen Sie es mich
wiſſen!“ ſagte er, ſich neben ſie ſetzend. „Sie wiſſen,
Faueenſc wie ich intereſſirt ſich füͤr verwickelte
e — 2
Hildegard ſah auf das männliche Antlitz vor ihr,
das ſo ernſt und ſo gütig zugleich zu ihr aufſſah. Ob-
gleich ſie den Aſſeſſor nicht recht leiden mochte, hatte ſie

doch immer eine Art von Vertrauen zu ihm gehabt und

oft hatte ſie arglos vor ihm ausgeſprochen, was ſie keinem

andern Herrn hätte ſagen können. So kam ihr auch jetzt

faſt unbewußt das Wort über die Lippen: „Was verſteht
man eigentlich darunter, wenn man ſagt, daß ein Mann
für ein Mädchen der Rechte iſt?“?
Hubert biß ſich auf die Lippen und ſein männliches
Antlitz bedeckte ſich mit plötzlicher dunkler Gluth. Er
warf einen raſchen, fragenden Blick auf das Mädchen,
aber Hildegard ſah mit ſo vollkommen ruhiger Unbe-
fangenheit vor ſich hin und auf ihrer klaren Kinderſtirn
ſah er ein Fältchen ſo ernſten Nachdenkens, daß er die

Bewegung, die ihm heiß im Herzen auſſteg, mit gewaltt.

ſamer Anſtrengung bewältigte. Was auch immer ihr
Herz bewegte, noch lebte keine Neigung zu ihm in ihrer
Seele, ſonſt wäre dieſe Frage eine Unwöglichkeit geweſen;

denn von Koketterie war ſie nie ferner geweſen, als in

dieſem Augenblick, das ſah er deutlich. ö
„Sie müſſen mir ſchon geſtatten,
tiger Bücherwurm ſehr weit aushole,“ ſagte er nach
kurzem Schweigen mit ruhiger Stimme.

gehabt. ö
worden und aus den Hälften ſind Mann und Weib ent-
ſprungen. Aber das unklare Bewußtſein, das Gefühl
der Zuſammengehörigkeit hat ſich erhalten und jeder halbe,
unvollkommene Menſch ſucht inſtinktiv ſeine andere Hälfte,
die ihn erſt zum ganzen, vollkommenen Menſchen machen
ſoll. Dieſer ergänzende Theil des eigenen Weſens iſt es,
den unſer Sprachgebrauch mit dem Ausdruck „der Rechte!“
bezeichne.t.I.

daß ich als rich-

Hfidelberger Zamilienblätter.

ö „Plato erzählt.
in früheren Zeiten habe der ganze Menſch Kugelgeſtallll
Dieſe Kugel iſt auf irgend eine Art getheilt

Hubert hatte ſehr ruhig geſprochen, keine Miene

ſeines Geſichtes hatte verrathen, was ihm die trockene

Augen gegenüber koſtete.

„Und glauben Sie wirklich,“ ſagte Hildegard jetzz
mit ſo tiefem Ernſt, daß er erſchrack, „daß dieſe An-

ſchauung — denn im Grunde iſt es doch eine Anſchauung
im Gewande der Fabel — auf einer Wahrheit beruht?“
„Das glaube ich beſtimmt!“ erwiderte Hubert ernſt-
haft. „Seine Fehler und Mängel hat eben ein Jeder,
aber es gibt Menſchen, die ſich gegenſeitig ſo vollkommen

ergänzen, daß die Mythe der alten Griechen ſehr glaub-

würdig erſcheint.s ö
Hildegard ſtrich ſich mit der Hand über die Stirn
und ein ſo tiefer Seufzer ſchwellte ihre Vruſt, daß Hubert
erſchrocken aufſäh. Der Wiederbeginn des Tanzes machte
jetzt dem Geſpräch ein Ende und Hildegard ſchwebte am
Arm ihres Taͤnzers davon, Hubert ſah ihr lange in
tiefe Gedanken verloren nach. B
Der Ball war zu Ende. ö

Auseinanderſetzung an dieſer Stelle, dieſen fragenden

OHildegard ſtand in der Thür, ſie war zur Heimfahrt — —
angekleidet und wartete auf ihre Mutter, die im Geſprͤch
mit ihrem Onkel noch ein wenig in der Garderobe zögerte.

Nur wenige Schritte von ihr ſtand Hubert im Geſpräch

mit Valentine, von der er ſich eben verabſchiedete. Ein
haſtiger Schritt näherte ſich, Herr Erbach ſtand an Hilde-
gard's Seite. — ö
IIch wollte ö
mich für heute von Ihnen verabſchiede, mein gnädiges

Fräulein,“ ſagte er mit einem feierlichen Ernſt, der, das

mir noch eine Frage erlauben, ehe ich
 
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