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Heidelberger Familienblätter — 1881

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Nr. 96 - Nr. 104 (3. December - 31. December)
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Heidtl erger Fanilienblätter.

* Benetrinihe Beilage zur Sedewerger Beitung. —

Ar. 103.

Mittwoch, den 28. December

1881.

Die Harfeniſtin.
Novelle von Gräfin Agnes Klinckowſtroem.

(Fortſetzung.)

Es ging wie ein elektriſcher Strom aus ihren leiden-
ſchaftlich aufflammenden Augen in die ſeinen und verwirrte
ihm momentan den Sinn. Er war ſich bewußt, daß nichts
ihm ferner lag, als Liebe zu dieſem Mädchen, und doch
begannen ſeine Pulſe ſchneller zu ſchlagen, und ein jäh
aufloderndes Verlangen, ſeine Lippen auf die ihren zu
preſſen, erfaßte ihn und ließ ihn ſich langſam zu ihr nei-
gen. Ihre bräunlichen, weichen Arme umſchlangen ſeinen
Hals, und die jungen, friſchen Lippen begegneten den ſeinen
mit wilden berauſchenden Küſſen, die in ihrer Leidenſchaft-
lichkeit auch ihn zu gleicher Empfindung mit fortriſſen und
ihn die Küſſe mit rückſichtsloſer Heftigkeit erwidern ließ.
Sie war es, die ſich zuerſt aus ſeinen Armen los-
machte, und die Roſenknoſpe aus ſeinem Knopfloch neh-
mend, dieſelbe in ihr Gewand verbarg. Der Inſpizient
klopfte an die Thür und mahnte zum Beginn. Halmir
kam zu ſich, und ſeiner Pflicht gedenkend, eilte er hinaus,
eines beſchämenden Gefühls ſich nicht erwehren könnend.

Gleich darauf brauſte die Ouvertüre mächtig durch den

menſchengefüllten Raum des Theaters.
Tiefe erwartungsvolle Stille herrſchte, als ſie beendet,
als der Vorhang aufging und bei der zweiten Geſangs-
ſcene die eigenthümliche orientaliſche Schönheit aus den
Couliſſen hervorglitt, und dicht vor den Lampen ſtehend
ihre wundervolle Stimme jubelnd das rauſchende Orcheſter
übertönte. ö
Halmir hatte ihrem Erſcheinen nicht ohne Herzklopfen
entgegengeſehen, jetzt während des Fortganges der Oper
fühlte er, daß ſie ſich ſelbſt übertraf, daß ſie von der

Natur zur Bühnenkünſtlerin beſtimmt ſei, denn ſie empfaud

was ſie ſang, und die Vereinigung ihres eigenthümlichen
bisweilen faſt zu ungeſtümen Spiels, ihrer auffallenden Er-
ſcheinung und ihres ſcheinbar regelloſen und doch genau
der gegebenen Form angepaßten Geſanges, der bald in
jauchzenden Kadenzen, bald in ſüßen Harmonien die Zu-
hörer mit fortriß, bildete ein vollendetes Ganze, und von
Scene zu Scene ſteigerte ſich der brauſende enthuſiaſtiſche
Beifall. Der Komponiſt und die junge Debütantin wurden

wiederholt hervorgerufen, und als ſie neben einander ſtehend

die Huldigung der erregten Menge entgegennahmen, em-
pfanden ſie es beide mit ſtolzem Triumph, daß ſie einen
großartigen Erfolg errungen. Der Herzog hatte über die
Logenbrüſtung gelehnt wiederholt applaudirt und ſandte
ſeinen Adjutanten hinter die Couliſſen, um den beiden
Künſtlern ſeine Anerkennung ausſprechen zu laſſen und dem
Kapellmeiſter zu wiſſen zu thun, er möge ſich am folgenden
Tage bei ihm einfinden, um mit ihm über das fernere
Schickſal ſeines Zöglings zu ſprechen.
Halmir hüllte Annina zum erſtenmal ſelbſt in ihren
Mantel und empfahl ihr an, gleich nach der Villa hinaus-
zufahren, er ſelbſt werde ihr in einiger Zeit nachfolgen,

denn er habe noch Geſchäfte in der Stadt.

gar ſo lange her,

mit dir gehen, Jürgen.

Sie war in
dieſem Augenblicke nicht mehr das Bettelmmädchen für ihn,

das er von der Straße aufgenommen, ſondern die Künſt-

lerin, der er mit Achtung begegnete. Dann verließ er ſie
offenbar zerſtreut und von einem anderen Gedanken in
Anſpruch genommen, und ſie ſchritt allein und langſam die
Treppe hinab, um den draußen wartenden Theaterwagen
zu benutzen.
Da, in dem halb dunkeln Portal ſtehend und, erhitzt
wie ſie war unter dem Einfluß der kühlen Herbſtluft zu-

ſammen ſchauernd, fühlte ſie ihren Arm berührt, und ſich

umwendend ſah ſie die ſchäbige Geſtalt eines Mannes,
welcher augenſcheinlich mit ihr zu ſprechen wünſchte. Sie
fuhr unwillkürlich zurück, denn ſie glaubte dieſe Geſtalt zu
kennen und fürchtete ſie. Schon hob ſie den flüchtigen
Fuß, um die Treppe hinaufzueilen, doch der Mann hielt
ſte mit feſtem Griff am Arm.
„Fürchteſt du dich?“ fragte er ſpöttiſch. „Es iſt nicht
daß wir mitſammen allein bei Nacht
und Tag durch das Land gezogen ſind, und nun bebſt du
davor zurück, inmitten einer volkreichen Stadt ein paar
Worte mit mir zu ſprechen? Sei ohne Sorge, ich werde
dir kein Leid zufügen. Komm, geh ein paar Schritte mit
mir, oder biſt du zu ſtolz, dich ſelbſt in der ſchützenden
Dunkelheit des Abends neben einem ehemaligen Kameraden
zu zeigen?“
ö „Was willſt du von mir?“ flüſterte ſie ängſtlich. „Biſt
du in Noth? brauchſt du Geld? Bald werde ich in der
Lage ſein, dir geben zu können, was du verlangſt.“
„Geld?“ lachte er kurz auf. „Du bieteſt mir Geld 2
Nein Annina, ich kam nicht her, um dich darum zu bitten,
ſondern einzig und allein, um nach ſo langer, langer Zeit
ein päar Worte mit dir zu plaudern. Willſt du mir das

abſchlagen? — Sieh, ich bin noch immer der elende Land-

ſtreicher und rechne es dir hoch an, wenn du dich meiner
überhaupt noch erinnerſt und mir erlaubſt dich zu begleiten.
— Ah, du biſt ſtolz.“
„Nein, nein,“ rief das Mädchen haſtig. „Ich werde
Es war nur die Ueberraſchung,
dich ſo unerwartet wiederzuſehen, die mich zögern ließ,
aher — aber — es freut mich, dich zu ſehen, und ich
wünſchte nur, dich in beſſeren Verhältniſſen zu finden.
Komm, begleite mich nach Hauſe und erzähle mir, wie es
dir ergangen.“
„Du biſt ſehr freundlich, dich nach dem Schickſal eines
Menſchen zu erkundigen, der ſo heruntergekommen iſt, wie
ich es bin, und der freiwillig ſein Leben verpfuſcht hat.
Es iſt eben nicht viel Erfreuliches davon zu berichten,
darum laß uns lieber von dir und deinem Schickſal
ſprechen. Ich war im Theater Zeuge deines Triumphs,
ſah dich neben Halmir, umbrauſt von dem Beifall des
Publikums ſtehen, und deine Gedanken waren mir nicht
fremd, denn ich habe nicht verlernt, in deinem Geſicht zu
leſen. Ich hörte auch, daß der Herzog prophezeit habe,
die Welt werde dir einſt zu Füßen liegen. Nun, Annina,
du thateſt ganz klug daran, den armen Jungen, der dich
liebte, kaltblütig über Bord zu werfen. Die Liebe verträgt
 
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