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Dragendorff, Hans [Hrsg.]; Hiller von Gaertringen, Friedrich [Hrsg.]
Thera: Untersuchungen, Vermessungen und Ausgrabungen in den Jahren 1895 - 1902 (Band 2): Theraeische Gräber — Berlin, 1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.1146#0136
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I2Ö

III. Kapitel. Die archaischen Gräber

angedeutet durch einzelne Gefäße, die man ins Grab thut. Auch kleine Nachahmungen erfüllen
den Zweck nach theräischem Glauben vollkommen. Aber diese Gaben kommen doch meist
noch unversehrt ins Grab, sie werden nicht mit dem Toten auf dem Scheiterhaufen verbrannt,
wie das z. B. mit den Waffen der Toten bei Homer geschieht. Nur in einem Falle, beim
Grabe 66 (S. 53), dessen Alter wohl kein allzuhohes ist, wiesen die Beigaben Brandspuren auf.

Von Speisen, die man den Toten mit ins Grab gegeben, fand sich keine Spur. Ein
paar vereinzelte Muscheln, die sich in Gräbern fanden, können als solche nicht angesehen
werden, da es keine eßbaren Arten, sondern schön aussehende große Gehäuse sind. Auch durch
"dieses Fehlen der Speiseopfer im Grabe trägt die theräische Nekropole augenscheinlich jüngeres
Gepräge als die altathenische. In den Dipylongräbern finden sich häufig Reste von Opfer-
tieren, Teile des Opfers und Totenmahles, das nach altem Brauch vor dem Begräbnis statt-
findet, in Athen erst durch Solons Gesetz eingeschränkt wird15c). Vielleicht dürfen wir aus dem
Fehlen derartiger Reste in Thera den Schluß ziehen, daß man auch hier sich schon auf das
Totenmahl nach dem Begräbnis beschränkte157).

Nirgend konnte ich konstatieren, daß man, während die Grube zugeschüttet wurde,
Gaben und Gegenstände, die bei der Totenfeier gebraucht waren, in dieselbe hinab-
geworfen hätte.

An dem geschlossenen Grabe aber hat der Kult fortbestanden. Darin steht der
theräische Brauch in scharfem Gegensatz zum homerischen. Wenn die Theräer in ihre Toten-
stadt hinabstiegen, dann trugen sie Gaben zu den Gräbern der Ihrigen. Auf die Gräber, die
durch die Stele bezeichnet waren, auf die Grabplatten und die Tischchen stellten sie Gefäße
mit Oel, Wein, Honig, Speisen, und was sonst griechischer Brauch war. Die zahlreichen Pfahl-
muscheln in einem Gefäße des Massenfundes mögen der Rest eines solchen Speiseopfers sein.
Und als die Kunstfertigkeit der Theräer wuchs, da stellte man wohl auch eine Thonfigur
hinzu, deren Klagegebärde die Stimmung der Leidtragenden dem Toten klar vor Augen führen
sollte. So sammelt sich auf den Gräbern eine Fülle von Gaben. Manches wurde zerbrochen,
von den flachen, dicht gedrängten Gräbern gestoßen, in den Boden getreten; anderes sorgsam
beiseite geräumt und dem irdischen Gebrauche durch Vergraben entzogen. So sind die Gaben
auf uns gekommen, und sie geben uns heute Zeugnis von der Pflege, die die Theräer in
archaischer Zeit ihren Toten angedeihen ließen. Auch in Thera mögen Zeiten stärkeren
religiösen Bedürfnisses mit Zeiten laxeren Glaubens gewechselt haben. Ganz abgestorben ist
der Totenglaube und damit der Grabkultus aber nie. Ja, er hat in späterer Zeit wie an vielen
Orten so auch in Thera -eine entschiedene Steigerung erfahren, für welche die prachtvollen
Grabtempel hellenistischer Zeit und vor allem das Testament der Epikteta deutliches Zeugnis
ablegen.

16G) Plut. Solon 21. Vergl. Rohde Psyche I 212. Ath.

Mitth. XVIII 147. 'Etp. a'px- 1889 S. 173 Anm. 2.

16!) Nur in zwei Fällen (Grab 29 und 41) fand sich

eine Aschenschicht im Grabe, die vielleicht als
Rest eines vor der Bestattung veranstalteten Opfers
angesehen werden kann.
 
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