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Heidelberger Familienblätter — 1882

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No. 17 - No. 25 (1. März - 29. März)
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Heidelberger Familienblätter.

VBelletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 20.

Samstag, den 11. März

1582.

In Afrika.
Seenovelle von F. Meiſter.

Nachdruck verboten. Geſ. v. 14. Juni 1870.

I.
„Man kann mit Sicherheit annehmen, daß der Ort,
den ſelbſt Seeleute ſich ſcheuen zu beſuchen, ein ſchlimmer
Aufenthalt ſein muß, und ſo gibt es gar manchen See-
fahrer, der mit dem größten Widerwillen und nur im
höchſten Nothfall an Bord eines Schiffes geht, das nach
der Weſtküſte von Afrika beſtimmt iſt; hat er aber erſt
einmal einen dortigen Platz beſucht, dann treibt's ihn, wie
die Motte an's Licht, immer wieder dahin. Ich ſelbſt habe
mir gar manches Mal dort die Flügel verſengt, und ſicher-
lich wäre auch ich längſt wie eine arme Motte verbrannt,
hätte ich nicht nach dem Erlebniſſe, deſſen Erinnerung jetzt
wieder ſo lebendig in mir wird, mit einem theuren Eide
geſchworen, jene unglückſelige Küſte nur noch ein einziges
Mal und dann niemals wieder aufzuſuchen.
Wunderliche, ſchlimme Tage habe ich dort unten ge-
nugſam erlebt. Mehr als einmal lag ich in meiner Koje
oder am Lande im Hoſpital mit kahlgeſchorenem Kopfe
und Zugpflaſtern an den Füßen; als in Bonny das gelbe
Fieber ausbrach, war ich ſo ziemlich der einzige Weiße,
der übrig blieb. ö
„Einſt litten wir im Kongo Schiffbruch; da fiel ich den
Niggern in die Hände, und die ließen mich nicht eher wie-
der los, bis der Agent meines Rheders ein Löſegeld für
mich bezahlt hatte. Die Halunken machten ſich oft das
Vergnügen, mich über ein Feuer von giftigen Blättern und

Pfefferſchoten zu ſetzen und mich dann mit ihren Speeren

zu litzelnn; wenn ich aber meinen Mund öffnete, dann drang
mir der dicke, hölliſche Qualm in Hals und Lungen, daß
ich beinahe erſtickte. Meine Peiniger aber lachten und
kreiſchten und umtanzten mich wie eine Rotte verrückter
Teufel.
„Ja, die Weſtküſte iſt ein böſer Platz, namentlich auch
für den, der dort Handel treiben und Waaren holen will.
So iſt der Palmölhandel eine ganz unſichere Sache. Die
Küſtenneger wachen mit blutiger Eiferſucht darüber, daß
die Schwarzen aus dem Innern, die dort das Oel gewin-
nen, nicht ſelber die Flüſſe herabkommen, um daſſelbe an
die Weißen zu verkaufen. Der Kapitän muß vielmehr
ſeine Tauſchartikel — Pulver, Tabak und Baumwollen-
zeuge — den Küſtennegern auf Treu und Glauben über-
geben; dieſe ziehen dann in's Innere, um mit den öl-
bereitenden Stämmen zu verhandeln und die eingetauſchte
Waare zur Küſte zu bringen. Zuweilen betrügen dieſe
Vermittler den Kapitän um ſeine Güter und bringen kein
Oel dafür zurück; dies kommt aber immerhin nur ſelten
vor, ſonſt würde es mit dieſem Handelszweige zu Ende
ſein. Das Schlimmſte iſt, daß den ſchwarzen Kommiſ-
fionären die Koſtbarkeit der Zeit nicht in den dicken Schä-
del will, und dann liegt ſo ein Schiff und wartet monate-
lang auf ihre Rückkehr, bis Kapitän und Mannſchaft vor
Unruhe, Ungednld und Ungewißheit beinahe toll werden.

Mancher nimmt dann auch ſeine Zuflucht zum Trunk, um
die Langeweile zu vertreiben, und dies, mit der ewigen
Aufregung, macht dem Küſtenfieber dann leichte Arbeit.
Mancher, mancher Schiffsgenoß iſt in dieſen meinen Armen
geſtorben!
Ich bin alt geworden ſeitdem, aber noch oft denke ich
an jene Zeiten auf der Weſtküſte.
Wenn ich in heißer Sommernacht ſchlaflos in meinem

Häuschen liege, dann wandern meine Gedanken weit, weit

fort, bis ich mich endlich wieder in meinen jungen Jahren
wähne. Ich höre dann wieder das Summen und Singen
der Moskitos, das Plätſchern der Wogen gegen die Schiffs-
ſeite und das Geſchrei der wilden Thiere in den finſteren
Tropenwäldern. Halb träumend ſehe ich dunkle Schatten
um mich, hoch über mir die klaren Sterne oder die mäch-
tigen, ſchwarzen Baumkronen der Küſte; ich ſpüre dann
deutlich den Geruch des ſchlammigen Ufers und des wider-
wärtigen Nebels über dem Fluſſe .. .. und dann ſehe
ich das Riff von Lagos!
Plötzlich, mit lautem Schrei erwachend, fahre ich em-
por . . . . ich bin zu Hauſe, in meinem Stübchen, und
meine alte, gute Frau beugt ſich über mein Bett und
trocknet mir die Schweißtropfen und die Thränen ab. Und
dann reden wir noch lange von den vergangenen Tagen,
meiſtens aber vom Lagos⸗Riff. Ich glaube, daß ich meiner
Frau die Geſchichte ſchon hundertmal erzählt habe; ſo oft
die Erinnerung daran mich überkommt, habe ich keine Ruhe,
bis ich derſelben Worte gegeben. Nicht immer erſcheint
mir dieſelbe in ſchrecklichem Traum, oft auch berührt ſie
mich wie Geiſterhauch, und dann glaube ich, daß es Maria
ſelbſt iſt, deren Nähe ich fühle.....
Sehen Sie dort den glühenden Horizont und darunter
die Waſſer wie flüſſiges Feuer. In ſolcher Stunde, wie
die jetzige, wenn alles ſtill iſt und die Schatten des Abends
kühl durch die Luft ziehen, dann dehnt ſich mein Herz und
wird groß, und ſeltſame, erhabene, unfaßbare Gedanken
erfüllen mein Hirn. Ich verſtehe dieſe Gedanken nicht,
ich kann ſie in Worten nicht ausdrücken, ich kann ſie auch
nicht hervorrufen, wenn ich will q.. .. Nein, lieber Herr,
das ſind dann auch nicht meine eigenen Gedanken, ſie ſind
zu wunderſchön für einen Mann, wie ich bin; ſie kommen
von ihr; Maria iſt's, die zu meinem armen, alten, ver-
witterten Herzen ſpricht und ihm von dem glücklichen Jen-
ſeits flüſtert.“ ö
Hier ſchwieg der alte Steuermann und ſtarrte einige
Minuten unverwandt in die untergehende Sonne. Eine
weiche, träumeriſche Begeiſterung lag auf ſeinem ſchönen
Greiſenantlitz, bis die Sonne in's Meer hinabgetaucht war;
dann wendete er ſich in einiger Verwirrung nach mir um
und bat mich um Feuer. Nachdem er ſeine Kalkpfeife in
Brand geſetzt hatte, fuhr er aus eigenem Antriebe fort und
erzählte mir ſeine Geſchichte, die ich möglichſt getreu hier
wiedergebe. ö
„Vor ungefähr dreißig Jahren muſterte ich in Ham-
burg als Steuermann an Bord des Gaffelſchoners „Phi-
lippine Welſer“ für die Weſtküſte von Afrika. Als wir
mit einem friſchen Südwinde die Elbe hinunterſegelten,
 
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