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Abb.

S. Coſtanza iſt der erſte völlig orientaliſierte Bau am Tiber. Wie der große


Abb.
28 und 29

Abb. 31

neuen Suprematie des Orients überhaupt —, ſo wird in S. Coſtanza offiziell
die neue, orientaliſche Auffaſſung von Körper und Naum zur Hauptweſenheit
des neuen Architekturſtils auch am Tiber.®) Damit iſt die künſtleriſche Zukunft
Italiens bis zur Renaiſſance beſtimmt.

Alles, was Toskana und Rom dann an mittelalterlicher Kunſt zu bieten
hatten, darf, mit geringen Ausnahmen, einer Variation über das Thema des
Altchriſtlichen gleichgeachtet werden. Die Protorenaiſſance des romaniſchen Stils
von Toskana bewahrt durchaus jene ſpäte Auffaſſung der Raum⸗ und Körper-
form, wie ſie im Altchriſtlichen und Byzantiniſchen üblich war. Die Blendarka-
den und Säulengalerien der Bauten von Piſa, Lucca, Piſtoja uſw. entſprechen der
Umbildung, welcher in der letzten, (nach Swoboda ſpätrömiſchen) alſo byzantini-
ſchen Entwicklungsſtufe die traditionellen Säulenfronten der Paläſte unterworfen
wurden. Ahnliches gilt von den Blendarkaden armeniſcher Kirchen, bei denen
aber auch noch meſopotamiſch-perſiſche Faktoren in Rechnung zu ſetzen ſind.““)

Rom war bekanntlich während des ganzen Wittelalters ein Hort des Alt-
chriſtlichen. Es beſteht keine Kluft zwiſchen den ſtiliſtiſchen Beſonderheiten ſüd-
italieniſch⸗ſiziliſcher Architektur (byzantiniſch⸗ſarazeniſch⸗normanniſch) und den
Bauten der ſogenannten Protorenaiſſance Toskanas. Die Dome von Wonreale,
Palermo, Cefalu ſind im innerſten Weſen mit denen zu Piſa, Lucca und Florenz
(San Miniato) verwandt. Es iſt das „orientaliſche Italien“, zu dem natürlich
wegen der gemeinſamen Grundlagen in altchriſtlicher Spätantike auch Cividale
und Venedig gehören. (Schon Strzygowski prägte den eben gebrauchten Ter-
minus vom „orientaliſchen Italien“.) Manche Monumente der italieniſchen Gotik
haben ebenfalls ſtarke orientaliſche Merkmale. Die nächſten Verwandten der
Dome von Orvieto und Siena ſind die Hallenkirchen Spaniens (ogl. den Wechſel
von farbigen Steinſchichten in Siena und Orvieto). In den Domen von Or-
vieto und Siena erhält der Naumſtil italieniſcher Gotik etwas moſcheenhaftes.
Die farbigen Steinſchichten ſtehen den Inkruſtationen Toskanas gleich. Sie ſind
Mittel für den flächenhaften Effekt, Mittel der Entmaterialiſierung. Keineswegs
ſoll verkannt werden, daß an der Faſſade von S. Minito die ausgewogenen Pro-
portionen der Blendarkaden des unteren Geſchoſſes ſchon das wiedererwachende
Schönheitsgefühl des kommenden Nenaiſſance⸗Italien verraten. An ſich aber ſteht
das Motiv dieſer Arkaden völlig auf der Stufe zweidimenſionaler Wandbelebung
wie in Piſa und Armenien.

Jenes Geſchenk des Renaiſſancehumors am Grabe der verblichenen Gotik,
wie Burckhardt den Mailänder Dom nannte“), findet vielleicht eine zureichende
Erklärung ſeiner Wunderlichkeit darin, daß das orientaliſche Italien einen letzten
Vorſtoß wagt. Wir würden keinesfalls ſtaunen, fänden wir den Wailänder Bau
am Ganges vor. '

Die Arkadenreihen der Faſſaden von Piſa, Lucca uſw. hängen wie körperloſe
Spitzenſchleier herab. Am ſchiefen Turm zu Piſa hat gar das peripterale Prinzip

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