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Heidelberger Familienblätter — 1880

DOI Kapitel:
Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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ö — Mittwoch, den 17. März

2 chetritiſche Beilage zur Heidelberger Beitung.

VPethängniſſe.
Novelle von F. L. Reimar.
Fortſetzung.) —1

Die Uebernahme des neuen Poſtens hatte für Edmund
natürlich eine Fülle von Arbeiten und Verpflichtungen zur
Folge gehabt, und deßhalb war es ſehr wohl zu erklären,
daß er während der erſten Wochen und ſelbſt Monate ſeines

Aufenthalts in B. nur den Anforderungen ſeiner dienſt-

lichen Stellung gerecht zu werden vermochte, die perſön-
lichen Angelegenheiten dagegen mehr in den Hintergrund
treten laſſen mußte. So ward es denn vielleicht nur durch
einen Zufall verhindert, daß ein Vorſatz, den er einmal,
wenn auch nur oberflächlich, ſeinen übrigen Plänen an-
gereiht hatte, als ein verhältnißmäßig unbedeutender nicht
ganz und gar der Vergeſſenheit überantwortet wurde: der
Vorſatz, ſich zum Zeugen für Tante Irmgard's Dankbar-
keit zu machen! Als er ſich eines Tages in einem Adreß-
buch über die Wohnung eines ſeiner Amtsgenoſſen zu
orientiren ſuchte, glitt ſein Auge noch mechaniſch über eine
zweite Namenreihe hin und blieb dann an einer Zeile haf-
ten, welche Straße und Hausnummer des Präſidenten a. D.
von Bordelow bezeichnete. Sofort ward die Erinnerung
an die damalige Unterhaltung mit der Tante in ihm wach,
und wenn ſie auch noch ein Lächeln hervorrief — er ge-
dachte des kleinen Wortgefechts mit der guten, alten Dame
— ſo hatte ſie doch die Folge, daß er das ſeiner Tante
gegebene Verſprechen auf der Stelle zu entledigen beſchloß.
Eine Stunde ſpäter ſchon meldete eine Karte dem ge-
nannten alten Herrn, der in einer der ſtilleren, aber vor-
nehmeren Straßen des Weſtendes wohnte, ſeinen Beſuch.
Edmund ward angenommen und durfte mit der Aufnahme,
die er fand, zufrieden ſein: Herr von Bordelow empfing
ihn nicht allein ſehr artig, ſondern gewährte auch der Ver-
wandtſchaft ihr Recht, indem er den „jungen Couſin“ bat,
ſein Haus als das eigene anzuſehen. Bei alledem empfing
Edmund von dem Beſuche keinen beſonders tiefen Eindruck;
die etwas pedantiſch⸗umſtändliche Weiſe des alten Herrn,
ſeine weitläufigen Auseinanderſetzungen in Betreff aller
möglichen Genealogien intereſſirten ihn nicht ſonderlich, und
als er ſich demzufolge nach einer Viertelſtunde erhob, ge-
ſchah es mit dem Gefühl, daß nun die Artigkeitsrechnung
mit dem Präſidenten ausgeglichen ſei und er mit Fug und
Recht einen Strich unter das ganze Verhältniß ſetzen könne.
Allerdings antwortete er mit einer Verbeugung, als der

letztere ſeine Hoffnung auf baldiges Wiederſehen ausſprach,

aber bei ſich ſelbſt war er ſo gut wie entſchloſſen, als er
ſich aus der Wohnung entfernte, daß er etwaigen weiteren
Einladungen keine Folge geben wollte. Aus dein Geſpräch
hatte er zufällig erfahren, daß Herr von. Bordelow Wittwer
war, und ebenſo, daß derſelbe außer einer Tochter keine
Kinder mehr beſaß; — ſo lebte er alſo in ziemlicher und
wahrſcheinlich langweiliger Einſamkeit, denn dieſe Tochter
— Edmund hatte ſie nicht geſehen, aber von dem Vater
vernommen, daß ſie kürzlich krank geweſen und noch großer

Schonung bedürftig ſei — ſie gehörte gewiß auch zu den
überzarten, ſenſitiven Geſchöpfen, die, wie Leonore, allem
Scherz, jeder guten Laune unzugänglich waren; und ihn
— ihn zwang nichts, daß er auf die Fremde die Rück-
ſichten nahm, die er der eigenen Schweſter nun einmal
nicht verweigern konnte.
Unnd doch ſollte es anders kommen, als Edmund be-
abſichtigte. Es war nämlich nur höchſtens eine Woche
ſpäter, als er auf einem Spaziergange durch den viel-
beliebten ſtädtiſchen Luſtwald — er hatte ſich treiben laſſen
und war auf einen der einſameren Wege gerathen — in
die Nähe eines ihm vorauf ſchreitenden Paares gelangte,
das einigermaßen ſeine Aufmerkſamkeit erregte, ſchon durch
die Verſchiedenartigkeit der beiden Perſonen, von denen ſich
der Herr als klein, unterſetzt und offenbar bereits ältlich
erwies, während ſich an der Dame, welche er führte, eine
hohe, ſchlanke, ungewöhnlich ebenmäßige Geſtalt erkennen
ließ. Ein zweiter Hinblick ſchon ſagte ihm, daß er auf
den Präſidenten von Bordelow geſtoßen ſei, und damit
war ihm auch kein Zweifel mehr darüber geblieben, daß
derſelbe die Tochter an ſeinem Arm hatte. Fräulein von
Bordelow hatte alſo ihre Krankheit jetzt ganz hinter ſich
gelaſſen! — Aber freilich — nein, böllig geneſen konnte
ſie noch nicht ſein, denn etwas müdes, ſchleppendes lag in
ihrem Gange! — Nun, ihn ſelbſt brauchte dieſe Wahr-
nehmung nicht aufzuhalten, er hatte nur, da es ihm ebenſo
unbequem wie unpaſſend erſchien, dem langſam gehenden
Paare fortgeſetzt zu folgen, einen freien Weg wieder zu
gewinnen.
In dem Augenblick, als er den letzteren an der Seite
des alten Herrn ſuchte und dabei in ſelbſtverſtändlicher
Höflichkeit ſeinen Hut zog, fiel ſein Auge unwillkürlich auch
auf die Dame, und gerade ſoviel gewann er von dieſem
Blick, daß er ſich ſagen konnte, er habe in ein auffallend
edles, wenn auch bleiches Geſicht, in ein Paar ſchöner,
nur ſeltſam ernſter Augen geſchaut. Herrn von Bordelows
Aufmerkſamkeit war offenbar ſeiner Tochter vollauf zuge-

wandt, das lag ſchon in der Flüchtigkeit, mit welcher er

Edmunds Gruß erwiderte; in der nächſten Sekunde aber,
als er ſelbſt erſt um wenige Schritte voraus gekommen
war, hörte der letztere ihn mit zärtlich beſorgtem Tone
ſagen: „Du haſt dir viel zugetraut, Johanna! Ich
fürchte, deine Kräfte verlaſſen dich ganz, ehe es uns mög-

lich ſein wird, aus dem Gehölz zu kommen oder einen

Wagen zu erreichen!“
Was die Dame erwiderte, konnte Edmund nicht genau

verſtehen; es ſchien ihm indeſſen, als ſuche ſie den Vater

über ihre Kräfte zu beruhigen, vielleicht ſogar zu täuſchen;
er ſelbſt zögerte nämlich keine weitere Sekunde, denn er
würde es vor ſeiner guten Lebensart — ſein gutes Herz
zog er nie, auch vor ſich allein nicht, in Betracht — un-
verzeihlich gefunden haben, wenn er in dieſem Falle nicht
ſeine Dienſte angeboten hätte. So raſch wie er ſeinem
Gange Einhalt gethan und ſich umgekehrt hatte, ſo raſch
war auch die Anrede gefunden. Er bat den Präſidenten
um die Erlaubniß, nachdem er ihn und ſeine Begleiterin

nach einer nicht fernen Ruhebank begleitet habe, die von
 
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