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Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,405
Lask, Emil; Lask, Berta [Adr.]
(Heid. Hs. 3820,405): Brief von Emil Lask an Berta Lask — o.O., 1910 Oktober 15

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https://doi.org/10.11588/diglit.26909#0001
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'lit

a.15.io.io.

Liebe gerta!

Erst jetzt erfahre ieh zu meinem aachtraglichen Schreck^ dass du einem Auto-
mobil als Substrat gedient hast.Tch ass im Rosengarten» einem gasthaus mir
gegenüber Mittag,als plotzlich Gertrud Mayers ankamen.die dort wohneruweil
in ihrer Wohnung nur die wenigsten Mobel angekommen sind und Gertrud Mayer
es mir erzählte.Die Th|tsache des vollständigen überf ajärenwerdens hat etwas
so Schauriger* dass es Wlwie ein Wunder vorkommt» dass dir nichts geschehenist.
Anbei treffen zur Pflege für die nächsten Tage Poularde,Kompot und Bifcnen
ein?Vielleieht schreibt mir naeh Ankunft dieses Briefes irgend ein Mitglied
Eurer Familie^ ob alle (^aehwehen dieses mit so viel Glück verbundenen Un»>
glücksfalles beseitigt sind. Ist es geschehen,als wir noch in Oberhof wa-
ren? cer Gedanke»dass man bel der sehon an sich bestehenden Kürze des Le-
bens, die ich in Anbetraeht meiner Arbeitspläne immer stärker empfinde» aus-
serdem noch fortwahrend von Automobilen usw.bedroht ist, hat etwas Beängsti-
gendes.Grund genug^noch vorsichtiger zu sein als raan vorher war.

Der Gedanke der Kurze des ^ebens bestimmt überhaupt immer mehr meine Lebens
führung.ps bewährt sicl^was Simmel in einem Aufsatz »Zur Metaphysik des
Todes» in der Zeitschrift »Logos» sagt, dass der Tod nicht der plötzliche
Parzensehnitt ist, sondern gliedernd und gestaltend ins ganze Leben hinein-
ragt. £ch meine damit aber nichts Trauriger* sondern grade das Glückliche,
das man am besten mit Goethe sc^ausdrückt:» Noch ist es Tag,da rühre sich
der M&nn.Die »jacht tritt eiq,wo niemand wirken kann.» Seit etwa Herbst
vorigen Jahres beginnt die zeit, in der ich nach sehr langer Vorbereitungs-
und Schweigenszeit wirklich anfange zu. schaffen.Und ^etzt bin ich zum Glück
so stark davcn gepackt» dass nur die Verlegenheit entstehl^ rait all dem,was
ich sagen könnte - im Formulieren und Ausarbeiten Schritt zu halten.Tmmer
mehr wird zu allem anderen als zur Produktion das ^eben zu kurz. und auch
den Dozentenberuf würde icl\, trotzdem ich ihn hochstelle, aufgeben, wenn er
i# Ganzen mir als produktionshemmend erscheinen würde.

Obwohl ein ganzes System der Philosophie das Endergebnis meiner Arbeit
schliesslich sein müsstq,so werde ich froh sein,wenn ich es bis zu einem
System der Lcgikpi, der theoretischen Philosophie bringe.Aber eine wirklich
philosophische Logik ist nieht wie die Schullogiken ohne Beziehungen zu
und Beleuchtungen von den anderen philosophischen Wissenschaften. Wozu noch
kommt* dass die Logik* wie ich sie b^etreiben werde, auch Logik des philoso-
phisehen Erkennens isfc.

Das Buch, das ich ^etzt drucke,enthält lediglich einen einzigen Gedanken
programmatiseh aus meiner zukünftigen Logik.Es wird ,denke ich, Ende Novem,
ber erscheinen.Ich bin jetzt mitten im Tesen der Druckkorrekturen,ausseip-
dem aber verfasse ich noch einige Einschiebsel neu.

Ende Oktober dehke ich mit einem Aufsatz beginnen zu können,der wegen #
Rickerts dritter Auflage des Gegenstands der Erkenntnis getzt erscheinen
soll.Er sollikleiner seiq,und ich denke bis Weihnachten damit fertig zu
werden.

Herzlich grüsst auch Louis ®ein

Emil.
 
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