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Heidelberg, Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. Hs. 3820,440
Lask, Emil; Weber, Marianne [Adr.]
Nachlass Emil Lask (Heid. Hs. 3820,440): Brief von Emil Lask an Marianne Weber — Heidelberg, 1913 Februar 17

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https://doi.org/10.11588/diglit.27962#0001
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Brief an Frau Weber. Heidelberg, den 17.2.1913.

Liebe Frau Weber !

n Herzlichen Dank für Ihre Nachricht f Leider kenn ich Freitag nicht
kommen. Vielleicht komme ich, um Sie einmal zu sehen, wieder an einem
sonnigen Tage, wenn Sie gerade von Tisch aufstehen und im Garten spa-
zieren gehen. Etwas Besonderes oder Eiliges zu besprechen habe ich
nicht.
Sie müssten doch eigentlich in diesem Jahre Hölderlin dem Besinger
von Heidelberg und Griechenland, lesen. Vielleicht liesse sich, wenn
der Faust beendet ist, auch etwas aus Hölderlin vorlesen gelegentlich .
Kennen Sie Diltheys schönen Essay über Hölderlin ?
Ich habe Jetzt Gertrud Bäumers Darstellung von Goethe gelesen.
Die ist Ja;cuul zwar mit berechtigter Absicht »einseitig». Dabei ist
f/KCjl mir aber der Gedanke gekommen, ob^Simmel diese Seite *an Goethe gar zu
sehr ignoriert. Doch ich will das ganze Buch von Simmel noch einmal in
den Ferien lesen und dann vielleicht eine kleine Logos«*Notiz darüber
schreiben. Ich erzähle Ihnen noch Genaueres darüber.
Ich habe übrigens Gertrud Baumers »soziale Idee » bis einschliess-
lich Schiller gelesen, und ich glaube, dass man sich schon Jetzt ein ge
wisses Bild machen kann. Man kann eigentlich nicht sagen, dass das Buch
zu schnell geschrieben ist. Es ist in seiner Art völlig ausgereift. Es
hat eine sehr reizvolle Physiognomie (menschlich) und zeigt ein sehr
durchgebildetes, feines, vornehmes Urteil. Aber ich muss doch auch
sagen, mir graut etwas vor einer solchen Rezeptivität, vor einem so
stillehaltenden liebenswürdigen Voruberziehenlassen einer gewaltigen
Gestalt nach der anderen ohne die Fähigkeit, etwas mit dem Griff des
Geistes ganz zu packen. Doch mit solchen Anforderungen an produktive
Selbständigkeit misst man Ja das Buch schon mit Masstäben, mit denen
es ausdrücklich garnicht gemessen sein will. Und das, was man letzten
Endes eben vermissen muss, verdirbt einem auch keinen Augenblick den
Eindruck/ des Zarten, Feinen, Geistvollen, Sympathischen, Verdienst-
lichen ihres ganze^n Werkes.
Ich werde es Ja noch besser beurteilen können, wenn ich es weiter
felesen habe. Schon seit Jahren habe ich mir die Lektüre vorgenommen.
etzt bin ich gerade in der Stimmung alles mögliche Gesehichts-, So-
zial-, Lebensphilosophieche zu mir zu 4M64 nehmen. Zunächst als Vor-
arbeit für den Logosaufsatz über Kulturwissenschaft, dann auch füe
weitere Zwecke.
Herzlichste Grüsse von Ihrem

Emil Lask
 
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