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Hirschfelder, Dagmar
Tronie und Porträt in der niederländischen Malerei des 17. Jahrhunderts — Berlin: Mann, 2008

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https://doi.org/10.11588/diglit.47555#0346
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Bedeutung, Funktion und Wertschätzung von Tronien

Die Interpretation des Motivs der (Straußenfe-
der hängt von dem jeweiligen Bildkontext ab, in dem
es auftaucht. In der Genremalerei eignet ihm tatsäch-
lich häufig eine negative Bedeutung: Als Attribut der
von den Utrechter Caravaggisten gemalten fröhlichen
Musikanten, Zechern und Kurtisanen fungiert die
Feder als »Sinnbild lasterhaften Lebenswandels;«75
in memento morz-Darstellungen verweist sie auf die
Eitelkeit des irdischen Lebens.76 Und auch in der
Emblemliteratur ist das Motiv meist nicht eindeutig
positiv zu verstehen. So haftet z.B. Ripas Personi-
fikation der Zufriedenheit und Freude (>Contento<,
>Genoegen<, >Vermaeck<), die einen Federbusch am
Hut trägt, durch den auf das eigene Vermögen (im
materiellen wie im übertragenen Sinne) gewandten
Blick eine negative Komponente an.77 Gleiches gilt
für Ripas Personifikation der Phantasie (>Capriccio<).
Zwar ist ihre Mütze als »Zeichen eines poetischen in-
genium«™ mit Federn geschmückt.79 Doch legt Ro-
land Kanz überzeugend dar, dass Ripas Deutung des
Capriccio eine negative Tendenz im Sinne von Un-
beständigkeit und >Eigensinn< beinhalte.80
Im Bildnis, das einen Auftraggeber von seiner bes-
ten Seite zeigen sollte, ist mit einer negativen Kon-
notation der Feder bzw. des Federbaretts allerdings

nicht zu rechnen. Als Bestandteil der Tracht des 16.
Jahrhunderts stellt es hier vielmehr ein der Vergan-
genheit angehörendes Kleidungsstück dar,81 dem im
portrait historie oder Kostümbildnis in erster Linie
eine historisierende Funktion zukam.82 Offensicht-
lich wurde das Federbarett z.B. als geeignetes Motiv
für die Einkleidung der Dargestellten auf Bildnissen
angesehen, welche die porträtierten Personen in die
ideale Welt eines fiktiven, längst vergangenen Arka-
dien versetzten [Kat. 505, Taf. 105],83 Darüber hinaus
wurde einem Auftraggeber durch eine Feder am Ba-
rett in den Augen der Zeitgenossen zweifellos ein be-
sonders elegantes Aussehen verliehen. Denn Strau-
ßenfedern bereicherten als ausnehmend modische
Verzierung insbesondere des männlichen Hutes auch
die vornehme zeitgenössische Kleidung.84
Ebenso wenig wie die Feder können Elemente
wie Harnisch, Halsberge oder kostbarer Schmuck
im Kostüm- oder Rollenporträt als Symbole mit
negativer Bedeutung interpretiert werden.85 Es ist
auszuschließen, dass die Auftraggeber von Porträts
in Phantasietracht ihre Bildnisse im Sinne negativer,
moralisierender bzw. warnender exempla verstanden
wissen wollten, die an die Vergänglichkeit des Lebens
erinnern oder lasterhafte Eigenschaften der Darge-

75 Dekiert 2003, S. 268. Vgl. auch ebd., S. 146, 173.
76 Zu der von Lucas van Leyden begründeten Tradition der
memento znorz-Darstellung in Gestalt eines jungen Man-
nes in Halbfigur mit Federbarett und Totenschädel vgl.
Raupp 1984, S. 266-274; Kat. Washington / London /
Haarlem 1989/90, Kat. Nr. 29, S. 208-211.
77 Ripa/Pers 1644, S. 159.
78 Raupp 1984, S. 177.
79 Ripa / Pers 1644, S. 129f. Zur Bedeutung des Federhuts
schreibt Ripa: »Het Bonnet met verscheyden veeren, ver-
toont, dat dese verscheydentheyt van ongemeene hande-
lingen, voornaemlijck uyt de fantasyen heerkomt.« (130)
80 Kanz 2002, S. 161-173.
81 Federschmuck am Barett war im 16. Jahrhundert ein
geläufiger Bestandteil besonders vornehmer Tracht und
gehörte auch zur Ausstattung von hohen Adligen und
Fürsten, wie z.B. gedruckte Fürstenporträts dieser Zeit
verdeutlichen. Vgl. die Abbildungen in Kat. Amsterdam
1972. Vgl. außerdem Thiel 1980a, S. 173, Abb. 301, S.
174, Abb. 304, S. 180, Abb. 317, 318, S. 185, Abb. 325,
S. 190, Abb. 331, S. 204f., Abb. 360. Auch trugen Lands-
knechte im 16. Jahrhundert häufig Straußenfedern an ih-
ren Baretten. Vgl. Thiel 1980a, S. 179; Baumann 1994, S.
38; Seggern 2003, S. 59f., sowie den Abbildungsteil.
82 Zur Beurteilung des Baretts als Element, das im 17. Jahr-
hundert auf die Vergangenheit verwies, vgl. Winkel
1999/2000, S. 68.
83 Dirck Dircksz. Santvoort stellte Martinas Alewijn (1634—

1684) (Amsterdam, Rijksmuseum) [Kat. 505, Taf. 105] als
Knaben mit Hirtenstab, Jagdhund und Schafen in der Natur
dar. Vorne im Bild liegt ein Barett mit drei verschiedenfar-
bigen Federn. Sowohl Kettering 1983, S. 36, als auch De-
kiert 2003, S. 211, Anm. 789, geben an, dass das Federbarett
nicht zu den Motiven pastoraler Darstellungen zu rechnen
sei. Doch kommt es statt Efeukranz oder mit Blumen ge-
schmücktem Hut durchaus in einigen Fällen als Kopfbede-
ckung der Hirten oder Jäger auf Genrebildern vor. Vgl. auch
Kat. Utrecht / Frankfurt / Luxemburg 1993/94, S. 110,
Abb. 10.1, Kat. Nr. 52A, S. 259-262. Beachtenswert ist in
diesem Zusammenhang die Bedeutung von Federn in der
Emblemliteratur: Als Zeichen für ein »poetisches ingenium<
(Raupp 1984, S. 177) verweisen sie möglicherweise auf die in
der zeitgenössischen pastoralen Literatur übliche Identifika-
tion des Hirten mit dem Dichter.
84 Vgl. Tfiienen 1930, S. 14, 62, 84; Kinderen-Besier 1950,
S. 37f., 95, 138; Thiel 1980a, S. 214; Meyer 1986, S. 79.
Vgl. auch Thiel 1980a, S. 210, Abb. 368-369. Auch be-
sonders vornehm gekleidete Damen trugen gelegentlich
einen mit Feder geschmückten Hut, vgl. Kinderen-Be-
sier 1950, S. 115.
85 Für Kostümbildnisse, auf denen die Dargestellten
Rüstungsteile tragen, vgl. z.B. Kat. 83, Taf. XXIV, Taf.
15, Kat. 484, Taf. XXIV, 102. Perlen-, Gold- und Juwelen-
schmuck gehört zu den gängigen Accessoires von Bild-
nissen in Phantasietracht, vgl. z.B. Kat. 53, Taf. XI, 10,
Kat. 56, Abb. 63, S. 303, Kat. 153, Taf. 32.
 
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