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Heidelberger Familienblätter — 1878

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No. 62 - No. 70 (3. August - 31. August)
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Heidelberger gamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Samſtag, den 10. Auguſt

1878.

VBVelladonna.
Von S. v. d. Horſt.

(Fortſetzung.)

Lita flog wie eine Elfe ihm voran zum Wagen, in-
dem ſie ihn, anſtatt ſeinen Arm zu nehmen, an der Hand
nach ſich zog. Der Fächer und die Ausſicht auf den
Tanz im Blankenberger Saal hatten alle mühſam ein-
ſtudirte damenhafte Haltung über den Haufen geworfen.
Sie war ein ausgelaſſenes Kind, deſſen anmuthige Natür-
lichkeit die Herzen bezauberte, ohne es ſelbſt zu ahnen.
Guſtav Werner ſaß ihr gegenüber und ſah faſt un-
verwandt in das lachende Geſichtchen. Er nannte un-
willkürlich im Geiſte das ſchöne Mädchen „Paula“, aber
er vermochte es doch kaum, auch nur ein einziges Wort
an die ältere Schweſter zu richten. Warum den ſchmerz-
lichen Eindruck ſelbſt herbeirufen, warum die Schatten
aufſuchen, während helle Sonne erglänzt? — — —
„Du, Guſti, paß auf!“ flüſterte Lita. „Jetzt kommt
gleich das Haus des Amtmannes, dort wohnen meine
beiden beſten Frenndinnen, auch zwei aus der Altersklaſſe
der ehemals dreijährigen, weißt du, — die ſollen ſich ein
wenig wundern “
Und die kleine Schelmin beugte ſich im offenen Wa-
gen ſo ſehr als nur möglich vor. Sie ſah ſchon von
weitem, daß Anna und Helene im Vordergärtchen unter
der Marquiſe ſaßen, und ihr neckiſcher Blick traf den
Fremden. „Jetzt, Guſti, jetzt!“
„Lita“, rief mit ſcharfem Tone die ältere Schweſter.
Aber Niemand beachtete ſie. Eliſabeth lehnte ſich
nachläſſig in den Fond der Kutſche und ließ ſpielend ihren
Faͤcher auseinandergleiten, gerade als die neugierigen
Augen der Amtmannstöchter das ungewohnte Ereigniß
eines am Werktage hier vorüberfahrenden Wagens be-
obachteten. Ein lebhaftes Fächerſpiel begrüßte die er-

ſtaunten Mädchen, während zugleich der Rektor und Guſtav

Werner pflichtſchuldigſt ihre Hüte zogen.
Als man an dem Hauſe vorbeigefahren war, hüpfte
Eliſabeth vor Entzücken auf dem Sitz empor.
„Jetzt biſt du eingeführt, Guſti“, flüͤſterte ſie. „Nun
prickelt es die Beiden vor Neugier, wer du wohl ſein
möchteſt. Sie kombiniren, daß du weit herkommſt, weil
dein Teint ſo ein wenig mulattenmäßig ausſieht, aber
ſehr hübſch, Guſti, viel hübſcher als Männergeſichter wie
Milch und Blut! — ſie ſagen ſich, daß du allein mir
den prachtvollen Fächer geſchenkt haben kannſt, und zer-
„brechen ſich nun die Köpfe, wer du wohl ſein mögeſt.
Gib Acht, morgen beſuchen mich die Beiden.“

„Papa“, bat mit erſtickter Stimme Paula, „verbiete

es doch, daß Eliſabeth durch ihr unpaſſendes Benehmen
die Blicke der Leute auf ſich zieht.“ —
Der Rektor lächelte begütigend. „Beſte Paula“,
ſagte er freundlich, „du übertreibſt. Jedermann kennt
uns, warum alſo ſollte Lita ſo ängſtlich den äußeren
Schein bewahren, da doch Niemand von ihr etwas Nach-
theiliges glauben könnte. Du ſelbſt haſt es vor vierzehn
Jahren nicht anders gemacht.“

Eliſabeth erſchrack. Ihr neuer Freund erblaßte, ſo-
bald von der Vergangenheit geſprochen wurde, das that
ihr weh, als ſie es ſah.
„Guſti“, ſagte ſie raſch, „ſieh, wie hier zwiſchen den
Steinen aus purer Langerweile das Gras emporwäͤchſt,
— mitten auf dem Markt. That es das früher ſchon?“
Er wiegte mit bedenklicher Miene den Kopf.
„Jetzt folgt ein niederdrückendes Bekenntniß, Lita!“
„Ach“, lachte ſie, „heraus damit!“
„An dieſer Stelle weideten vor vierzehn Jahren
friedliche Hörnerträger. Die Grashalme, welche dein
ſtädtiſches Bewußtſein entrüſten, ſind letzte Erinnerungen
der damaligen Bedeutung dieſes Platzes.“
„O lieber Himmel! — Und ein ſo profaner Ort iſt
jetzt der faſhionabelſte Stadttheil von allen!“
„Weil er der neueſte iſt, das glaube ich wohl!“
Lita ſchüttelle eigenſinnig das Köpfchen. „Wie ſchön
iſt unſer Park mit ſeinen urwaldmäßigen Laubmaſſen und
geheimnißvollen Gängen zwiſchen Blumen und Gebüſchen,
gegen Amtmanns flachen Kohlgarten, wo kein Schatten
zu finden iſt und keine Romantik. Warſt du eigentlich
ſchon im Pavillon, Guſti? — Dort iſt es am ſchönſten.“
„Sehr ſchön!“ verſetzte er kurz. „Aber da du die
romantiſchen Scenerien ſo zu bevorzugen ſcheinſt, liebe
Lita, — was würdeſt du erſt von Amerika ſagen?“
Sie ſah ihn an und erröthete noch, während ſie
ſprach. „Vielleicht würde ich Amerika um ſo vieles ſchöner
finden, Guſti, aber es iſt doch auf alle Fälle ein fremdes
Land, in welchem die deutſche Art keine Heimath, ſondern
nur Gaſtrecht beſitzt.“ ö
Er nickte ſtumm. Was hier das Verſtändniß des
ahnungsloſen Kindes ſo unbewußt herausfand, das hatte
er ja bitter wie den Tod ſo oft, ſo hundertfältig em-
pfunden, wenn in einſamer Urwaldnacht nur die Stim-
men der Wildniß an ſein Ohr ſchlugen und rings um
ihn herum jeder Laut an Fremdes gemahnte, jeder An-
blick ſolche Bilder zeigte, wie ſie in der deutſchen Heimath
nicht gedacht werden können.
Der Rektor ſchien einen kleinen Seufzer zu unter-
drücken.
„Blankenberg ſoll für zwanzigtauſend Thaler los-
geſchlagen werden“, ſagte er. „Ich wollte, daß ich es
kaufen und mich penſioniren laſſen könnte. Das Ge-
dächtniß des Sechzigers wird nachgerade für den Virgil
und den Horaz ein wenig ſtumpf, — es ſehnt ſich nach
beſchaulicher Muße.“
Guſtav Werner ſah fragend ſeinen ehemaligen Lehrer
an. Ein wohlthuender angenehmer Gedanke ſchien plöͤtz-
lich in ihm aufzutauchen. ö
„Würde aber nicht Ihr Beſitz in der Stadt viel mehr
werth ſein als zwanzigtauſend Thaler, Herr Rektor 7
Der Alte lächelte. „Das freilich, mein Junge, er
iſt wohl fünfzigtauſend werth, aber verkaufen kann ich
Wd doch nicht, und zwar weil er der Kommune
ehört“.
„Ach! — — Eine Dienſtwohnung!“ rief überraſcht
der Fremde. ö
„Nichts anderes. Hielteſt du mich bisher für den
 
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