Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,261
Lask, Emil; Deutsche Literaturzeitung [Hrsg.]
(Heid. Hs. 3820,261): Rezension zu Christoph Sigwart, Logik — o.O., 1913 Juni 21

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.27635#0002
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1559

21. Juni. DEUTSCHE LITERATURZEITUNG 1913. Nr. 25.

1560

kens, der S.s Werk entstammt, ist die speziali-
stische Haltung, mit der er die Logik als eine
Sonderwissenschaft vor uns hingestellt hat, die
vollkommene Ausschaltung aller »erkenntnistheo-
retischen« oder gar »metaphysischen« Fundierung,
ja jeglicher Einordnung der Logik in die grofsen
Zusammenhänge der Philosophie überhaupt (hier-
von nur gelegentliche Ansätze wie Bd. II, S. 17
ff.) und sodann vor allem die gänzliche Ignorie-
rung jenes entscheidenden Wendepunktes in der
Geschichte der theoretischen Philosophie, der
durch Kants Schöpfung einer 'transzendentalen
Logik hervorgebracht wurde. Wenn das Ver-
hältnis zwischen formaler und transzendentaler
Logik von Windelband mit Recht als das »Fer-
ment« bezeichnet worden ist, das in der gesamten
nachkantischen Logik bis zur Gegenwart »die
gewaltigste Gärung gebracht hat« (»Logik« in der
Kuno-Fischer-Festschrift 2. Aufl., 1907, S. 183),
so ist bei S. von dieser ganzen Bewegung auch
nicht die geringste Spur zu bemerken, und der
Existenz einer transzendentalen Logik wird in
seinem ganzen Buch nicht einmal in polemischer
Absicht auch nur Erwähnung getan. Lotze, der
hier wieder zum Vergleich herbeigezogen werden
mag, hat doch noch eine ausdrückliche Aus-
einandersetzung mit Kants revolutionierender Tat
als die gewaltige Vorfrage für den ganzen Auf-
bau der Logik für unerläfslich erachtet. Aller-
dings hat er sich dann dabei durchaus als Anti-
kantianer entschieden. Und zwar zeigt hierin
der erste Entwurf einer Logik aus d. J. 1843,
der noch stärker im Bannkreis der konstruktiven
Systeme des deutschen Idealismus und des spe-
kulativen Theismus steht, einen gröfseren Zug
als das spätere System. Ausdrücklich fordert
Lotze dort die Einordnung des Themas der
Logik in das gesamte System der Philosophie,
die Zurückführung der logischen Formen auf
ihren »Ursprung« in Metaphysik und Ethik. Die
von der Theistenschule übernommene Opposition
gegen Hegel führt dabei zu einer Leugnung der
»realen Bedeutung« der »logischen Formen«,
dieser blofsen »abgeschwächten formalen Schatten«
der metaphysischen Begriffe (vgl. Log. v. 1843,
Einl., Metapbys. v. 1841, 3. Teil u. dazu d.
spätere Logik, 2. Aufl., 1880, S. 18 f.). Und
doch wird der frühere Standpunkt einer wenn
auch »sachlichen«, so doch blofs »subjektiven«
und »formalen« Bedeutung des Logischen auch
später genau festgehalten (vgl. bes. Log. v. 1880,
3. Buch, 4. Kap.). Kants kopernikanische Lei-
stung, die Einbeziehung des Gegenstandes in
den Herrschaftsbereich des Logischen, wird
dauernd preisgegeben, der Gegenstand wieder
der Metaphysik als einer Metalogik überwiesen.
Das Logische als solches und in seiner Ganz-
heit findet seine ausschliefsliche Heimat in einer

der Wirklichkeit gegenüberstehenden Welt von
»geltenden« Formen, in einem lediglich der
Subjektivität angehörenden Reich der »Wahr-
heiten« über die Gegenstände (vgl. ebda S. 506/7).
Auch für S. ist der Inbegriff des Logischen
in einer Region subjektiver, vom Gegenstand
durch eine Distanz geschiedener Phänomene be-
schlossen (ausdrückliche Formulierung für die
Subjektivität des Urteils Bd. I, S. 106 f., 108).
Darum kennt er nur formale Logik und Methoden-
lehre, und diese Gliederung liegt auch der äu-
fseren Einteilung in die beiden Bände zugrunde.
Von dem Zweck aus, Notwendigkeit und All-
gemeingültigkeit des Denkens zu erreichen, wird
die ganze Logik als eine Anweisung, diesen
idealen Zustand herbeizuführen, somit als eine
»Kunstlehre«, gekennzeichnet. Vom eigentlichen
Träger der Allgemeingültigkeit, vom Urteil aus
ergibt sich sodann die ganze Disposition der
S.sehen Logik. Von hier aus wird zunächst die
Lehre vom Begriff und vom Schlufs abgeleitet.
Der letzte »technische« Teil behandelt dann die
Methoden, mit deren Hilfe das Denken von seinem
tatsächlichen rohen Befund aus zu dem Zustand
vollkommener Geeignetheit emporgehoben wird
(vgl, Bd. I, § 4, Bd. II, § 60). Man sieht, dafs
hier die Gesamtheit des Logischen einheitlich
unter den Gesichtspunkt des Organons, des
Werkzeugs der Gegenstandsbewältigung, gerückt
wird. Das negativ Charakteristische besteht
auch hier wieder in der Überspringung aller
»Erkenntnistheorie« und transzendentallogischen
Kategorienlehre, also des Teiles der Logik, der
gegenwärtig mit Recht als die grofse zentrale
Hauptaufgabe seit Kant angesehen wird (nur ge-
legentliche Berücksichtigung der Kategorien bei
der Frage der Analyse in einfache Elemente
Bd. I, § 41). In Wahrheit kann eine »unter
dem Gesichtspunkt der Methodenlehre« gestaltete
Logik (s. Bd. I Vorw. z. 1. Aufl.) »erkenntnis-
theoretischer« und kategorialer Voraussetzungen
noch weniger entbehren als eine rein aufs
Formale sich beschränkende Disziplin.
Darf so S.s Buch nicht als umfassender
Entwurf einer nachkantisch orientierten theo-
retischen Philosophie angesehen werden, so
bleiben dadurch seine grofsen Verdienste inner-
halb des von ihm behandelten Gebiets der Logik
unangetastet. Durch S.s Vorgehen, das Ur-
teil zum Ausgangs- und Mittelpunkt zu machen,
wurde die entscheidende Klärung für die nicht-
transzendentale Logik gewaltig gefördert. Sein
Buch hat der Erkenntnis zum Durchbruch ver-
holfen, dafs der Sinn der theoretischen Gegen-
standsbemächtigung — immer im Umkreis der
nicht-transzendentalen Logik — einheitlich als
urteilsartig verstanden werden kann und die
übrigen formallogischen Gebilde — »Begriff«
 
Annotationen