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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3716 III E 20,232
Radbruch, Gustav; Kantorowicz, Hermann [Adr.]
Korrespondenz Gustav Radbruch/Hermann Kantorowicz: Brief von Gustav Radbruch an Hermann Kantorowicz — 1917

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21.4.17. vt4. g^;.-
Für mich eröffnet sich mit einem Male eine breite goldene- Stras
Jr se in -lie Zukunft,wenn die russische Revolution im Verein mit der deutschen Soziald'-mokratie
uns der; Frieden bringen sollte - innerpolitisch wie aussenpolitisch. Ich sehe in der weiteren
Perspektive eines solchen 'Friedens ein deutsches Bündnis - mit Russland - ganz entsprechend
Bismarcks aussenpolitischem Grunddogma,das nun,nach der freiheitlichen kerenmg in Russland,
sich auch der Demokrat zu eigen machen kann. Dies Bündnis würde uns von der Schicksnlcgemeinr-
schaft mit Oesterreich und seinen inner - und balkanpolitischen Schwierigkeiten,von dem ganzen
"UBiTl erkünstelten Theorem "Mitteleuropa" freimacb.en. Es würde unsere ältere Rationalkultur an der
.—noch auf Jahrhunderte unabgeschlossenen Entwicklung des jüngeren russischen Volkes teil.nehmen
lassen 'und ihr dadurch noch eure lange entwicklungsreiche Zukunft verbürgen. Deutschland und
Russland würden in Gemeinschaft neben die westliche Demokratie einen neuen demokmtioohon
Staatstyp setzen : die Demokratie der Brüderlichkeit neben die Demokratie blosser Freiheit und
Gleichheit.Deutschland würde dazu die intellektuellen Formeln seiner sozialistischen Theorie,
die organisatorischen Fernen seiner Gewerkschaftsbewegung und seines Stra.tssczialismus beitra^
gen,Russland den Sozialismus,der im Westen und auch bei uns wohl die Köpfe,aoer noch nicht die
Herzen und Gewissen erobert bat,erst zu einem Lebensgef ihl erheben,wie es heute schon ganz na-
turwüchsig im russischen Bauern steckt,und vor allem erst religiös beseelen(Tolstoi!). Die ent
götterte und entseelte Realpolitik,das dürre nationale Ideal,deren Bankrott dieser Krieg war,
ist jetzt vorüber? wie blass sehen alle Ereignisse dieser schicksalsvollen Jahre angesichts
der russischen Revolution jetzt plötzlicn aus,deren Geburtswenen gewesen zu sein vielleicht
dem Urteil der Ges;Richte einmal als ihre Hauptbedeutung erscheinen wird. Ich war während des
ganzen Krieges noch niemals in einer solchen Vorabendstimmung wie jetzt. Icn musste neidvtbll
denken,wie Beseligend dieser Triumph ihrer Ideen einmal für oie sein wird,die ihren

unerschütterlichen Glauben durch sie bestätigt finden werden. Ich selbst fürchte dagegen auch
jetzt noch,dass diese Zeilen von mir einmal als eine allzu schnellgläubige Schwamgei -tcrei
belächelt werden müssen,dass sie Innen vielleicht sehen heute /-c ^r:."h(jinen.
 
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