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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,293
Lask, Emil; Rickert, Heinrich [Adr.]
(Heid. Hs. 3820,293): Brief von Emil Lask an Heinrich Rickert (Auszug) — Falkenberg, 1903 August 5

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https://doi.org/10.11588/diglit.27641#0002
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(Fortsetzung des Briefes vom 5.8.1903)


auswahlende Darstellung von Wirklichkeiten ? Also nur eine unter mehre-
ren Arten des wissenschaftlichen Verhaltens ? Wer das bestreitet, steht
auf dem Boden der Hegelschen Identifikation von Wirklichkeitsverlauf
(oder Wertverwirklichung) und absolute» sachlichem Wertzusammenhang.
Es steckt im Wesen der historischen Betrachtung, dass sie nie letzter
Anhalt einer Weltanschauung sein kann. Doch davon abgesehen ! Ich
wollte Ihnen vor allem »eine Ueberzeugung mitteilen, dass die Welt
nunmehr von Ihnen statt kleiner historischer wiederum grosse systema-
tische Werke zu fordern hat. Sie haben zwei grosse systematische
Leistungen vollbrachtt einmal den Archimedischen Punkt aller Spekul-a-
tion aufgewiesen und sodann uns den feineren formalen Bau in der Welt
wissenschaftlicher Bedeutungen kennen gelehrt, geradezu einen neuen
Erdteil von Strukturgehalt entdeckt, einen Mikrokosmos im Makrokosmos
der ewigen Bedeutungen. Aber die Zwischenwelten, die Zwisehenwelten!
Die müssen Sie 3etzt aus dem ürnebel hervortreten lassen ! Ich sage
das nicht leichthin, sondern weil ich täglich die Notwendigkeit davon
schmerzlich empfinde. Und gerade in diesen Tagen, wie ich schon schrieb.
Die äussere Veranlassung sind Husserls »logische Untersuchungen.»
Husserl ist einer der wenigen neben Ihnen, der weiss, worauf es in der
Spekulation ankommt und wodurch sich Philosophie als Wissenschaft von .
allen anderen Wissenschaften unterscheidet. Mein Urteil ist jedoch xiMfi
nicht endgültig, weil ich erst in der ersten Hälfte des zweiten Bandes
stehe. Gerade die zweite Hälfte aber scheint mir sehr Wesentlichen zu
enthalten. Vor alle» wird es wichtig sein, wie er sich zu Ihrer Urteils-
lehre stellt. Alles Wertvolle bei Husserl scheint mir übrigens implicite
in Ihrer Lehre enthalten zu sein. Was jedoch Ausschluss des psychclogi£f£,
sehen Missverstehens anbelangt, so dürfte Husserl in einigen*Punkten
in der Formulierung nach aussen hin glücklicher sein. Allerdings viel-
leicht auf Kosten der Tiefe^, worüber ich 3a erst vom letzten Teil dem
Werkes Aufschluss erwarte. Der Umfang des Buches ist i» Verhältnis zum
Inhalt etwas gross. Eines scheint übrigens Husserl wie nahezu sämtliche
Logiker zu verwechseln oder zu vermengen, nämlich Notwendigkeit und Ge-
setzlichkeit, Allgemeingiltigkeit und Allgemeinheit. Auch Windelband
ist sich 3a darüber garpicht klar.
Mit den »Zwischenwelten», deren Erleuchtung ich von Ihnen erwarte,
meine ich nicht nur die gesamte Logik, sondern auch die Erkenntnistheo-
rie, von der 3B Ihre ganzen »Grenzen» durchsetzt sind, ohne dass sie
den Spielraum hat, sich frei zu entfalten. Ich erinnere nur an die
Ausführungen über Causalität, aus denen doch strenggenommen - und nach
meiner Ansicht mit Recht - hervorgeht, dass es nur »individuelle»
Causalität gibt, da Causalität als realer Zusammenhang nur zwischen
Wirklichkeiten d.h. absoluten Konkretis bestehen kann. Die Kantischen
Kategorieen gelten gerade garnicht von der Wirklichkeit als Natur,
sondern nur von der Wirklichkeit schlechthin, von dem Material 3e&er
Wissenschaft. Kants Grundfrage (in der »Deduktion») lautet nicht : wie
ist Naturwissenschaft, sondern wie ist Wirklichkeitserkennen möglich ?
Sie sagen das 3t im Grunde auch, aber mit so diplomatischen Redewen-
dungen wie z.B.t dass nach Kant (und nach Ihnen) »die Wirklichkeit für
3ede wissenschaftliche Bearbeitung unter der Kategorie der Kausalität
gedacht werden muss», wobei man nicht recht weiss, ob die Kategorie
der Kausalität bloss fü^r die zu bearbeitende oder auch noch für die
bearbeitete »Wirklichkeit» gelten soll. Bedenkt man nun noch, dass
auch bei der Geschichtswissenschaft Material und geochiehtswissensehaft-
lich bearbeitete Welt auseinanderfallen, so Hessen sich auch hierüber
»artige» Betrachtungen anstellen. Dies Auseinanderfallen ist um so
grosser, 3e mehr die Begriffe bloss relativ historisch werden. Zu»
VI.Äbschnitt des vierten Kapitels fällt mir ein Vorschlag für die
 
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