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Hugo Helbing [Mitarb.]; Günther-Prestel, Ferdinand [Bearb.]
Privat-Sammlung Ferdinand Günther-Prestel †, Frankfurt a. M.: Antiquitäten, Gemälde, Handzeichnungen; Stiche, Bücher, namentlich viel Francofurtensia aus dem Besitze des verstorbenen Herrn Ferdinand Günther-Prestel; Auktion in Frankfurt a. M. unter Leitung des Kunsthändlers ... Hugo Helbing, München; Dienstag, den 22. und Mittwoch, den 23. November 1910 — München: Helbing, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.55932#0010
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VIII

schwenkte zur Begrüßung den Hut; Günther, immer hinter mir, brachte auf jeden einzelnen
Zug, mit Nennung der Stadt, lauten Hochruf aus. Es war eine Szene wie die in Mozarts
Don Juan, wo dieser bei dem Ständchen singend hinter Leporello steht und dem Willenlosen,
ja Widerwilligen die Arme führt. Ein durchaus gelungener Einfall, den sich aber die meisten
der Vorüberziehenden nicht erklären konnten.
Viel reine Freude hatte Günther an der Natur. Machte er keine größere Erholungsreise,
so verbrachte er seine Ferien im Taunus, am liebsten in Eppstein in der Ölmühle bei Wirt Ick-
stadt. Mit wahrem Stolz erzählte er, daß sein Großvater Besitzer der Burg gewesen sei — also
immerhin ein Burgherr — und wie glücklich er auf der Ruine mit ihren schön gepflegten Blumen-
gärtchen auf den Mauern seine Kindheit verbracht habe. Auch Cronberg sah ihn oft. Da wohnte
er im Schloß beim alten Rektor Gläsner. Die Abende war er beim »Adlerwirt« Renker mit den
ihm befreundeten Künstlern zusammen. Zur Winterszeit unternahm er mit Freunden fast leiden-
schaftlich gern, in seinen Pelz gehüllt, ausgiebige Schlittenfahrten in die bereifte Landschaft
bis nach Reifenberg und weiter ins Weiltal und hinauf nach Altweilnau zu Peter Becker, der
da sogar oft im Winter hauste.
Zu Günthers größten Freuden gehörte der wiederholte Besuch von Wilhelm Busch. Da
standen die beiden Vertrauten an der Tür der Kunsthandlung und ergötzten sich an den Vor-
übergehenden, wobei es für Buschs Augen und Stift stets viel Neues gab. Einmal konnte er
sich gar nicht satt sehen an einer Anzahl Schornsteinfeger, die im Zylinder mit ihren Leitern
und Besen auf dem Fahrrad vorbeisausten. Abends führte er seinen Freund nach Sachsen-
hausen zum Eppelwei(n), wo denn der Eindrücke für den Dichter und Zeichner unzählige waren.
Einmal sah ich Günther besonders aufgeräumt: Es war auf Peter Beckers 70. Geburts-
tag, 1898, auf welchen dieser zum Professor ernannt worden war. Im Hause des Herrn Stadtrat
Binding wurde der Abend mit Auszeichnung begangen. Es war eine große Gesellschaft, Damen
und Herren, und ein außerordentlich splendides Mahl in dem Festsaal, der meist mit Werken
Frankfurter Künstler ausgestattet ist. Ungemeine Fröhlichkeit herrschte, wozu Baurat von
Hovens Tischlied nach der Melodie: »Hecker, hoch dein Name schalle!« wahrlich nicht wenig
beitrug. Hören wir den neunten der zwölf so gelungenen Verse:
»Legt stets Wert auf die Staffage,
Die der Landschaft Reiz erhöht,
Manchmal hat er die Courage,
Daß die Sonn’ mit Gold er höht.
Peter Becker, deutscher Mann,
Der die Sonn’ vergolden kann.«
Mit welcher Lust sang da Günther aus voller Brust mit und brachte dann in Frankfurter
Mundart einen vorzüglichen poetischen Toast aus. Es war ein unvergeßliches Zusammensein!
Nun ist dies alles zu Ende! Bei vielen unserem Freunde gewordenen Freuden hat er auch
des Lebens Bitterkeit, die ja keinem erspart bleibt, reichlich gekostet. Nun ruhen seine
fleißigen Hände, die müden Augen sind geschlossen! Wir brachten ihn hinaus zum Friedhof,
wo er unter Gesang und dem Segen seiner Kirche ins Grab gebettet wurde und ruht, bis zu dem
großen Tage, wo die letzte Posaune erschallt!

Frankfurt a. M., im August 1910.
 
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