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Heidelberger Familienblätter — 1879

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No. 87 - No. 95 (1. November - 29. November)
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Demeberger ZemmUm

—— ———— ———————

ner.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

No. 93. Samſtag, den 22. Nopvember 15879.
Lonny „Ich that, was ich für aut hielt, denn die vertrau-
** liche Correſpondenz meiner Tochter mit einem Zeitungs-
Novelle von Eruſt Lothar. ſchreibergehilfen konnte mir unmöglich behagen.“
ö Und dennoch wollteſt du dieſem Zeitungsſchreiber-
(Fortſetzung.) gehilfen zumuthen, ſeine Stelle aufzugeben und die weite

Lonny blickte jäh von ihrem Buche empor. Der
Name war ſeit jenem Geſpräch am Morgen der Abreiſe
nicht über der Mutter Lippen gekommen.
„Er war doch ein ehrlicher Menſch und uns treu
ergeben,“ fuhr die Gräfin nachdenklich fort.
„Das treueſte Herz unter der Sonne!“ rief das junge
Mädchen mit warmer Empfindung. „Wie aber kommſt
du ſo plötzlich auf ihn?“ ö
„Die Sache iſt, daß ich dem Rechtsanwalt, welchem
ich unſere Angelegenheiten übergab, nicht traue. — Es
gibt jetzt ſo viel Gaunerei in der Welt.“
„Der Mann erfreut ſich aber in der ganzen Stadt
des beſten Rufes.“ ö
„Uriheile ſelbſt, ob ich nicht Urſache habe, ihm zu
mißtrauen, wenn er mir hierin allen Ernſtes mittheilt,
daß nach ungefährem Ueberſchlag die ihm von mir zur
Verfügung geſtellten Objcte unſere Paſſiva nicht zur
Hälfte decken würden, ja daß der Erlös unſeres ganzen
Mobiliars kaum dazu genügen würde. Dieſe Advokaten
ſind Spitzbuben, einer wie der andere. Ich beſchied den
unſerigen auf morgen hierher und werde iym unumwun-
den meine Anſicht zu erkennen geben.“
„IUm des Himmels willen, Mama, ſprich keine un-
begründete Anſchuldigung aus. Abgeſehen von allem an-
dern lönnteſt du dir einen häßlichen Injurienprozeß da-
durch zuziehen. Hegſt du ein Mißtrauen, ſo laß dir die
Rechnungen einreichen und prüfe ſie ſelbſt.“
„Niemals! Ich mag perſönlich nichts damit zu thun
haben, und da ich eben o wenig von den Offizieren, welche
mir ihren Beiſtand anboten, einen Einblick in unſere An-
gelegenheiten geſtatten will, ſo dachte ich eben an Walter.
Härte ich mir nur ſeine Adreſſe gemerkt, ehe ich ſein
Schreiben dem Papierkorb überantwortete.“
„Lonny horchte hoch auf, während eine dunkle Röthe
ihr G. ſicht überflog.
„Ein Brief von Walter?“ fragte ſie, die Mutter ge-

ſpannt anblickend. „Hat er von Amerika aus an dich

geſchrieben?“
„Ja doch,“ erwiderte dieſe verdrießlich, „doch iſt es
ſchon eine ziemlich lange Weile her.“ ü
„Warum ſagteſt du mir nichts von dem Briefe,
Mama? Du würdeſt mir manche bange Stunde dadurch
erſpart haben. Hoffentlich war er glücklich angekommen
und ging es ihm gut?“
„Ei ja doch — vollkommen. Seine Stelle ſagt ihm
ſogar über Erwarten zu.“

„Und er ließ mir nichts — gar ni —
einmal einen Gruß 7* aus — ger niche azen — nich
„Einen Gruß? — Nein, Lonny, ein Gruß war dem
Herrn zu wenig. Er hatte die Dreiſtigkeit, einen Brief
für dich beizufuͤgen.“

Un, „Mana ꝛ⸗ let ihn mir vor, du unterſchlugſt

Reiſe über den Ocean zu machen, um dir in deiner Ver-
legenheit beizuſtehen?“
„Ich würde es natürlich nicht umſonſt verlangt, ſon-

dern ihm Reiſekoſten und Zeitverſäumniß reichlich bezahlt

haben.“
„Bezahlt und immer wieder bezahlt!“ rief Lonny
flammenden Auges. „Wenn ich nur dieſes entſetzliche
Wort in dieſem entſetzlichen Sinne nicht mehr zu hören
bekäme. Glaubſt du denn Walter mit den elenden paar
hundert Thalern, die er in unſerem Hauſe erworben, für
alle Zeit den Knechtsſtempel aufgedrückt zu haben? —
Hat nicht auch Papa um Sold dem Staate gedient, hat
nicht Großpapa ſeine Wolle und ſein Getreide verkauft,
läßt ſich nicht Tante Mimi in ihrem adligen Stift ſogar
für ihr vornehmes Nichtsthun honoriren? Keinem von
dieſen würdeſt du zugemuthet haben, ſich auch einen
Freundſchoftsdienſt mit ſchnödem Geld bezahlen zu laſſen.
Aber den Mann der geiſtigen Arbeit, den Lehrer, dem
du deine Kinder vertrauteſt, ihn glaubſt du für jrdes
Opfer wie einen gemeinen Taglöhner abfinden zu köunen.
Eniwürdigſt du dadurch nicht dich ſelbſt und deinen
Stand, auf den du ſo ſtolz biſt, und welcher an Einſicht

und Bildung hinter andern Ständen mindeſtens nicht

zurückſtehen ſollte?“
Die Generalin hatte ihrer Tochter mit ſteigender Ver-
wunderung zugehört. ö

„Mäßige deine Sprache,“ ſagte ſie jetzt — „und

vergiß nicht, mit wem du redeſt. Ich will nicht fragen,
woher du dieſe überſpannten Anſichten haſt, denn ich
kann mir die OQuelle allenfalls denken. Wenn aber Herr
Walter das in ihn geſetzte Vertranen dadurch zu recht-
fertigen glaubte, daß er dich lehrte, dem nivellirenden
Zeitgeiſte entſprechen, auch die ſchuldige Ehrerbietung ge-
gen deine Eltern aus den Augen zu ſetzen —“
„Das hat er niemals gethan,“ unterbrach ſie Lonny,
ſich gewaltſam wieder faſſend. „Es war meine eigene
Erregbarkeit, die mich über die Schranken hinwegriß.
Vergib, wenn ich dich verletzt habe.“ —
Die Beſprechung mit dem Rechtsanwalt fand am fol-
genden Tage ſtatt. Dank der Warnung Lonnys hielt die
Gräfin jedes beleidigende Wort zurück. Hoch aufgerichtet
in ihrem prunkoollen Armſeſſel mit dem vergoldeten Fa-
milienwappen ſitzend, den Lonny einſt ſcherzend den
Königsſtuhl genannt hatte, hörte ſie ſchweigend dem ge-
ſchäftlichen Berichte zu.
Da ſie ſich danach der Thatſache nicht länger ver-
ſchließen konnte, daß ihre Verhältniſſe eine gänzliche Ver-
änderung ihrer Lebensweiſe bedingten, ſo ermächtigte ſie
den Anwalt ihren Haushalt aufzulöſen, die Dienerſchaft
mit Ausnahme der Kammerjungfer zu entlaſſen und den

größten Theil ihres Mobiliars meiſtbietend zu verkaufen.

Selbſtverſtändlich ſollien dieſe unangenehmen Geſchäfte

erſt in ihrer Abweſenheit vor ſich gehen. Sie beabſich-
 
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