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Heidelberger Familienblätter — 1881

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Nr. 17 - Nr. 25 (2. März - 30. März)
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Heidelberger Fani

icublutter

Belletriſiſche Beilage zur Hedetbege Baling.

Ar. 18.

Sanstal b. den 5• Mur



Die rechte Zühne.
Novelle von Jenny Bach, Verfaſſerin von „Tannenburg“ ꝛc.

(Fortſetzung.)

III. ö
Acht Tage nach der Rückkehr Philipps fuhr wieder ein
kleiner Reiſewagen in das ſüdliche Thor der alten Stadt,
in dem ein Herr mit gebräuntem, durchfurchtem Geſicht und
grauem Haar und Bart lehnte. Er fragte den Thorwärter,
der ſeinen Paß viſirte, nach einem guten Wirthshauſe und
ſetzte, als er die Antwort vernommen, hinzu: „Liegt es
nicht allzu fern von dem Hauſe der Heideker u. Heideker?
Ich habe Geſchäfte dort.“
„Nein, Herr, ihm faſt gegenüber in derſelben Straße.
Sie können Herrn Philipp beinahe in die Fenſter ſehen,“
erwiderte der Mann, durch den bekannten Namen freund-
licher gemacht.
„Danke,“ nickte der Fremde und drückte dem Thor-
wärter etwas in die Hand, was dieſen veranlaßte, die

Mütze, die er vorher nicht für nöthig befunden hatte zu

bewegen, vom Kopfe zu reißen.
Während der Thorwärter das Geldſtück ſchmunzelnd in
die Taſche ſteckend, in ſein Haus zurückkehrte, fuhr der
Wagen des Fremden langſam die ſich vielfach verwirrenden
Gaſſen hinab. Der Kutſcher fragte hier und dort und
hielt endlich vor dem bezeichneten Wirthshauſe ſtill. Der
Fremde ſprang heraus, übergah ſeinen Mantelſack dem her-
beieilenden Hausknecht und ſagte in ſehr beſtimmtem Done
zu dem Kutſcher: „Spann Er ſogleich aus und pflege Er
ſich und das Pferd gut. Wie lange ich hier bleibe, iſt
unbeſtimmt; vielleicht geht es ſehr bald wieder fort, darum
hat Er ſich jeden Augenblick bereit zu halten und nicht
vom Plabe zu rühren. Verſteht Er?“
V„Ja, Herr!“ erwiderte der Kutſcher, ſchon mit bem
Pferde beſchäftigt.

Der Fremde trat in das Gaſtzimmer und forderte zu

eſſen und ein Zimmer nach vorn gelegen. Als der Wirth
ihm darauf ſelbſt ein ſchnell bereitetes Mahl brachte, ſtand
der Fremde am Fenſter und ſah auf die Straße.
„Dort drüben ſcheint, nach den großen Wagen; im Hofe
und den vielen Aufladern und Arbeitern: zu urtheilen, kein
unbedeutendes Kaufhaus zu ſein! 1“ bemerkte er, ſich zum
Wirth umwendend.
„Nein, es iſt eins unſerer erſten Häuſer, Heideker und
Heideker,“ erwiderte der Wirth und ſtützte ſich, mit breiter

Miene über alles nur Gewünſchte Auskunft zu geben, auf

den Tiſch.
„Heideker 2, meinte der Fremde und zog die buſchigen
Brauen zuſammen. „Ich hörte in meiner Jugend einmal
eine Entführungsgeſchichte, worin eine Madenoiſele Heideker
eine Rolle ſpielte.“
Der Wirth ſpitzte geheimnißvoll den breiten Mund.
„Das war die alte Frau Katharina, die dort drüben
alles regiert. Sie heirathete ſpäter ihren Vetter Heideker

und gäbe gewiß die Hälfte ihres großen Wittums dahin,

aus dem Dienſt müſſen.

ſtets die Beſorgungen.

wenn ſie die Geſchichte ihrer eaſten Ehe auslöſchen k könnte.
Uebrigens iſt ſie auch eine prächtige Frau, ſtreng, aber von
allen geachtet, und thut ſehr viel Gutes, ebenſo wie ihr
Sohn Philipp Heideker, der noch beliebter als ſie iſt.ꝰ
„Hm, aus der erſten Ehe ſind wohl keine Kinder da?“
„Gewiß, beide Söhne ſind eigentlich von Litten. Der
älteſte iſt von ſeinem Stiefvater adoptirt, der zweite ſetzte
es durch, ſeinen Adel, der jedoöch nicht weit her iſt, zu be-
halten, weil er partout Offizier werden wollte, indeß da-
mit ſteht es jetzt auch wohl wacklig.“
„Wie ſo?“ warf der Reiſende gleichgiltig hin und ſebie
ſich zum Eſſen.
„Nün,“ zuckte der Wirth die Achſel und ſchlug mit der

Rechten den Zipfel ſeiner weißen Schürze unter den linken

Arm, „man munkelt ſo allerlei; er habe ſich heimlich ohne
Konſens mit einem Fräulein in Schleſien trauen laſſen
und werde nun, da der König die Geſchichte erfahren, wohl
Gewiß iſt, daß ein Fräulein v.
Sternberg ſeit einem Monat dort im Hauſe lebt, die ſeine
Verlobte genannt wird, aber von Frau Katharina wie eine
Gefangene gehalten werden ſoll.“
„Das klingt ja abenteuerlich. Warum denn das??
„Das kann ich nicht ſagen, ich weiß nur von der Lena,
die ſie bedient, daß ſie viel weint, traurig iſt und ſtets in
ihrem Zimmer ſitzt, wenn der Lieutenant ſie nicht alle paar
Tage einmal in der Dämmerung ſpazieren führt. Die
Lena ſagt, es wäre ein Engel an Schönheit und Sanft-
muth: ihr wäre die Geduld bei der Behandlung ſchon
zwanzigmal zerriſſen.“
„Das ſind ſchöne Dinge, die Sie mir da erzählen,“
meinte der Fremde, das Fleiſch zerſchneidend, „da ſcheint
es mir mit der gerühmten Herzensgüte der Leute doch nicht
ſo groß zu ſein.“

„Na, wiſſen Sie, Herr, jeder Menſch hat ſeinen ſchwachen

Punkt; Fran Katharinas Liebling war immer der Lieute-
nant,

und wenn der um das Mädchen Dienſt und Ehre
zu verlieren in Gefahr iſt, iſt es am Ende begreiflich, daß

ſie das Fräulein nicht liebt. Sie läßt ſie ja nicht hungern
und quälen, ſagt Lena, aber ſie thut alles, die Leutchen

zu trennen, und das wird ihr mit der Zeit ſchon gelingen,

ſie ſetzt alles durch, was ſie — ah, ſie da, dort geht eben

die Lena über die Straße, ſie macht um dieſe Stunden
Morgen! Morgen!“ Er grüßte
nickend zum Fenſter hinaus; der Fremde warf einen
ſchnellen Blick auf das Mädchen, kehrte dann zu ſeinem
Mahl zurück und that noch mancherlei Fragen nach der

Verwaltung der Stadt und dergleichen, welche der Wirth
bereitwillig beantwortete, bis er bemerkte, daß des Frem-
den Aufmerkſamkeit läſſig wurde und er überflüſſig, da
entfernte er ſich. Kaum war er aus dem Zimmer, ſo warf
der Reiſende Meſſer und Gabel hin, ging mit erregten

Schritten auf und nieder, trat an das Fenſter, ſchaute

hinüber nach dem Kaufhauſe, begann wieder zu wandern
und ſchaute wieder hinaus. Endlich warf er den Mantel

um, trank im vollen Zuge ein Glas Wein aus und trat
mit wenigen Schritten auf die Straße hinaus. Dort⸗ ging
er langſam an der Seite des Gaſthauſes abwärts bis an
 
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