eidelberger
Bedetrittiſche Baibag⸗ zur Heetberger Veitung.
Ar. 29.
Mittwoch, den 13. April
Sandt und Ernte.
Novelle von S. v. d. Hrorſt.
Fortſetzung.)
Der Mann vor ihr zitterte wie vom Fieberfroſt ge-
packt. Es war, als ränge er vergeblich nach Worten, als
ſchnüre ihm eine unſichtbare Fauſt die Kehle zuſammen.
„Nimm's von mir, Livy,“ preßte er endlich hervor, „nimm's
von mir. Nicht geſchenkt,
mir ſchuldig werden, mit Zins und Zinſeszins, wenn du
willſt, aber kaufe dich frei von dem Gedanken, der dir
Schmerz verurſacht.“
Olibia nahm ſeine Hand und küßte ſie, ehe er es zu
hindern vermochte. „Das wäre ja nur Wortklauberei,
Onkel Jakob! man kann gut Tauſende ſchuldig werden,
auch wenn man nichts iſt als nur ein armes, unwiſſendes
Kind, dem die Leute ſagen dürfen, daß es beſcheiden und
demüthig leiben müſſe, um ſeines entehrten Namens willen,
— aber nian kann ſie ja niemals bezahlen. Die Bürde
trage ich bis an mein Ende! — gute Nacht, gute Nacht,
ich glaube, ich bin ſeit einer Stunde um hundert Jahre
älter geworden.“
In den blauen Augen ſtanden Thränen, die Lippen
bebten und die ſonſt ſo helle Stimme klang verſchleiert,
ſte reichte dem Manne vor ihr beide Hände und ſchüttelte
nur leiſe den Kopf, als er wiederholt und inſtändig bat,
doch das Geld zu nehmen. „Bezahle auch nichts hinter
meinem Rücken, Onkel Jakob, du könnteſt mir dadurch. das
Herz nicht leichter machen. Sieh, nur daß der arme Vater
ſo — ſo ſchrecklich irrte, iſt bei der Sache das Beſchä-
mende und daran läßt ſich in alle Ewigkeit nichts mehr
ändern. Ich war wohl zu glücklich wubep darum kommt
jetzt der Jammer in vollen Strömen, gute Nacht,
Onkel Jakob, ſei nicht traurig meinetwegen. Wer ein
gutes Gewiſſen hat, mit dem iſt Gott.“
Noch ein Lächeln, ein Gruß, bei dem aus ihrem Auge
ein Tropfen heiß herabfiel auf ſeine Hand, und dann war
ſie verſchwunden. Jakob Evers ſtarrte vor ſich hin wie
im Traum, ſein Arm zuckte, ſie ſchien ihn zu brennen, die
einzelne ſzchwere Thräne, und endlich trank er, unwider-
ſtehlich gezogen, mit dürſtenden Lippen die klare Perle.
Ihn ſah ja kein Auge, die Bewegung war wild und leiden-
füllte die glänzenden Räume; Jakob. Evers, ſonſt der Haus-
und Tiſchgenoſſe ſeines Prinzipals, war aus dem Schloſſe
ſchaftlich, — dann warf er ſich in den Seſſel und drückte
das eiskalte Geſicht auf die Stelle, wo noch kurz vorher
Olivias Kopf gelegen. Ein Schluchzen, dumpf und ſchwer,
wie aus todtwunder Bruſt durchzitterte das kleine Zimmer.
* *
II.
„Es ſteht alls auf dem Kopf,“ fuͤſterte die Lund, er
hat einſtweilen den leeren Exerzierſchuppen unten an der
Landſtraße gemiethet und will dahin bis zur Vollendung
des Neubaues die Fabrik verlegen, überhaupt ſoll eine
Dampfmaſchine hinein und all die alten Leute, welche auf
Arnſtein bisher ihr Brod in Ruhe gegeſſen, werden ſpäter
entfernt.
ſondern geliehen, du ſollſt es
Bläſſe auf ihren Wangen.
Ein Anſchluß an die Eiſenbahn, großartige Er-
weiterungen und Gott weiß was ſonſt noch n mir wird ſhon
ganz ſchlimm dabei, — einen Koch hat er auch engagirt.“
Die gute Frau trocknete ſich den Schweiß von der
Stirn. „Da fehlt es denn nur, daß du auch rebelliſch
wirſt, Livy,“ ſetzte ſie ſeufzend hinzu. „Weshalb haſt du
dein Zimmer mit der ſchlechten Kammer hinter der Küche
vertauſcht, und was fällt dir ein, daß du das Piano ver-
hängt und verſchloſſen in den Winkel ſtellſt, — ſonſt war
es dir alles, jetzt ſchenkſt du ihm keinen Blick mehr.“
Das junge Mädchen lächelte ruhig. Was in ihr vor-
ging, das ſah kein Auge, ſelbſt das der mütterlichen Freun-
din nicht ausgenommen, aber ein gewiſſer äußerlicher
Gleichmuth war während einer ſchweren Nacht vollkommen
erkämpft worden, der Stolz des Weibes hatte jegliches
andere Empfinden ſiegreich verdrängt. Alfred kannte den
letzten Wunſch ſeines Vaters, er wollte ihr zeigen, daß ſie
keine Ausſicht habe, denſelben realiſirt zu ſehen, das ſtählte
ſo plötzlich ihre Kräfte. Dieſer übermüthige. Mann hielt
ſich ſeines Geldes wegen berechtigt, ihre Zuſtimmung ohne
weiteres als geſichert anzuſehen, er fand es nicht der Mühe
werth, danach erſt zu fragen, ſondern lächelte vielleicht in
dem Gedanken, daß ſeine, des reichen Mannes Hand, von
einem armen namenloſen Mädchen überhaupt berſchmäht —
werden könne.
Immer wechſelten, ſo oft ſie daran dachte, Röthe und
Sie hatte gegen die ſchreckliche
Beleidigung keine Waffe, keine als nur das ſtumme, aber
konſequente Ignoriren ſeiner Gegenwart. Er ſah ſie nicht
mehr, die Tochter vom Hauſe war plötzlich in eine Dienerin
deſſelben verwandelt, gerade das wünſchte er ja ohne je
döun nachubenten, was es ihr ſelbſt gekoſtet haben
önne.
Im Vordergebäude arbeiteten ſtädtiſche Handwerker,
wie durch geheime Zauberkräfte erhielt die Fadade ein mo-
dernes, elegantes Ausſehen und verſchwand im Innern lede
Spur der langen Benutzung als Fabrik. Wo früher die
ſchillernde Seidenſtoffe und Goldprokate unter den Händen
fleißiger Menſchen hervorgegangen waren, da ſchmückten fie
jetzt Wände und Möbel, ein Wintergarten begann ſeine
exotiſche Pracht zu entfalten und der franzöſiſche Koch ver-
drängte vollſtändig die alte Lund vom Schauplat ihrer
langjährigen Thätigkeit. —
Ja, es ſtand alles auf dem Kopf. Ein Dienertroß
verbannt worden und mußte täglich fühlen, daß ihn der
junge Chef nur äußerſt ungern duldete. Aber er lachte
dazu, er ſchien nie zu verſtehen, wenn ihm Alfred zeigte‚
daß eine Aufhebung des alten Kontraktes ſein lebhafter
Wunſch ſei, er blieb aus Haß wie andere aus Neigung,
ja er konnte ſogar zuweilen den bereitwilligen Untergebenen
vortrefflich ſpielen, er verſchaffte Geld, ſo oft Alfreds Kaſſe
erſchöpft war.
Der Alte hatte ja die Kapitalien hier und da verſteckt,
ſorgfältig verklauſulirt, ſie ließen ſich nicht ohne Weiteres
flüſſig machen, Evers aber wußte in ſolchen Fällen immer
Rath, konnte immer mit Leichtigkeit die Wechfel ſeines Ge-
Bedetrittiſche Baibag⸗ zur Heetberger Veitung.
Ar. 29.
Mittwoch, den 13. April
Sandt und Ernte.
Novelle von S. v. d. Hrorſt.
Fortſetzung.)
Der Mann vor ihr zitterte wie vom Fieberfroſt ge-
packt. Es war, als ränge er vergeblich nach Worten, als
ſchnüre ihm eine unſichtbare Fauſt die Kehle zuſammen.
„Nimm's von mir, Livy,“ preßte er endlich hervor, „nimm's
von mir. Nicht geſchenkt,
mir ſchuldig werden, mit Zins und Zinſeszins, wenn du
willſt, aber kaufe dich frei von dem Gedanken, der dir
Schmerz verurſacht.“
Olibia nahm ſeine Hand und küßte ſie, ehe er es zu
hindern vermochte. „Das wäre ja nur Wortklauberei,
Onkel Jakob! man kann gut Tauſende ſchuldig werden,
auch wenn man nichts iſt als nur ein armes, unwiſſendes
Kind, dem die Leute ſagen dürfen, daß es beſcheiden und
demüthig leiben müſſe, um ſeines entehrten Namens willen,
— aber nian kann ſie ja niemals bezahlen. Die Bürde
trage ich bis an mein Ende! — gute Nacht, gute Nacht,
ich glaube, ich bin ſeit einer Stunde um hundert Jahre
älter geworden.“
In den blauen Augen ſtanden Thränen, die Lippen
bebten und die ſonſt ſo helle Stimme klang verſchleiert,
ſte reichte dem Manne vor ihr beide Hände und ſchüttelte
nur leiſe den Kopf, als er wiederholt und inſtändig bat,
doch das Geld zu nehmen. „Bezahle auch nichts hinter
meinem Rücken, Onkel Jakob, du könnteſt mir dadurch. das
Herz nicht leichter machen. Sieh, nur daß der arme Vater
ſo — ſo ſchrecklich irrte, iſt bei der Sache das Beſchä-
mende und daran läßt ſich in alle Ewigkeit nichts mehr
ändern. Ich war wohl zu glücklich wubep darum kommt
jetzt der Jammer in vollen Strömen, gute Nacht,
Onkel Jakob, ſei nicht traurig meinetwegen. Wer ein
gutes Gewiſſen hat, mit dem iſt Gott.“
Noch ein Lächeln, ein Gruß, bei dem aus ihrem Auge
ein Tropfen heiß herabfiel auf ſeine Hand, und dann war
ſie verſchwunden. Jakob Evers ſtarrte vor ſich hin wie
im Traum, ſein Arm zuckte, ſie ſchien ihn zu brennen, die
einzelne ſzchwere Thräne, und endlich trank er, unwider-
ſtehlich gezogen, mit dürſtenden Lippen die klare Perle.
Ihn ſah ja kein Auge, die Bewegung war wild und leiden-
füllte die glänzenden Räume; Jakob. Evers, ſonſt der Haus-
und Tiſchgenoſſe ſeines Prinzipals, war aus dem Schloſſe
ſchaftlich, — dann warf er ſich in den Seſſel und drückte
das eiskalte Geſicht auf die Stelle, wo noch kurz vorher
Olivias Kopf gelegen. Ein Schluchzen, dumpf und ſchwer,
wie aus todtwunder Bruſt durchzitterte das kleine Zimmer.
* *
II.
„Es ſteht alls auf dem Kopf,“ fuͤſterte die Lund, er
hat einſtweilen den leeren Exerzierſchuppen unten an der
Landſtraße gemiethet und will dahin bis zur Vollendung
des Neubaues die Fabrik verlegen, überhaupt ſoll eine
Dampfmaſchine hinein und all die alten Leute, welche auf
Arnſtein bisher ihr Brod in Ruhe gegeſſen, werden ſpäter
entfernt.
ſondern geliehen, du ſollſt es
Bläſſe auf ihren Wangen.
Ein Anſchluß an die Eiſenbahn, großartige Er-
weiterungen und Gott weiß was ſonſt noch n mir wird ſhon
ganz ſchlimm dabei, — einen Koch hat er auch engagirt.“
Die gute Frau trocknete ſich den Schweiß von der
Stirn. „Da fehlt es denn nur, daß du auch rebelliſch
wirſt, Livy,“ ſetzte ſie ſeufzend hinzu. „Weshalb haſt du
dein Zimmer mit der ſchlechten Kammer hinter der Küche
vertauſcht, und was fällt dir ein, daß du das Piano ver-
hängt und verſchloſſen in den Winkel ſtellſt, — ſonſt war
es dir alles, jetzt ſchenkſt du ihm keinen Blick mehr.“
Das junge Mädchen lächelte ruhig. Was in ihr vor-
ging, das ſah kein Auge, ſelbſt das der mütterlichen Freun-
din nicht ausgenommen, aber ein gewiſſer äußerlicher
Gleichmuth war während einer ſchweren Nacht vollkommen
erkämpft worden, der Stolz des Weibes hatte jegliches
andere Empfinden ſiegreich verdrängt. Alfred kannte den
letzten Wunſch ſeines Vaters, er wollte ihr zeigen, daß ſie
keine Ausſicht habe, denſelben realiſirt zu ſehen, das ſtählte
ſo plötzlich ihre Kräfte. Dieſer übermüthige. Mann hielt
ſich ſeines Geldes wegen berechtigt, ihre Zuſtimmung ohne
weiteres als geſichert anzuſehen, er fand es nicht der Mühe
werth, danach erſt zu fragen, ſondern lächelte vielleicht in
dem Gedanken, daß ſeine, des reichen Mannes Hand, von
einem armen namenloſen Mädchen überhaupt berſchmäht —
werden könne.
Immer wechſelten, ſo oft ſie daran dachte, Röthe und
Sie hatte gegen die ſchreckliche
Beleidigung keine Waffe, keine als nur das ſtumme, aber
konſequente Ignoriren ſeiner Gegenwart. Er ſah ſie nicht
mehr, die Tochter vom Hauſe war plötzlich in eine Dienerin
deſſelben verwandelt, gerade das wünſchte er ja ohne je
döun nachubenten, was es ihr ſelbſt gekoſtet haben
önne.
Im Vordergebäude arbeiteten ſtädtiſche Handwerker,
wie durch geheime Zauberkräfte erhielt die Fadade ein mo-
dernes, elegantes Ausſehen und verſchwand im Innern lede
Spur der langen Benutzung als Fabrik. Wo früher die
ſchillernde Seidenſtoffe und Goldprokate unter den Händen
fleißiger Menſchen hervorgegangen waren, da ſchmückten fie
jetzt Wände und Möbel, ein Wintergarten begann ſeine
exotiſche Pracht zu entfalten und der franzöſiſche Koch ver-
drängte vollſtändig die alte Lund vom Schauplat ihrer
langjährigen Thätigkeit. —
Ja, es ſtand alles auf dem Kopf. Ein Dienertroß
verbannt worden und mußte täglich fühlen, daß ihn der
junge Chef nur äußerſt ungern duldete. Aber er lachte
dazu, er ſchien nie zu verſtehen, wenn ihm Alfred zeigte‚
daß eine Aufhebung des alten Kontraktes ſein lebhafter
Wunſch ſei, er blieb aus Haß wie andere aus Neigung,
ja er konnte ſogar zuweilen den bereitwilligen Untergebenen
vortrefflich ſpielen, er verſchaffte Geld, ſo oft Alfreds Kaſſe
erſchöpft war.
Der Alte hatte ja die Kapitalien hier und da verſteckt,
ſorgfältig verklauſulirt, ſie ließen ſich nicht ohne Weiteres
flüſſig machen, Evers aber wußte in ſolchen Fällen immer
Rath, konnte immer mit Leichtigkeit die Wechfel ſeines Ge-