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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0219
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Überblick zu Verbreitung und Erscheinungsformen

199

rembrandtesken Tronien.38 Bereits im Jahr 1633, also mit
etwa 15 Jahren, malte er einen Jüngling mit rotem Feder-
barett und Goldkette (S0R Rüsche-Sammlung) [Kat.
527, Taf. 109], dessen Ausstaffierung sich an Rembrandts
Selbstdarstellungen der späten zwanziger und frühen
dreißiger Jahre orientiert.39 Die Mimik des Dargestell-
ten, der die Stirn in Falten zieht und den Mund leicht
geöffnet hat, weist die Figur deutlich als Tronie aus. Die
frühzeitige Auseinandersetzung mit dem Bildtyp der
Tronie lässt erwarten, dass der Maler von einem Meis-
ter ausgebildet wurde, der selbst Tronien produzierte.40
In der Forschung wird wiederholt eine Lehre bei Jacob
Gerritsz. Cuyp (1594-1652) vorgeschlagen.41 Allerdings
sind in Cuyps Werk der zwanziger und dreißiger Jahre
keine rembrandtesken Tronien nachzuweisen. Überzeu-
gender scheint daher die Annahme, Vereist könne Schü-
ler Gerrit Dous oder Paulus Lesires gewesen sein.42 Ab
1643 war Vereist in Den Haag ansässig, wo er vor allem
in den vierziger Jahren weitere Tronien produzierte [Kat.
529-530, Taf. 109].43
Als einer der wenigen, ebenfalls in Den Haag
tätigen Künstler, die Tronien malten, kann zudem
Pieter Quast (1605-1647) angeführt werden. Quast
wurde 1634 als Meister in die Haager Malergilde
eingeschrieben44 und malte spätestens in der zweiten
Hälfte der dreißiger Jahre von Rembrandt beein-
flusste Tronien. Belegen lässt sich dies anhand zweier

monogrammierter und 1638 datierter Halbfiguren
- eines Mannes in polnischer Tracht (unbekannter
Besitz) [Kat. 372, Taf. 79] und einer Greisin in Phan-
tasietracht (unbekannter Besitz) [Kat. 373] - sowie
anhand eines ebenfalls monogrammierten und 1639
datierten Brustbildes eines alten Mannes mit Barett
in Budapest (Szepmüveszeti Muzeum) [Kat. 374].45
Quast gehört zu den vielen Kleinmeistern, die sich
bei der Herstellung von Tronien an Werken der rich-
tungsweisenden Maler ihrer oder einer älteren Genera-
tion orientierten, deren GEuvre jedoch meist nicht aus-
reichend untersucht oder auch zu schlecht erhalten ist,
um genaue Aussagen über Art und Umfang ihrer Tro-
nieproduktion sowie gegebenenfalls über Entstehungs-
ort und -zeit ihrer Tronien treffen zu können. Dies gilt
etwa für Künstler wie Cornelis Bisschop, Abraham van
Dijck, Paulus Lesire, Karel van der Pluym, Johannes
Spilberg, Jacob van Spreeuwen und Johannes van Sta-
veren, aber auch für bisher noch nicht genannte Meister.
Zu Letzteren zählt z.B. der in Dordrecht tätige Maler
Jan Olis (um 1610-nach 1655), der mehrere im RKD
in Den Haag dokumentierte Tronien schuf,46 sowie der
Monogrammist IS (tätig um 1633-1658). Dem Mono-
grammisten IS können einige Tronien alter Männer und
Frauen in phantasievoller Kostümierung zugeschrieben
werden, ohne dass der Name des Meisters oder der Ort
seiner künstlerischen Tätigkeit bekannt wären.47

38 Zu Verelsts Tronien vgl. Sumowski 1983-1994, Bd. 1, S. 86,
Anm. 21, 23, Abb. S. 97, 101, Bd. 5, Kat. Nr. 2164, Bd. 6, Kat.
Nr. 2457, 2458; Raupp 1995a, Kat. Nr. 54, S. 142-145; Raupp
1996a, Kat. Nr. 61, S. 244-247, bes. Anm. 7 u. 8. Weitere Tro-
nien Verelsts sind im RKD dokumentiert, z.B. die Tronie
eines Bärtigen Mannes mit Glatze, Holz, 20,4 x 18 cm, bez.:
PV [als Monogramm], Amsterdam, Kunsthandel (Salomon
Lilian, 1999), Foto RKD, Den Haag; sowie die Tronie einer
Alten Fratz mit Stock in der Hand, von 1643 (unbekannter
Besitz) [Kat. 528, Taf. 109],
39 Vgl. z.B. Rembrandts >Selbstbildnis< mit federgeschmücktem
Barett in Boston (Isabella Stewart Gardner Museum) [Kat.
391, Taf. 83], Vgl. auch Raupp 1995a, Kat. Nr. 54, S. 142.
40 Vgl. oben, Kap. III.1.4.
41 Jansen 1983, S. 80; Kat. Dublin 1986, S. 167; Chong / Wiese-
man 1992/93, S. 18; Raupp 1995a, S. 142; Raupp 1996a, S. 244.
42 Jansen 1983, S. 80, und H. Potterton in Kat. Dublin 1986,
S. 167, halten Cuyp oder Lesire für mögliche Lehrer Verelsts.
Dou wird genannt bei Bernt 1979/80/91, Bd. 3 (1980), S. 42;
Raupp 1995a, S. 142; Raupp 1996a, S. 244. Eine auffallende sti¬
listische Nähe besteht zu Lesires Jüngling mit Federbarett und
Halsberge (Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum)
[Kat. 268, Taf. 56], der G. Jansen zufolge in den dreißiger Jah-
ren entstanden ist, Kat. Amsterdam / Groningen 1983, Kat.
Nr. 47, S. 186. Vgl. ebenso Sumowski 1983-1994, Bd. 3, Kat.
Nr. 1147; Kat. Hannover 2000, Kat. Nr. 113, S. 239f.

43 Vgl. Raupp 1996a, Kat. Nr. 61, S. 244-247. Ein besonders
schönes Beispiel für eine Tronie aus dieser Zeit ist Verelsts
Brustbild eines Greises von 1648 in Toulouse (Musee des Au-
gustins). Dasselbe Modell verwandte der Maler im Bild eines
Gelehrten von 1647 (Ponce/Puerto Rico, Museo de Arte),
Sumowski 1983-1994, Bd. 1, S. 86, Anm. 22, Abb. S. 99; so-
wie in der Historie Tobias heilt seinen Vater (Sammlung Ho-
henbuchau), Sumowski 1983-1994, Bd. 5, Kat. Nr. 2162a.
44 Turner 2000, S. 264.
45 Im RKD (Den Haag) sind weitere Tronien Quasts dokumen-
tiert.
46 Bei den im RKD Ohs zugeschriebenen Werken handelt es sich
vornehmlich um Brustbilder junger Männer, die in der Art
der in Rembrandts Umkreis entstandenen Tronien mit Ba-
rett, Halstuch und Halsberge oder gefälteltem weißen Hemd
ausstaffiert sind. Vgl. das Brustbild eines Jünglings, Holz, 40,5
x 39,5 cm, 1963 in Worthing, Sammlung John Sophian, Foto
RKD, Den Haag; und das Brustbild eines Jünglings mit Fe-
derbarett, Holz, 24 x 19 cm, unbekannter Besitz (Versteige-
rung Wien, Dorotheum, 06.06.1991, Nr. 63), Foto RKD, Den
Haag.
47 Kat. Stockholm 1992/93, S. 297; Kat. Braunschweig 1993/94,
S. 166. Zu den Tronien des Meisters vgl. Sumowski 1983-1994,
Bd. 4, S. 2549, 2550, Anm. 15, 17, 19, 20, Abb. S. 2553, 2555-
2557, Bd. 6, Kat. Nr. 2390, 2392; Kat. Stockholm 1992/93,
Kat. Nr. 111, 112, S. 297f.
 
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