2005
9. August. DEUTSCHE LITERATURZEITUNG 1913. Nr. 32.
2006
de la methode de M. Guignebert (fin). — E. Lesne,
La di me des biens ecclesiastiques aux IXe et Xe siecles
(fin). — J. de Ghellinek, Les notes marginales du
Liber sententiarum. I. — F. Claeys-Boüüaert, Un
seminaire beige sous la domination franqaise. Le semi-
naire de Gand (1794—1812).
Berichtigung.
In Nr. 29, Sp. 1800, ist versehentlich der Titel des
von mir besprochenen Buches verkürzt wiedergegeben
worden. Er sei hier noch einmal im Wortlaut nach-
getragen : Exempla Codicum Graecorum Litteris minus-
culis scriptorum annorumque notis instructorum. Vol.
prius: Codices Mosquenses. Ediderunt Gregorius Cere-
teli . . et Sergius Sobolevski. Mosquae 1911 (Leipzig,
in Commission bei Otto Harrassowitz).
Berlin. Ad. Deifsmann.
Philosophie und Erziehungswissenschaft.
Referate.
Emil Lask [aord. Prof. f. Philos. an der Univ.
Heidelberg], Die Lehre vom Urteil. Tübingen,
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1912. VII u. 208 S.
8°. M. 4,50.
Es ist eine äufserst schwierige Aufgabe, den
bedeutenden Gedankengehalt dieses Buches in
wenig Zeilen wiederzugeben. Was es zu sagen
hat, sagt es selbst schon in einer so gedrängten
Form, dafs man kein Wort darin vermissen
möchte. Daher kann ich hier nur andeutungs-
weise auf die Haupttendenzen des Buches hin-
weisen: wer auf dem Gebiete der Logik arbeitet,
wird ohnehin an ihm nicht mehr Vorbeigehen
dürfen.
Lask versucht die Urteilslehre, die für gewöhn-
lich als ein Stück der blofs formalen Logik ab-
gehandelt wird, auf der Grundlage der Trans-
zendentalphilosophie aufzubauen. Dabei erfahren
die Gegensätze der Transzendenz und Immanenz,
des Objektiven und Subjektiven, des Seins und
des Denkens eine merkwürdige Beleuchtung.
Wir haben uns gewöhnt, den Sinn der kantischen
Tat darin zu erblicken, dafs durch sie das zweite
Glied der genannten Gegensatzpaare den Vorzug
vor dem ersten gewonnen habe, und dafs es
das Wesen der »kopernikanischen« Drehung aus-
mache, das Transzendente vom Immanenten her,
das Objektive vom Subjektiven, das Sein vom
Denken, d. h. vom Urteilen, vom Erkennen aus
zu erfassen. L. belehrt uns, dafs man durchaus
Kantianer bleiben, ja dafs man sogar jene Dre-
hung für den Epoche machenden Einschnitt in
der Geschichte der Logik halten und dennoch
wiederum den Schwerpunkt aus dem Subjekt ins
Objekt, aus der Immanenz in die Transzendenz,
aus dem Urteilen ins urteilsjenseitige Sein legen
könne. Er belehrt uns m. a. W., dafs man Ari-
stoteles und Kant auf dem Boden der Logik in
einer bisher ungeahnten Weise vereinigen könne.
Ja man darf vielleicht noch weitergehen und
sagen, in L.s Urteilslehre feire die Aristotelische
Metaphysik, korrigiert durch die Kritik Kants,
ihre Auferstehung, denn das Pathos und Ethos
der L.schen Philosophie ist durchaus das grie-
chische und nicht das kantisch moderne: ihr ist
das Höchste nicht das Tun des Subjekts, die
Spontaneität und Aktivität des Erkenntnisprozesses,
sondern das passive Hinnehmen und Empfangen,
bei dem das Subjekt lediglich zur Stätte des
Transzendenten wird, ja womöglich ganz in ihm
aufgeht. Uns Menschen ist indessen dieses »trans-
zendentallogische Erkennen« nicht vergönnt. L.
spricht geradezu von der »fatalen Aktivität« des
Erlebens, durch die das Transzendente »ange-
tastet«, »entstellt«, »untergraben« und in eine
»künstliche« Region hineingebannt wird, in der
sich einzig und allein die Gegenstände »unseres«
Erkennens befinden.
Der Primat des Transzendenten vor dem
durch die Subjektivität erschaffenen Qaasitran-
szendenten bedeutet so zugleich den Primat des
rein Theoretischen vor allem praktisch Bedingten
im weitesten Sinne. Eben darin zeigt sich die
Verwandtschaft und die Gegensätzlichkeit, in denen
sieb L. zu Kant, sowie zu Aristoteles befindet.
Den Sinn der kopernikanischen Drehung wahrt
er dadurch, dafs er auch das Transzendente als
ein Theoretisches ansieht, während Aristoteles
es als ein Metalogisches und dennoch Erkenn-
bares begreifen wollte, wodurch das schiefe und
verworrene Verhältnis von Logik und Metaphysik
bei ihm entstand. Kants Verdienst ist es, die
Metaphysik in die Logik aufgelöst zu haben;
sein Fehler, dafs er diese Auflösung allein durch
die Erkenntnistheorie vollzog. Aus diesem »Feh-
ler« ist nun aber Kants Ansicht vom Primat der
praktischen über die theoretische Vernunft er-
wachsen. Von diesem Hauptstück der kantischen
Thilosophie läfst L. als Rest nur die Interpre-
tation des Theoretischen als eines absoluten
Wertes übrig. Aber selbst aus diesem Rest
wird noch die letzte Erinnerung an seinen Ur-
sprung getilgt, denn der absolute Wert steht über
dem Gegensätze von Wert und Unwert, ist also
aller praktischen Stellungnahme zu ihm enthoben.
Nur so, sagt L., könne man »mit gutem Gewissen«
die Lehre von der Werthaftigkeit des Trans-
zendenten vertreten. Die Wahrheit thront über
dem Erkennen, jenseits des Erkennens, vor dem
Erkennen. Daher ist nicht die Erkenntnistheorie,
sondern die »Wahrheitslehre« die grundlegende
theoretische Disziplin der Philosophie.
Auf die Fülle logischer Einsichten, die sich
auf diesem Wege ergeben, und die eine über-
raschende Klarheit über viele Grundprobleme
verbreiten, darf ich hier nicht eingehen. Es gibt
in der philosophischen Literatur nur wenig Bücher,
9. August. DEUTSCHE LITERATURZEITUNG 1913. Nr. 32.
2006
de la methode de M. Guignebert (fin). — E. Lesne,
La di me des biens ecclesiastiques aux IXe et Xe siecles
(fin). — J. de Ghellinek, Les notes marginales du
Liber sententiarum. I. — F. Claeys-Boüüaert, Un
seminaire beige sous la domination franqaise. Le semi-
naire de Gand (1794—1812).
Berichtigung.
In Nr. 29, Sp. 1800, ist versehentlich der Titel des
von mir besprochenen Buches verkürzt wiedergegeben
worden. Er sei hier noch einmal im Wortlaut nach-
getragen : Exempla Codicum Graecorum Litteris minus-
culis scriptorum annorumque notis instructorum. Vol.
prius: Codices Mosquenses. Ediderunt Gregorius Cere-
teli . . et Sergius Sobolevski. Mosquae 1911 (Leipzig,
in Commission bei Otto Harrassowitz).
Berlin. Ad. Deifsmann.
Philosophie und Erziehungswissenschaft.
Referate.
Emil Lask [aord. Prof. f. Philos. an der Univ.
Heidelberg], Die Lehre vom Urteil. Tübingen,
J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1912. VII u. 208 S.
8°. M. 4,50.
Es ist eine äufserst schwierige Aufgabe, den
bedeutenden Gedankengehalt dieses Buches in
wenig Zeilen wiederzugeben. Was es zu sagen
hat, sagt es selbst schon in einer so gedrängten
Form, dafs man kein Wort darin vermissen
möchte. Daher kann ich hier nur andeutungs-
weise auf die Haupttendenzen des Buches hin-
weisen: wer auf dem Gebiete der Logik arbeitet,
wird ohnehin an ihm nicht mehr Vorbeigehen
dürfen.
Lask versucht die Urteilslehre, die für gewöhn-
lich als ein Stück der blofs formalen Logik ab-
gehandelt wird, auf der Grundlage der Trans-
zendentalphilosophie aufzubauen. Dabei erfahren
die Gegensätze der Transzendenz und Immanenz,
des Objektiven und Subjektiven, des Seins und
des Denkens eine merkwürdige Beleuchtung.
Wir haben uns gewöhnt, den Sinn der kantischen
Tat darin zu erblicken, dafs durch sie das zweite
Glied der genannten Gegensatzpaare den Vorzug
vor dem ersten gewonnen habe, und dafs es
das Wesen der »kopernikanischen« Drehung aus-
mache, das Transzendente vom Immanenten her,
das Objektive vom Subjektiven, das Sein vom
Denken, d. h. vom Urteilen, vom Erkennen aus
zu erfassen. L. belehrt uns, dafs man durchaus
Kantianer bleiben, ja dafs man sogar jene Dre-
hung für den Epoche machenden Einschnitt in
der Geschichte der Logik halten und dennoch
wiederum den Schwerpunkt aus dem Subjekt ins
Objekt, aus der Immanenz in die Transzendenz,
aus dem Urteilen ins urteilsjenseitige Sein legen
könne. Er belehrt uns m. a. W., dafs man Ari-
stoteles und Kant auf dem Boden der Logik in
einer bisher ungeahnten Weise vereinigen könne.
Ja man darf vielleicht noch weitergehen und
sagen, in L.s Urteilslehre feire die Aristotelische
Metaphysik, korrigiert durch die Kritik Kants,
ihre Auferstehung, denn das Pathos und Ethos
der L.schen Philosophie ist durchaus das grie-
chische und nicht das kantisch moderne: ihr ist
das Höchste nicht das Tun des Subjekts, die
Spontaneität und Aktivität des Erkenntnisprozesses,
sondern das passive Hinnehmen und Empfangen,
bei dem das Subjekt lediglich zur Stätte des
Transzendenten wird, ja womöglich ganz in ihm
aufgeht. Uns Menschen ist indessen dieses »trans-
zendentallogische Erkennen« nicht vergönnt. L.
spricht geradezu von der »fatalen Aktivität« des
Erlebens, durch die das Transzendente »ange-
tastet«, »entstellt«, »untergraben« und in eine
»künstliche« Region hineingebannt wird, in der
sich einzig und allein die Gegenstände »unseres«
Erkennens befinden.
Der Primat des Transzendenten vor dem
durch die Subjektivität erschaffenen Qaasitran-
szendenten bedeutet so zugleich den Primat des
rein Theoretischen vor allem praktisch Bedingten
im weitesten Sinne. Eben darin zeigt sich die
Verwandtschaft und die Gegensätzlichkeit, in denen
sieb L. zu Kant, sowie zu Aristoteles befindet.
Den Sinn der kopernikanischen Drehung wahrt
er dadurch, dafs er auch das Transzendente als
ein Theoretisches ansieht, während Aristoteles
es als ein Metalogisches und dennoch Erkenn-
bares begreifen wollte, wodurch das schiefe und
verworrene Verhältnis von Logik und Metaphysik
bei ihm entstand. Kants Verdienst ist es, die
Metaphysik in die Logik aufgelöst zu haben;
sein Fehler, dafs er diese Auflösung allein durch
die Erkenntnistheorie vollzog. Aus diesem »Feh-
ler« ist nun aber Kants Ansicht vom Primat der
praktischen über die theoretische Vernunft er-
wachsen. Von diesem Hauptstück der kantischen
Thilosophie läfst L. als Rest nur die Interpre-
tation des Theoretischen als eines absoluten
Wertes übrig. Aber selbst aus diesem Rest
wird noch die letzte Erinnerung an seinen Ur-
sprung getilgt, denn der absolute Wert steht über
dem Gegensätze von Wert und Unwert, ist also
aller praktischen Stellungnahme zu ihm enthoben.
Nur so, sagt L., könne man »mit gutem Gewissen«
die Lehre von der Werthaftigkeit des Trans-
zendenten vertreten. Die Wahrheit thront über
dem Erkennen, jenseits des Erkennens, vor dem
Erkennen. Daher ist nicht die Erkenntnistheorie,
sondern die »Wahrheitslehre« die grundlegende
theoretische Disziplin der Philosophie.
Auf die Fülle logischer Einsichten, die sich
auf diesem Wege ergeben, und die eine über-
raschende Klarheit über viele Grundprobleme
verbreiten, darf ich hier nicht eingehen. Es gibt
in der philosophischen Literatur nur wenig Bücher,