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Heidelberger Familienblätter — 1878

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No. 79 - No. 87 (2. October - 30. October)
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Heidelberger Lamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

NO. 82.

Samſtag, den 12. October

1878.

Tante Beate.

Novelle von Emilie Reisner.
Cortſeßung.)

Der Fremde überblickte flüchtig die verſchiedenen
Gruppen des kleinen Vorplatzes, deren Mitglieder die
neue Erſcheinung ebenfalls in eingehendſter Weiſe zu
muſtern nicht verfehlten, und die gemachten Bemerkungen
in ziemlich ungenirtem Flüͤſtern ſich mittheilten — hier
war nichts, was ſein Auge feſſeln konnte; ja ein faſt
geringſchätziges Lächeln flog um die ſeinen, ſcharfgezeich-
neten Lippen, während er raſchen Trittes ſich der Brüſtung
am Abhang zuwandte, dort ein geſondertes Plätzchen zu
finden. Und nun leuchtete urplötzlich in dem ſtolzen Ge-
ſicht ein Schimmer auf — ſo warm und froh: Niemand
hätte wohl dieſe ſtrengen, feſtgemeißelten Züge ſolchen
Ausdrucks fähig gehalten! Sein Blick war auf Doris
gefallen.“ ö ö ö
Man begrüßte ſich gegenſeitig mit einer Herzlichkeit,
wie ſie ſo oberflaͤchlich — nicht einmal dem Namen nach
— Bekannten, ſonſt ſelten entgegengebracht wird, und
motivirte vor ſich ſelbſt, wie vor den Andern dies Ent-
gegenkommen durch die ſcherzende Hinweiſung auf den
ſeliſamen und doch ſo freundlichen Zufall, der in unge-
wöhnlich günſtiger Laune hier ſein neckendes Spiel treibe.
Eigentlich vergriff man ſich wohl im Ausdruck, denn
keiner — vielleicht mit Ausnahme des Papa Damon —
mochte innerlich ſo recht an das glauben, was der Mund
ausſprach. Sieht doch die Jugend in allem, was den
augenblicklichen Wünſchen und Träumen des eigenen
Herzens entſpricht, ſo gern und willig des Schickſals
leitende Hand, und wie ernſt und lebensreif unſer Frem-
der ſonſt auch dreinſchauen mag, — die warme Gluth,
die vorhin beim erſten Gruß auf dem wännlichen Geſichte
lag, der leuchtende Strahl im hellen Augenpaar gibt uns
das unbeſtreiibare Recht, eben in dieſer Beziehung ihn
der Jugend veizuzählen. Und die ſchlauen, ſorglichen
Mütter und Tanten heirathsfähiger Töchter und Nichten
— ach ſie theilen nur allzuoft dieſen Aberglauben, wenn
wir ſo ſagen dürfen, und nähren wohl unter deſſen Ein-
fluß Hoffnungen in den jungen Herzen, die in ihrem
Hatter Keime zu erſticken, Pflicht und Klugheit geboten
haͤtten. —
Dame Galathea — wir wollen ſie, der harmloſen
Grille ihres Gemahls zu Liebe, ferner ſo nennen —
Dame Galathea, wenn auch vieileicht dieſem Schickſals-
glauben huldigend, war dennoch, ihr zur Ehre ſei's ge-
ſagt, bedachtſam genug, die im Laufe des Geſprächs ſich
wie von ſelbſt entwickelnde Idee, mindeſtens fuͤr heut ge-
meinſam mit dem intereſſanten Fremdling zu wandern,
zu ſehen, zu genießen, mit kühler Zurückhaltung aufzu-
nehmen, und nachdem der einmal angeregte Gedanke den-
noch raſch zum Beſchluß erhoben worden, die leiſe An-
deutung zu wagen: es ſei jetzt, wo man ſich in dieſer
Weiſe gegenſeitig näher trete, doch wohl geboten, das

ſie wollte eben

bisherige Incognito aufzugeben und ſich, wie in guker
Geſellſchaft üblich — — *
„Ci, nicht doch! — iſt eben in wahrhaft guter Ge-
ſellſchaft, zu der wir hoffentlich Alle gehören, gar nicht
nöthig!“ ſiel ihr Gatte in ſeiner behaglichen Laune ein.
„Mag das beim Abſchied gelten, wo dadurch ein ſpäteres
Wiederſehen bedingt und ermöglicht wird — hier in un-
ſerer freien Bergnatrur thun Namen und Titel gar nichts
zur Sache, ich laſſe mir mein Idyll nicht ſtören! Bin
froh, daß ich die dicken Adreßbücher und langweiligen
Schutzmannsgeſichter unſeres modernen Babels, die einen
ewig an die ſchlimmſten möglichen Kalamitäten der eigenen
ſtaatsbürgerlichen Exiſtenz erinnern, mal im Rücken habe;
einverſtanden, mein Herr??
Der Fremde ging lächelnd auf den Scherz ein, Frau
Galathea zuckte ein wenig ungeduldig die Achſeln und
ſchwieg — auf Wortgefechte mit ihrem Mann ließ ſie
ſich, in richtiger Würdigung eigener und fremder Fäͤhig-
keiten, niemals ein. Phyllis aber zerpflückte in unmuthi-
ger Haſt ein Sträußchen Bergblumen, die ſie vorher am
Wege geſammelt, ſie hätte ſo um jeden Preis gern Na-
men und Verhältniſſe des anziehenden Fremdlings ge-
kannt! Daß er Jahre hindurch auf Reiſen im Ausländ,
jetzt erſt ſeit jKurzem in die Heimath zurückgekehrt war,
hatte ſich ſchon vorgeſtern, wo ſie auf einer nahe gele-
genen Burgruine zuſammengetroffen, im Laufe der Unter-
haltung ergeben; das ſtand ja auch auf ſeinem Geſicht,
im ganzen Gepräge ſeines Aeußern geſchrieben — aber
mehr wiſſen. Dieſe romantiſche Grille
des Vaterr ——
In Doris' blondem Köpfchen hatte ſich unterdeſſen
ein anderer Gedankengang angeſponnen, und ſie verfolgte
ihn ſtill während der Vorbereitungen zum Aufbruch, zu
denen jetzt der Onkel ſelbſt mahnte. Der Fremde mußte
— das erhellte aus der ſichern und präciſen Angabe
ſeines Wanderplans, der, wie ſchon erwähnt, nur für
heut mit dem der Familie zuſammenlief — ein Kind der
Gegend, längſt vertraut mit des Gebirges wild ver-
ſchlungenen Pfaden ſein, denn vom heutigen Tagesziel,
der Herberge zum Hirſchjäger aus, die bereits in der
höheren und wilderen Gebirgsregion gelegen, aber viel-
beſucht und als herrlicher Ausſichtspunkt vorzüglich em-
pfohlen war, trennten ſich dann am Morgen die beider-
ſeitigen Wege; der Fremde, leidenſchaftlicher Botaniker,
wollte die jenſeits der Grenze gelegenen, ihrer ſchroffen
Wildheit, aber auch ihres ſeltenen Pflanzenreichthums we-
gen berühmten Fünfgründe durchwandern, während Onkel
Damon, wie längſt beſtimmt, ſeine Damen auf gebahn-
teren Wegen dem dieſſeitigen Glanzpunkt des Gebirgs-
zuges, den prachtvollen Waſſerfällen, und dann noch für
ein paar Tage dem nahen, weltbekannten Kurort zuzu-
führen beabſichtigte. Und kein freundlicher Zufall —
meinte Doris — lenkte wohl dann den Fuß des ein-

ſamen Wanderers ihnen nochmals entgegen, und die

ſchönen, tiefen, ernſten Augen leuchteten mit ihrem un-
begreiflichen Zauber ihr morgen früh beim Abſchied zum
letzten Mal — zum letzten Mal! ö ö
 
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