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Galerie Henning; Galerie Henning; Galerie Henning [Contr.]; Schmidt-Rottluff, Karl [Ill.]
Karl Schmidt-Rottluff: Aquarelle und Pinselzeichnungen aus den Jahren 1942-1944 : Januar 1949 — Ausstellung zeitgenössischer Kunst: Halle (Saale): Galerie Henning, 1949

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https://doi.org/10.11588/diglit.72848#0007
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unter gelohnter und geglätteter Oberfläche verborgenen Seele. Der Wille wurde
nun frei — allmählich — um sich wie ein Bach aus der Klamm hinaus mit vielen
Spuren auf weiterem Felde auszubreiten, ohne dabei lasch und energielos zu
werden und die Gebärde der Kunst dem Zufall einer Empfindung zu überlassen,
wie es viele nicht anders konnten, die sich über ihre Kraft hinaus jahrelang zu
künstlerischer Ekstase gezwungen hatten.
Und nun blüht die zauberhafte Welt auf, in die wir anläßlich dieser Ausstellung
einen Blick werfen können. Nicht sogleich, aber Schritt für Schritt vollzieht sich
in Schmidt-Rottluffs Kunst die Auflösung der Aktivität und formbildenden Kraft
des Willens, welche hinfort durch andere Qualitäten erseht wird. Die eruptive
Antwort seines Talents auf die Anreizung des Gegenstandes macht einer breiteren,
einer auf andere Weise als früher epischen Reaktion Plag. In den hier gezeigten
zwischen 1942 und 1944 entstandenen Blättern ist der Künstler in die legte
seiner bisherigen Gestaltungsphasen eingetreten. Wohin diese Kunst drängt,
welches Lebensgefühl ihr den charakteristischen, strömenden Atem verleiht, der
immer vorhanden war, aber nie so rein, geklärt, zugleich zauberhaft ursprünglich
und menschlich überlegen, lassen vielleicht jene Arbeiten erkennen, die sich dem
Geiste ostasiatischer Kunst am weitesten nähern — nicht kleinmütig nachfolgend,
sondern ebenbürtig und daher frei und vom Innersten der Anschauung, aus
dem ganzen Menschen heraus eindeutig und bei aller Herbheit beschwingt. Wir
sehen das innige Mitwirken an der Natur, das Versenkt- und Beschenktsein in
einem, das auch ausgesprochen noch ein Geheimnis bleibt in den „Rohrhalmen
am Haff" und in dem so ähnlich empfundenen Blatte „Goldrute im Herbst". Bei
den „Weiße Winden" denkt man unwillkürlich an Lotos, in so ähnliche Formen
taucht ein verwandtes Gefühl. Hier ist der Ort, an die Tuschzeichnungen zu
erinnern, die vor mehr als einem Jahre gezeigt worden sind, und die der Katalog
wieder abbildet: Die Eindeutigkeit und klare Ruhe der Zeichnung erhebt Ar-
beiten wie „Wanderdüne" oder „Schmales Haff" über manche der Aquarelle.
Und doch ist es gerade das Aquarell, in dem Schmidt-Rottluff das Äußerste an
farbiger Differenzierung zu erreichen scheint. Man hat den Eindruck, als komme
er in dieser transparenten Technik der Individualität der Farbe, ohne das Bild-
mäßige zu stören, noch näher als in der Ölmalerei. Auf vielen Blättern, wie den
delikaten „Gemüsestilleben" stimmen die optischen Schwingungen der Farben
nach Bedingungen, die einer fast unerklärlichen Rechnung folgen, zueinander.
Ein Ton erregt den anderen, jeder erzeugt den ihm korrespondierenden, ist Aus-
sage, die von nichts als vom farbigen Reiz herzukommen scheint, und die doch
weit über diesen hinausreicht, indem sie auf einen geradezu metaphysischen
Inhalt deutet. Dafür ist „Lärchen am Waldrand" kennzeichnend. Zugleich er-
weist dieses Blatt, ebenso wie das anspruchsvolle „Kohlrabi" -Stilleben, bei dem
das Gegenüber von Krapp und verschiedenen Grün in eine bezwingende, breite
und strömende Komposition gebettet ist, daß expressives V erhalten einem offenen
und groß gearteten Realismus der Darstellung nicht widerspricht. Aber der Wert
dieses Realismus ist eben diese seltene Größe, die zur ungewöhnlichen Intensität
der Beobachtung ein kongeniales menschliches und künstlerisches Vermögen
paart, um ein optisches Erlebnis zu einem seelischen zu machen, so daß eines
vorn anderen durchdrungen im Werke Gestalt wird.
Unter den Landschaften fallen einige Blätter auf, die nicht unerwähnt bleiben
sollen: „Blühende Bäume und Gartenhäuschen", eine fast still aus sich heraus
 
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