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Hirt, Aloys Ludwig
Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (Text) — Berlin, 1809

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https://doi.org/10.11588/diglit.1740#0043
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Fünfter Abschnitt.

Von der Architektur, als schönen Kunst, und von einem allgemeinen Prüfungssatz in derselben. Ferner von dem Kenner,
dem Liebhaber, dem Bauhandwerker, dem Empiriker, und dem Architekten.

6. i. Man liat in neuern Zeiten die Frage aufgeworfen, ob die Baukunst den schönen
Künsten beygesellt zu werden verdiene. Diese Frage dürfte nach dem, was wir bisher über
den dreyfachen Endzweck der Baukunst gesagt haben, für uns zu entscheiden nicht schwer
seyn. Denn da es wesentlich zur Baukunst gehört, ihre Werke den Gesetzen der sinnlichen
Anschauung gemäfs auszuführen, und dadurch auf eine mannigfaltige Weise auf das Gemüth
zu wirken; wer möchte wohl anstehen, der Architektur einen Platz unter den schönen Kün-
sten einzuräumen?

Der Beyname Schön, den man den höhern Künsten beylegt, ist übrigens neu, und rührt
von den Italienern her, welchen man die Wiederherstellung der Kunst verdankt. Die Alten
begriffen dieselben unter dem Beynamen der Freyen oder humanen Künste; theils weil nur
der Freygeborne sich ihnen widmete, theils weil nichts die Würde der Menschennatur so
sehr unterscheidet, als die Bekanntschaft mit diesen Künsten und deren Ausübung. Aufser
der Poesie, der Musik und den gymnastischen Künsten sind es hauptsächlich die Bildnerey,
Mahlerey und Baukunst welche den Genufs des Lebens verschönern und von der höhern
Geistesthätigkeit eines Volkes zeugen. Die blühendste Epoche einer Nation ist die, wo vor
dem Auge sich alles in den schönsten und anmuthigsten Formen entwickelt. Und welche
Kunst hat hierauf mehr Einflufs, als die Architektur?

Aber man sagt, der ästhetische Zweck bey der Baukunst sey nicht rein, wie bey den
andern zeichnenden Künsten; sie bezwecke auch einen gewissen Dienst, einen gewissen
Nutzen. Wir können und wollen dies nicht leugnen. Das Verhältnifs der Baukunst zur
Bildnerey und Mahlerey, ist, wie das der Redekunst zur Poesie. Bey dieser ist der Haupt-
zweck durch das Schöne auf das ästhetische Gefühl zu wirken. Jene hingegen will nicht
blofs gefallen; ihr Streben geht auch dahin zu belehren und zu überzeugen. Der Redner
darf also allerdings dem Schmuck und dem Wohlklang der Piede und der Pracht der Bilder
nur in so fern Raum geben, als der Zweck des Belehrens und Ueberzeugens nicht darunter
leidet, sondern dadurch vielmehr befördert wird. Ohne eine lebhafte, kraftvolle und vielge-
wandte Einbildungskraft wird zwar nie ein grofser Ptedner auftreten; aber die Phantasie des
Redners mufs durch Einsichten und feste Absichten, durch vielseitige Kenntnifs und reife
Beurtheilung der Dinge gezügelt, und in Schranken gehalten werden. Der philosophische
Sinn mufs in eben dem Grade bey ihm obwalten, wie der ästhetische. Aber wer würde
wohl dieses doppelten Zweckes wegen die Redekunst aus der Reihe der schönen Künste
ausschliefsen wollen?

So wie in Rücksicht des Reinästhetischen die Bildnerey und Mahlerey mit der Dicht-
kunst verwandt sind; so ist es die Architektur mit der Redekunst. Der Baumeister, wie
der Redner, hat neben dem Zwecke, durch das Schöne zu gefallen, noch zwey coordi-
nirte Zwecke, nemlich den der Festigkeit durch eine wohlverstandene Construction, und
den der Bequemlichkeit durch eine kluge Wahl der Formen und der Einteilung. Aber
wieviel eine gewandte Einbildungskraft und ein gebildetes Gefühl zur Verschönerung eines
Baues, der den zwey ersten Anforderungen entspricht, noch beytragen könne, lehren uns
die Musterwerke der Griechen und Römer sattsam. Der vollkommene Architekt, wie der
vollkommene Redner, kann nur da aufstehen, wo das Gefühl für das Hohe und Schöne dem
Verstände und die Lebhaftigkeit der Phantasie der Urtheilskraft das Gleichgewicht hält.

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