Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1882

DOI Kapitel:
No. 70 - No. 78 (1. September - 30. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43712#0301

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hridelberger Fanilirubläkter.

Belleetriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeirunz.

Ar. 74.

Samstag, den 16. September

1882.

———

Auf der heide.
Novelle von Gerhard Walter.
(Fortſetzung.)
Draußen, an der Weſtecke meines Sprengels, gegen den

Wald zu, liegt eine Frau ſchwer krank, hatte mir geſtern

Mir war gerade danach zu Sinn,
Es war zu weit, um zu

der Küſter geſagt.
einen Krankenbeſuch zu machen.

gehen — und ich gehe überhaupt nicht gern, das macht
der Granatſplitter im Bein; alſo ritt ich wieder über die
Heide. — Ueber mir „im Blau verloren“ ſangen die

Lerchen; noch trug der Ginſterbuſch ſeine gelben Blüthen,
noch trug das Heidekraut ſeine röthliche Pracht, wie lag
ſie ſchön vor mir, ernſt wehmüthig im hellen Sonnenlicht!
Wie eine Jungfrau, der ſie einſt gewaltſam den grünen
Kranz aus den Locken geriſſen und die verblühend doch im
Angedenken vergangener Luſt ſich beſcheiden ſchmückt, ſtolz
in ihrer Einfachheit und nachdenklichen Schönheit. Ja,
einſt trugſt auch du deinen vollen Ehrenkranz, als der
Sturm auch deine Eichenwälder durchbrauſte, bis der Tag
kam, an dem er rieſenmächtig ſie niederſchmetterte und die
tobende Fluth deine Herrlichkeit verſenkte: da legteſt du dein
Wittwenkleid und Trauergeſchmeide an; aber wer Augen
zu ſehen hat, er lernt noch, was du biſt, und gewinnt dich
lieb, und macht es, wie ich bei dem alten Hünengrab, wo
ich mich niederſtreckte, dort wo die Erika am dichteſten
ſtand, und wo aus der Tiefe des Heidegrabes, an das ich
mein Haupt lehnte, wunderbare Märchenkunde aus alter
Zeit an meine aufhorchende Seele drang; von männer-
mordendem Kampf und Waffenklirren; von blutiger Todten-
feier und ſchmerzlicher Frauenklage um die todten Helden;
und ich hörte, wie es im Ginſterbuſch rauſchte und leiſe
im hohen Heidekraut flüſterte: „Hier ruht ſich's gut in der
Einſamkeit; wen ich im Arm halte, den decke ich treu und
warm, der vergißt, was draußen brauſt und trügt und
lacht und leuchtet; und wer in meinem Schooß den ewigen
Schlaf ſchläft, dem ſingen die Lerchen das Schlummerlied
vom Aufgang des Morgenſterns bis die ſinkende Sonne
blutrothen Schimmer über die Hügel gießt — —“ da⸗ hob
mein Pferd den Kopf und wieherte fröhlich in den lichten
Morgen hinein: „Schlaf in Frieden, wenn du kannſt, alter
Heide da unten; hier oben heißt's: das Leben und der
Tag hat recht!“ rief ich ihm zu und ſteckte Ali eine gelbe
Blüthe in den Stirnriemen, — und fort ging's, daß dumpf
die Hufen auf dem Heidekraut klangen, und Murad ſprang
ungeſtüm bellend am Sattel in die Höhe, dazu das Knirſchen
des Sattelzeugs, — ſonſt meilenweit alles ſtill: „Kein
Laut der aufgeregten Zeit drang noch in dieſe Einſamkeit.“
Näher und näher kam ich dem Waldſaum, der ſchon
nicht mehr zu meinem Gebiete gehörte, und dort, zwiſchen
den wunderlichen, dünenähnlichen Hügeln lag das Häuschen
meiner Koloniſtenwittwe, recht im Schutz vor Wind und
Wetter; keine hundert Schritt vom Walde entfernt. Ein
Bach, der aus dieſem hervorſtrömte, hemmte meinen Weg,
— ein leiſer Schenkeldruck, und Ali, eingedenk manch ähn-

lichen Hinderniſſes, das er als altes erfahrenes Huſaren-
pferd genommen, hob ſich zu ſtolzer Langade und ſetzte im
Sprunge über die Furth.
Das Bellen eines kleinen, hitzigen Köters empfing uns;

und wie ich vom Gaul ſtieg und Murad den Zügel zu-

warf, der ihn mit altgewohnter Virtuoſität auffing und
feſthielt, öffnete ſich die halbe Thür des ſauberen Häus-
chens, und ein halberwachſenes Mädchen ſchaute hinaus,
um alsbald erſchrocken zurückzufahren. Solche Gäſte waren
ihr offenbar noch nicht vorgeſtellt. Ich ging ſchnell hinter-
her und trat ohne Umſtände ein in ein zierliches Stübchen,
wie ich dergleichen hier noch nicht geſehen. Und dort im
Wandbette auf reinlichem Lager lag eine ausgezehrte Frauen-
geſtalt, nicht alt und nicht jung, und freundlich nickte ſie
mir zu, und matt lächelnd ſtreckte ſie mir die abgemagerte
Hand entgegen. „Ich habe Sie erwartet,“ ſagte ſie mit
leiſer Stimme.
Es wurde eine ſchöne Stunde für uns beide; ich hatte
nicht gedacht, hier in der Oede ſoviel Anregung für mich
ſelbſt zu finden, und als ich davon mußte, konnte ich's
nicht über's Herz bringen, hoch zu Roß von dieſer Stätte
des Friedens davonzutraben. Ich nahm mein Pferd beim
Zügel und machte den Rückweg zu Fuß. Da muß ich
öfter hinaus, in dieſe unverhoffte Oaſe in der Wüſte, —
und doch, was für eine einfache Seele iſt es! — Auch
die kleine Nichte gab mir beim Abſchied ganz gelaſſen die
Hand. Nein, goldlockiges Traumgebild: ich bin einmal
Bauernpaſtor und will es bleiben — oder vielmehr werden.

20. September.
Der Vorſatz war gut und der Geiſt willig, — aber —
Ich war wirklich ganz ausgeſöhnt. Doch am nächſten Vor-
mittag, wie ich ſo recht behaglich über den Paſtoralbriefen
ſaß, kam der Poſtbote des Weges daher und gab mir
außer den Zeitungen einen Brief mit dem altbekannten
Monogramm und der liebbekannten, zierlich feſten Hand-
ſchrift, und leibhaftig ſtand mein goldgelocktes Ideal vor
mir. Die Mutter war etwas leidend, und darum beant-
wortete das Töchterlein ſelbſt den Brief. Es war daſſelbe
köſtliche Mädchengeplauder, dem ich ſo oft entzückt gelauſcht;
die blitzenden, muthwilligen Augen, in die ich ſo oft ver-
tieft geſchaut, ſahen mich aus jeder Zeile an; die zarte
Hand, die ich ſcheidend an die Lippen gedrückt, hatte die
Feder geführt, — und doch, als ich die reizende Epiſtel
zu Ende geleſen, — es war kein Paſtoralbrief, — mußte
ich ſeufzend ausbrechen: „Warum lockſt du mich unwider-
ſtehlich, ach in jene Pracht!“ Es duldete mich nicht im

Zimmer, ich mußte hinaus, — hin über die Heide, —
die mir verſchwiegene Vertraute meiner Leiden und Freu-
den. — Wieder ſtreckte ich mich hin am Hünengrab und

ſann und ſann; aber je mehr ich's that, je heller ſtand
das ſchlanke Edelfräulein vor meinen Augen und beugte
ſich über mich, daß mir ihre langen Haare über's Geſicht
fielen, und ich ſah ſie neben mir über die Heide reiten,
ihre Hand in meiner; aber ſtiller wurde ſie, immer ſtiller,
und immer verwunderter der Ausdruck der muntern Augen,
bis ſie endlich fragte: „Aber nimmt dieſe langweilige,
abſcheuliche Wüſte denn nie ein Ende?“ — Und ich ſah
 
Annotationen