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Hampe, Karl [Bearb.]
Letztes Korrekturbogen-Exemplar von Kantorowicz mit meinen kritischen Bemerkungen (Manuskripttitel) — Heidelberg, 1926-12-28/​1927-1-29

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https://doi.org/10.11588/diglit.34052#0010
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I. FRIEDRICHS KINDHEIT

VERGILS viertes Hirtengedicht ist die berühmteste abendländische-
Heilandsprophetie in gebundener Sprache. In dem verhältnismäßig
kurzen Lied hat der Dichter, ehe er noch in dem gewaltigen Epos die Zu-
kunft des Römerimperiums besang, das Bild des künftigen Weltenbe-
herrschers aufgestellt. Er gab ihm die Züge des Messias: als ein Götter-
sohn werde er lachend das Licht erblicken, werde dem Erdenrund Frie-
den bringen und das goldne Zeitalter, das Reich des Apoll wieder herauf-
führen. Daß Vergils Verheißung auch auf den Friedenskaiser Augustus,
den Gönner des Dichters, zu deuten sei, hat das Mittelalter niemals er-
wogen. Was hätten der christlichen Zeit die prophetischen Verse auch
andres bedeuten können als eine wunderbare Ansage des Erscheinens
Christi? Denn daß die Verse einen Herrscher verhießen, vermochte an
der Deutung nichts zu ändern: den Christ als König der Welt und Len-
ker des römischen Weltreichs zu feiern war man gewöhnt, wie man ihn
entsprechend auch darstellte: als den strengen Kosmokrator in einer
Mandorla auf Wolken thronend, Weltenkugel und Gesetzbuch in Hän-
den und das Diadem auf dem Haupte. Nur ein Wunder mehr war es, daß
der Heide Vergil gleich den Propheten des Alten Bundes des Erlösers
Kommen gewußt und gekündet hatte^und gerade das in dem kurzen Ge-
dicht offenbarte Wissen trug dem Sänger die bewundernde und scheue
Verehrung der mittelalterlichen Welt ein. Diese vergilische Heilands-
verkündigung gab Stoff und Stimmung her für den Sang, mit dem ein
kampanischer Dichter, Petrus von Eboli, die Geburt von Kaiser Hein-
richs VI. einzigem Sohn überschwenglich feierte. An der Wiege des
letzten und größten Kaisers im christlich-deutschen Römerimperium-
stand somit, bedeutungsvoll genug, Vergil.
Der gelehrte Petrus von Eboli war nicht der einzige Sänger und Weise,
der dem am zweiten Weihnachtstage 1194 Geborenen mit propheti-
schen Sprüchen nahte. Gotfried von Viterbo, der Lehrer Heinrichs VI.,
pries gleichfalls das Kind ,als künftigen Retter, als den von den Vati-
zinien verheißenen, die Zeit erfüllenden Caesar und in einen Sibyllen-
spruch eingekleidet hatte er schon zuvor seinem kaiserlichen Herrn an-
gesagt, daß dem Sohn als erwartetem Weltenkönig Osten und Westen
zu vereinen bestimmt sei, wie solches die Tiburtina verhieß. Orient und
Okzident, erzählte man daher später, hätten aufgejauchzt über die Geburt
des Kaisererben. Indessen wußte man bald noch von andern weniger
freundlichen Sprüchen zu berichten, welche die Geburt des jüngsten


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