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Wangen, wiederholt drückte er das Kruzifix an den
Mund und die Geistlichen hatten Mühe, ihn zu be-
ruhigen. Zu der inzwischen gereinigten Guillotine mußte
er von den Gefängnißwärtern förmlich getragen werden
und als er an das Brett angeschnallt wurde, zitterte
er wie Espenlaub und drückte den anfänglich freiliegen-
den Kopf steif abwärts, so zog es ihn zusammen, bis
er gewaltsam in die Mulde eingezwängt wurde und im
selben Augenblicke war sein Kopf gefallen; er betete bis
zum letzten Augenblicke taut und man konnte die letzten
Worte: „Jesus dir lebe ich, Jesus dir sterbe ich" re.
deutlich von ihm vernehmen. Schon beim Gange zur
Richtstätte und während des ganzen Aktes der beiden
Hinrichtungen ertönte das Armensündcrglöcklein, was
den Eindruck des- Schauerlichen erhöhte. Jede Hinrich-
tung hatte an vier Minuten beansprucht, die Zeit nach
Vorlesung des Urtheils bis zum Fallen des Beiles war
etwa 30 Sekunden. Nachdem auch Faßl's Haupt ge-
fallen war, wurden die beiden Leichname in raschem
Trab nach der Anatomie gefahren. Nach Ankunft der
Leichname in der Anatomie wurde sofort durch Herrn
Professor Dr. Rüdingcr die Sektion an der Leiche Faßl
vorgcnommen. Strohhofer wurde konservirt und für
Unterrichtszwecke verwendet. Das Gehirn hatte bei
Faßl nur ein Gewicht von 1186 Gramm (jenes des ent-
haupteten Reißmann 1109 Gr.) befand sich somit weit
unter dem mittleren Gehirngewtcht eines erwachsenen
Mannes zu 1362 Gr.

Gerichtszeitung.
Mannheim. Schwurgericht. (Schluß.)
4. Fäll. Franz Ott, 27jähriger Schuhmacher von
Ladenburg, Gottlieb Werner, 17jähriger Fuhrmann
von da und Peter Engel, 19jührigcr Taglöhner von
dort wegen Nothzuchtversuchs. Nach dem Ergebnis; der
Verhandlung verneinten die Geschworenen sämmtlichc
Schuldfragen, worauf Freisprechung der Angeklagten
und gleichzeitige Uebertragung der Kosten auf die Staats-
kasse erfolgt.
5. Fall. Anna Beith, 22jährige Dienstmagd von
Neidorf bei Bruchsal zur Zeit in Heidelberg wegen
Urkundenfälschung und Betrugs. Anfangs Juni fuhr
die Angeklagte von Heidelberg nach Mannheim und am
gleichen Tage wieder zurück, wobei ihr Billet nicht ab-
genommen wurde. Einige Wochen später fuhr die An-
geklagte von Neckargemünd nach Mannheim mit ein-
fachem Billet, nm sich hier eine Stelle zu suchen. Nach-
dem sie sich vergeblich nach einer solchen umgesehen
hatte und eine Stelle nicht fand, war anch ihr Geld
alle geworden. Sie fand men in ihrer Tasche das alte
Billet und da sie gerne nach Heidelberg zurück wollte,
so rieb sie an dem Billet das Datum weg und setzte
sich in den nach Heidelberg fahrenden Zug. Der Schaff-
ner entdeckte das falsche Billet, und sie wurde vorgeführt
und zur Bestrafung dem Gericht überwiesen. Der Ver-
theidiger bestreitet die Vorlage einer öffentlichen Urkunde
und bittet um Freisprechung. Die Geschworenen be-
jahten die Schuldfrage, jedoch mit dem Zusatz ^ohne
Urkundenfälschung und bejahten gleichzeitig die Frage
nach mildernden Umständen, worauf die Angeklagte
wegen einfachen Betrugsvcrsuchs in eine Gefängnißstrafe
von 8 Tagen und in die Kosten verurtheilt wird.
6. Fall. Carl Benz von Sandhofen ist des Mein-
eids beschuldigt, da aber eine Zeugin nicht erscheinen
konnte, weil sie erst vor kurzer Zeit Wöchnerin geworden
ist und deren Aussagen von Wichtigkeit sür die Anklage
fein sollen, so wird die Verhandlung ausgesetzt und
bleibt neuer Termin abzuwarten.
7. Fall. Michael Lend, 67 Jahre alt, verwittweter
Wirth, früher Schneider, von Ncckarhausen, wegen Brand-
stiftung. Derselbe ist beschuldigt, am 7. Ang. d. I. sein
in Neckarhausen gelegenes Wohnhaus vorsätzlich in Brand
gesteckt zu haben, indem er ein in einer Dachkammer
stehendes Bett und den darunter befindlichen Fußboden
mit Petroleum begoß und dies ansteckte, so daß das
Bett und der Fußboden ausbrannten. Der Angeklagte
ist ein gebrechlicher Mann, der förmlich auf die Anklage-
bank geschleppt werden muß. Er stellt die That in Ab-
rede und will erst Kenntnis; von der ganzen Sache er-
halten haben, als von der Straße aus gerufen wurde:
Es brennt, es brennt. Der Angeklagte hatte in der
Person der Ehefrau Herold von Neckarhausen eine Haus-
hälterin, die er an jenem Nachmittag in ausfallender
Weise mit Commissionen außer Haus schickte. Als die-
selbe nach vollzogenen Aufträgen wieder nach Hause
kam, sell es in dem Zimmer, in welchem der Brand
ausgebrochen und bereits wieder gelöscht war, stark
nach Petroleum gerochen haben. Aus Antrag des
Vertheidigers wird Nachfrage nach dem Leumund
der Hanptbelastungszeugin Frau Herold, bei . dem
anwesenden Bürgermeister von Neckarhausen gehalten,
der sür die Zeugin höchst ungünstig ausfiel. Nach dem
Gutachten des Sachverständigen ist der Angeklagte schon
längere Zeit schwer leidend und kann sich nur schwer
fortbewegen und erfordert es jedenfalls eine große An-
strengung für denselben ohne Unterstützung die Treppe
aus und abgehen. Es wird den Geschworenen eine
Schuldfrage gestellt und suchte der Großh. Staatsanwalt
mit großer Gewandtheit im Plaidoyer die Geschworenen
von der Schuld des Angeklagten zu überzeugen, wäh-
rend dagegen der Vertheidiger, der, überzeugt von der
Schuldlosigkeit seines Klienten, nicht einmal die Vorsicht
gebrauchte, die Frage nach mildernden Umständen zu
stellen, nicht minder geschickt die Enta stungsmomente in
Betracht zog und die Freisprechung des Anklagten bean-
tragte. Die Geschworenen erachteten diese den auch als
überwiegend und verneinten die Schuldfrage, worauf
unter Verfüllung der Großh. Staatskasse in die Kosten,
Freisprechung des Angeklagten erfolgte.
8. Fall. Abraham Neu, 41jähriger verheirateter
Handelsmann von Lützelsachsen, wohnhaft in Weinheim
wegen Betrugs und Meineids. Derselbe ist beschuldigt,
durch Vorspiegelung falscher Thatsachen das Vermögen
des Landwirths Peter Arz von Weinheim dadurch ge-
schädigt zu haben, daß er sich am 3. März 1879 in
Karlsruhe von Arz eine Schuldurkunde über 2000 M.
ausstellen ließ, obgleich die Schuld nur 1400 M, betrug
und von dem verbleibenden Rest nur mit Mühe noch

150 M. an Arz äusbezahlt wurden. Ferner ist der-
selbe beschuldigt, in einer gegen Arz wegen Verschwen-
dung angestrengten Beistandsklage vor dem Großh.
Amtsgericht Weinheim am 28. April 1879 wissentlich
falsches eidliches Zeugnis; abgegeben zu haben. Stach
dem Ergebniß der Verhandlung und der Thatsache, daß
der Angeklagte ein leichtsinniger Mensch ist, und deßhalb
unter Vormundschaft gestellt werden mußte, wurden die
beiden Schuldfragen von den Geschworenen bejaht und
derselbe in eine Zuchthausstrafe von 2 Jahren und 3
Jahren Ehrcnvcrlust verurteilt.
9. Fall. Him. Spies, Landw. von Rodenberg,
der sich in zweifacher That an seinem 19jährigen Dienst-
mädchen des Verbrechens gegen 8 176 R. Str.-G.-Ä.
schuldig gemacht haben soll, wird von dieser Anklage
sreigesprochen und der Großh. Staatskasse die Kosten
auferlegt. Dessen Verteidigung hatte Herr Anwalt
Wagner von Heidelberg übernommen.
10. Fall. Josef Noe, verheirateter Landwirt
von Rittersbach wegen Unterschlagung im Amte und
damit konkurrirender Urkundenfälschung. Die Geschwo-
renen bejahen alle an sie gerichteten Fragen und somit
wird der durch Dr. Rosenfeld verteidigte Angeklagte
— da auch mildernde Umstände zugebilligt wurden, zu
neun Monaten und den Kosten verurteilt.
11. Fall. Karl Plaum, 30 Jahre alt, praktischer
Arzt von Mosbach wegen Notzucht. Derselbe ist be-
schuldigt, am 16. Juli ds Js. in seiner Wohnung zu
Mosbach au der 32jährigen Frau Karoline Reichert von
Unterschefflenz Verbrechen gegen 8 177 des N.-St.-G.-B.
verübt zu haben. Der Angeklagte erzählt den Vorgang
und behauptet, daß derselbe in vollem Einverständniß
mit der Frau geschehen sei, ja daß die Frau durch ihr
Verhalten ihn geradezu hcrausgefordert habe. Die
Aussagen des Angeklagten, wie auch der angeblich Ver-
letzten stimmen im Großen nnd Ganzen überein. Nach
allen sich ergebenden Umstünden konnte von Anwendung
einer Gewalt nicht die Rede sein und war es daher
dem Vertheidiger ein Leichtes die Freisprechung des Au- :
geklagten zu erzielen.
12. Fall. Josef Böck mann, 49jährigcr verhei-
rateter Tüncher von Heidelberg wegen Münzverbrcchens,
dessen Ehefr. Christina geb. Henkel, 52 Jahre alt und deren
uneheliche 32jähr. TochterPhilippine Henkel von da wegen
Beihilfe. Im Sommer ds. Js. zirkulirten eine Menge
falscher Mark- und Halbmarkstücken in der Stadt
Heidelberg, die zwar als falsch erkenntlich, aber gerade
nicht so schlecht nachgeahmt waren. Mau bot Alles auf,
den oder die Falschmünzer zu entdecken, doch gelang dies
erst, als die Böckmann'sche Tochter, welche früher hier
in Diensten und erst seit 14 Tagen bei ihren Eltern in
Heidelberg war, einem Bretzelbuben ein falsches 50-
Pfennigstück verabfolgte. Böckmann wurde wie schon
nntgetheilt zu 1 Jahr, seine Frau zu 4 und ihre Tochter
zu 2 Monaten Gefängniß und in die Kosten verurteilt.
13. Fall. Magdalene Merkel geb. Falkner, 28
Jahr alt von Eschenbach wegen Meineids, Philipp
Heinrich Burkhardt, 60 Jahr alt, verheirateter
Wirth von Walvangelloch und Heinrich Breinig,
43 Jahr alt, verh. Handelsmann von Michelfeld wegen
Verleitung zum Meineid. Die Geschworenen bejahten
die Schuldfrage der Angeklagten Merkel und verneinten
die Schuldfragen bezüzlich der beiden Mitangeklagten,
worauf Frau Merket wegen Meineids in eine Zucht-
hausstrafe von 1 Jahr 6 Monat 3 Jahr Ehrverlust
und Unfühigkeitserklärung zum Eid verurteilt wird
und die beiden Mitangeklagten von der Anklage der
Berleitung zum Meineid freigesprochen werden.
Hiermit ist die Tagesordnung für die diesmalige
Schwurgerichtsperiove erledigt. In 13 Fällen waren
19 Personen angeklagt. In 7 Fällen wurden 10 Per-
sonen sreigesprochen. Ausgesprochen wurde zusammen
3 Jahr 6 Monat Zuchthaus.
Offenburg, 28. Sept. Das Schwurgericht verur-
teilte nach zweitägiger Verhandlung Karl Ruts ch-
mann aus Hohentengen wegen Mordes, Mordver-
suchs nnd Raub zum Tode.
Heidelberg. Schöffengerichtssitzung vom Montag,
1. Oktober. 1) In der Änklagesache gegen den stud.
chem. I. Fochtmann hier wegen Schmähung öffentlicher
Diener erhält derselbe 5 Mark Geldstrafe. 2) Philipp
Kaspar von Dossenheim wegen Körperlctzung 14 Tage
Gefängniß. 3) Philipp Greulich, Taglöhner von Dils-
berg wegen Widerstands, Bedrohung und Schmähung
öffentlicher Diener 14 Tage Gefängnis; und 4 Tage
Haft. 4) Fuhrmann Georg Henn, Wittwe von hier,
wegen Desgleichen 30 Mark Geldstrafe oder 3 Tage
Haft. 5) Luise Kaufmann, Ehefrau des Schneiders
Kaufmann hier wegen Desgleichen wurde freigesprochen.
6) Martin Steinmann erhielt wegen Körperverletzung
10 Mark Geldstrafe oder 1 Tag Haft.
Handelsberichte.
Karlsruhe, 29. Sept. Bei der heute stattgehabtcn
151. Gewinnziehung der Großh. bad. 35-fl.-Loose erhiel-
ten nachstehende Nummern die höchsten Treffer:
40,000 fl. Nr. 157513, 15,000 fl. Nr. 386393, je 4000
fl. Nr. 10598 355241, je 2000 fl. 202285 255594 290017
387414, je 1000 fl. Nr. 63442 91934 114748 118420
136011 157512 164532 1 89589 206700 219657 285849
331570, je 250 fl. Str. 6333 20710 21547 40404 50470
62474 7926689166 106737 109591 112551 115454 156055
156064 160582 171811 202295 209078 219684 230601
234048 246259 300096 300936 315127 315144 360384
366007 376292 397443.
Würzburg, 29. Sept. (Viktualicnprcise.) Butter
das Pfund 90 Pf., Schmalz 1.20 M., Rchfleisch 75 Pf.,
alte Hühner das Stück 1 M., junge Hahnen das Stück
80 Pfg., junge Enten 1.4g M.. Gänse 3.80 M., junge
Tauben 60 Pf., das Mäßchcn neue Kartoffel 9 Pf.,
Eier 2 Stück 11 Pf.
Obstmarkt zu Würzburg. Mittelpreise des Obstes
vom 29. Sept. I. Kernobst: Rother Herbstkalville
16 Pf., Rombour-Kaiser-Alexander 20 Pf., weiße Herbst-
butterbirnen 20 Pf., Loirs griss 30 Pf., Zitronenbirncn
20 Pf., Quitten 50 Pf. per Kgr. — II. Steinobst:
Pfirsiche 50 Psi, Zwetschgen 16 Pf. per Kgr. — III.
Werntrauben: Weiße und rothe Muskateller 60
Pf., weiße und rothe Gutedel 50 Pf., Oesterreicher 30
bis 36 Psi, per Kgr. — Welsche Nüsse 25 Pf. per 100.

Lokales.
ktt. Heidelberg, 1. Okt. Heute morgen 11 Uhr
wurden in das dahier garnisvnirende zweite Bataillon
des zweiten Bad. Grenad.-Reg. Kaiser Wilhelm Nr.
110 folgende 35 Einjährig-Freiwillige eingestellt: 1.
Wilh. Frey, Stud. Heidelberg, 2. Jul. Oppen-
heimer, Stud. ebendaher. 3. Konrad Erdmann Bo-
denheimer, Kaufmann aus Speyer. 4. Jak. Herrman
Thur, Stud. Grechswaid, Reg.-Bez. Stralsund. 5. Karl
Frd. Theodor Müller- Kaufm. aus Heidelberg. 6.
Heinrich Ritzhaupt, Stud. aus Ruchsen. 7. Rich.
Damian Stein, Stud. aus Frankfurt a. Bk. 8. Karl
Wilh. Maria Rapp, Stud. aus Heidelberg. 9.'Friedr.
Hermann Neußer, Stud. aus Limburg. 10. Wilh.
Reinh. Land fried, Kaufm. aus Heidelberg. 11.
Christ. Aut. Ernst Hüther, Stud. aus Hundeshagen.
12. Ludw. Wilh. Werner, Smd. aus Heidelberg. 13.
Rud. Waibel, Stud. aus Grahen. 14. Wilh. Fürst,
Stud. aus Heidelberg. 15. Georg Adam Hofmann,
Stud. aus Ramsen. 16. Georg Heinz, Bierbrauer
aus Heidelberg. 17. Karl Ed. Weidemaier, Stud.
aus Gengenbach. 18. Ernst Aug. Winkel mann,
Stud. aus Reval (Rußland). 19. Karl Heydwciler,
Stud. aus Frankenthal. 20. Jvh. Friedr. Phil. Becker,
Stud. aus Ottersberg bei Kaiserslautern. 21. Karl
Heinr. Bernh. Labes, Stud. aus Frankfurt a. M.
22. Herm. Aug. Bürk aus Eichtersheim. 23. Gustav
Adolf Fritz, Stud. med. aus Nidda. 24. Joh. Christ.
Rheinboldt, Stud. med. aus Sinzheim. 25. Karl
Wilh. No hl, Stud. med. aus München. 26. Ernst
Joh. Martin, Stud. aus Steinen bei Lörrach. 27.
Jakob Lehmann, Stud. aus Berlin. 28. Heinrich
Jak. Bohlender, Stud. aus Schwegenheim. 29. Joh.
Edm. Magn. Schneider, Stud. aus Webenheim. 30.
Phil.' Jos. Müller, Stud. aus Hamburg. 31. Karl
Äug. Alex. Häling^ Stud. aus Bensheim. 32. Jos.
Aug. Kapferer, L>tud. aus Mosbach. 33. Hermann
Schreiber, Stud. aus Kreuznach. 34. Max Gelder-
blom aus Dhünn. 35. Seligmann, Stud. aus
Rohrbach. — Die bisherigen Einjährig-Freiwilligen
wurden sofort entlassen.
Theater.
'tV. Heidelberg, 2. Okt. Hatte gestern die Thea-
ter-Regie mit „Der Welt, in der man sich langweilt"
uns den feinen ausgeklügelten Calcül, der mit allen
Farben des Witzes geschminkten französischen Gesellschaft
gezeigt und uns lebendig vor die Seele geführt, wie
eine kalt berechnende Laune durch die Bizarrerien ihrer
blendenden Einfälle uns wohl ein heiteres Lächeln ent
locken kann, aber, da ihre Schlangenwindungen
uns abstvßen, die edlen Regungen unseres Herzens nnd
Gemüthes nicht zu erwecken vermag,— so führte sie uns
heute das kontrastirende Gemälde deutscher Treue und
Liehe vor, die sich aber, wenn ihre Flamme zur Leiden
schäft angefacht, leider oft gegen eigen Fleisch und Blut
wendet. Wir sehen dieses in dem tückischen, verräthe-
rischen Mathias, der es mit den Franzosen in Danzig
hält, um den Pslegcsohn des alten Waldemar zu verderben.
Die Wahl des „Meno n it" war wiederum eine geschickte.
Man sieht, daß sich die Regie Mühe gibt, zuvor den
Geschmack des Publikums genau zu ergründen und diesem
das Stethoscop des prüfenden Verstandes auf das Herz
zu halten. Was nun der Recitation des so schönen Pro-
logs von Emil Piraczi, welcher von Frau Gräbert
von Waldheim gesprochenwurde,betrifft, müssen wir
anerkennen, daß derselbe, in so weit es sich ans Deklama-
tion bezieht, schön und aus metallener Brust zum Bor-
trage gelangte, das wahrhaft bacchantische Geberdcnspicl
aber schien uns wenig der Würde und der Majestät
der von ihr vorgcsteÜtcn Jungfrau Germania ange-
messen. Herr Bremer, welcher .heute Abend die
äußerst anstrengende Rolle des Reinhold spielte,
bot Alles auf, um sich auf der Höhe des gestrigen Tages
zu behaupten. Dieses glückte ihm, einige zu schnell und
unverständlich betonte Passagen abgerechnet, vollständig.
Vielleicht hätte Herr Bremer besser gethan, wenn
er der Lehre Montesquieus: tont, xos Ls Es:
Bor Allem keinen Eifer, d.jh. überstürzenden Eifer, gefolgt
wäre. Das Spiel der Frl. Ehrha rd t als Maria war im
Allgemeinen löblich, doch war die Spielerin, wir wissen
nicht warum, in dem Auftreten nicht selten verlegen.
Vielleicht wurde sie von dem heute Abend allzu über-
lauten Souffleur gestört. —Herr Patry spielte ebenso
seine Rolle als Waldemar gut durch, doch möchten wir
auch ihm bei ernsten Situationen etwas mehr Würde
und Kraft empfehlen. Die Mitglieder der Gemeinde
zeichneten genau das Gemälde reicher Bauern, die stets,
unbekümmert wer sie beherrscht, um ihren materiellen
Besitz verlegen sind, niemals aber die Sonnenhöhe
echten Patriotismus erklimmen können. Noch müssen
wir anerkennend Herrn Gräbert's gedenken, welcher
seiner Rolle als Desprsaur gewachsen war. Hier hatten
wir ein ahnungsvolles Bild von dem was aus dem
deutschen Familienleben geworden wäre, wenn unsere
Würfel im Jahre 1870 nicht besser als die des Feindes
gefallen wären. Dekoration und alles klebrige entsprach
dem Zwecke, da die verschiedenen Peripetien des
Stückes schon selbst vorzüglich geeignetsind, die Vaterlands-
liebe stets auf der Wache und zu jedem Opfer bereit
zu halten._
Verantwort!. Redakteur: Lr. H. Wayder in Heidelberg.
Zur MMIjkilung.
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zu dem festen Preise von 10 einmal ausgenommen.
Vie Expedition.
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vis-a-vis Darmstädter Hof.
Wilh. Hcrdlauf, westl. Hauptstraße 35.
I. C. Schirmer, östl. Hauptstraße 149.
L. Diesenbach, Crgarrenhandlung, Plöckstraße 46.
vis-ä-vis der eugl. Kirche.
 
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