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Hübsch, Heinrich
Die altchristlichen Kirchen nach den Baudenkmalen und älteren Beschreibungen und der Einfluss des altchristlichen Baustyls auf den Kirchenbau aller späteren Perioden: Text zu dem 63 Platten enthaltenden Atlas — Karlsruhe, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.3196#0027
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Beschreibung

der

einzelnen aufgenommenen Baudenkmale,

Die Capellen in den römischen Catacomben.

(Auf PI. VI, Fig. 1 bis 11.)

Die von den ersten christlichen Gemeinden erbauten Kirchen waren begreiflicher
Weise noch nicht von bedeutender Gröse und Opulenz. Am kleinsten und ärmlichsten
waren aber wohl diejenigen Kirchen oder vielmehr Capellen, die heimlicher Weise am
Sitze der heidnischen Kaiser, in Rom von den schwer verfolgten Christen zwischen ihren
unterirdisch angelegten und aus dem sich vorfindenden weichen Tufsteine ausgehöhlten
Gräberstrassen (Catacomben) angebracht wurden. Im Verlaufe von fast drei Jahrhunderten
sind ausserhalb der Stadtmauern Roms zwanzig unterirdische Begräbnissplätze (Cö'meterien)
angelegt worden, deren jeder aus einem Labyrinthe solcher parallel und kreuzweise neben
und untereinander hinlaufenden Gräberstrassen besteht. Bis jetzt ist noch kaum der
vierte Theil derselben zugänglich, es werden aber gegenwärtig fortwährend Ausgrabungen
unternommen, und fast wöchentlich neue interessante Capellen und Wandgemälde entdeckt.
Der früher erschienenen Abbildungen und Beschreibungen der römischen Catacomben nicht
zu gedenken, hat in neuerer Zeit P. Marchi S. J. ein sehr gründliches, leider bis jetzt
noch nicht beendigtes Werk darüber herausgegeben'), und kürzlich ist ein prachtvolles
Kupferwerk auf Kosten der französischen Regierung erschienen"). Daher gebe ich hier
nur der Vollständigkeit wegen einige Abbildungen von Capellen auf PL VI und bemerke
nur Weniges über ihre wesentlichsten Eigenschaften.

Diese Capellen, in denen sich die geängstigten Christen Nachts zum Gottesdienste ver-
sammelten, waren von sehr verschiedenen Grundformen, quadratisch, sechseckig, im länglichen
Viereck &c. wie die Grundrisse Fig. 1 bis 4 zeigen; aber in allen Capellen findet sich als
Hauptgegenstand eine grösere Nische (arcosoimm), manchmal auch zwei und drei, deren
jede das Grab eines bedeutenden Märtyrers enthielt. Solche Gräber waren nicht, wie die
übrigen, die zu beiden Seiten der Gänge als Nischen von der Länge, Breite und Dicke des
menschlichen Körpers ausgehöhlt sind, vorn mit einer verticalen Platte geschlossen; sondern
sie waren oben mit einer horizontalen grosen Platte bedeckt, um einen Tisch zur Darbringung
des heiligen Opfers zu bilden. So ärmlich und nothdürftig nun diese Capellen auch sonst
angelegt sind, so fehlten doch in keiner die Wandbilder — meist symbolische Darstellungen
aus dem alten und neuen Testamente. Die menschlichen Gestalten sind von ziemlich correcter
körperlicher Proportion, haben aber noch keine christlichen Physiognomien, sondern gleichen
ganz denjenigen der heidnischen pompejanischen Malereien. Man glaubt bei der Dar-
stellung Christi als guter Hirte einen heiteren virgilianischen Landmann in kurzer Tunika
zu sehen, und die weiblichen Gestalten würde man nicht für betend halten, wenn sie
nicht ihre beiden Arme weit ausbreiteten. Diese Malereien sind allerdings viel roher, als die
pompejanischen, aber mit einem fast eben so sichern Pinsel und zwar in aller Eile mit
wenigen Strichen ausgeführt. Diese letztere Eigenschaft liefert denn auch zugleich den
Beweis, dass alle diese Malereien, gleich den Capellen selbst noch vorconstantinisch
sind, einige wenige ausgenommen, die nachträglich in einzelne Capellen gemalt wurden
und leicht unterschieden werden. Auf denjenigen Bildern, die in den nach Constantin
erbauten Kirchen in Mosaik ausgeführt und noch vorhanden sind, zeigen — wiewohl noch
eine Zeit lang einzelne heidnische Allegorien eingemischt sind, z. B. der Fluss Jordan als
liegende Mannsgestalt mit Wasserurne und Schilf auf dem Plaupte — die Physiognomien
bereits jenen tiefen christlichen Ernst. Welche würdige Gestalten sind die zwölf Apostel
in der Kuppel des Baptisteriums zu Ravenna aus dem fünften Jahrhundert, oder die der-
selben Zeit angehörende sitzende Bronze-Statue des heiligen Petrus mit den Schlüsseln!
Indessen sind sie schon nicht mehr mit so sicherer Zeichnung dargestellt. Während nämlich
durch die grösere Ausbreitung des Christenthums und das tiefere Eindringen der christlichen
Gesinnung in alle Lebensverhältnisse die spirituale Grundlage in den Wissenschaften und
Künsten nach und nach immer mehr einen entschieden christlichen Character annahm, so
wurde leider zugleich auch in der letzten Kaiscrzcit, wo der Kampf um die von aussenher
bedrohte Fortdauer des Reiches fast alle Aufmerksamkeit und Geldkräfte in Anspruch

nahm, und wo die allgemeine Noth sich sehr steigerte, jener vollendet ausgebildete
classische Formalismus, der ohnehin schon längst im Nachlassen begriffen war, immer
weniger cultivirt, was sich natürlich bei den der feineren und freieren Technik angehören-
den Arbeiten am ersten zeigen musste. So sehen wir denn, wie die Werke der Malerei
und ebenso der Sculptur vom vierten Jahrhundert an bis zum sechsten zwar einerseits
im echt christlichen Ausdruck fortschreiten, wie sie aber anderseits in der Correctheit der
Zeichnung und vrohlproportionirten Darstellung des menschlichen Körpers nach und
nach abnehmen, und zuletzt dergestalt herabkommen, dass am Ende auch der geistige
Ausdruck der Physiognomien nur noch verkümmert dargestellt wird. Die Werke des
achten und der folgenden Jahrhunderte sind namentlich im Occident nur noch plumpe
Versuche, bis wieder unter günstigem Verhältnissen mit dem dreizehnten Jahrhundert
durch Nicola Pisano, Giotto und ihre Nachfolger die frühere Höhe der christlichen
Sculptur und Malerei nicht allein von Neuem erreicht, sondern noch übertreffen wurde.
Die um die Bilder in den Catacomben-Capellen herumziehenden decorativen Lineamente
und Ornamente sind ebenfalls ganz nach pompejanischer Weise angeordnet, wie bei Fig.
8 und 9 zu sehen ist.

In der römischen Campagna ohnweit Sutri existirt eine ziemlich grose aus dem Felsen
ausgehöhlte alte Kirche, wovon meines Wissens noch keine Abbildung bekannt gemacht
wurde. Ich gebe daher unter Fig. 10 den Grundriss und unter Fig. 11 den Querschnitt
mit der perspectivischen Ansicht. Diese Kirche ist besonders dadurch sehr interessant,
dass sie ziemlich lang und durch zwei Reihen von Pfeilern in drei Schiffe getheilt ist.
Bei a war die Nische für den Hauptaltar. Merkwürdig sind die Brüstungen zwischen den
Pfeilern, wodurch die in den Abseiten b befindlichen Personen von dem Mittelraum abge-
trennt wurden; es waren muthmaslich die Plätze für die Weiber, und der Vorraum d
scheint für die Catechumenen bestimmt gewesen zu sein.

Es ist bekannt, dass die allmälig angewachsenen Christengemeinden schon laiig vor
Constantin öffentliche und ziemlich grose Kirchen bauten, namentlich in den entlegenen
Provinzen, wo die Verfolgung nicht immer so streng wüthete, und wo oft längere Perioden
der Duldung und Ruhe eingetreten waren. So befand sich in Nicomedien eine sehr pracht-
volle Kirche, die bei der letzten grosen Christenverfolgung unter Diocletian niedergerissen
wurde. Und selbst in Rom standen schon vor Constantin an vierzig Kirchen'). Der
Kirchenbau hatte demnach, als Constantin das Christenthum endlich zur Staatsreligion
erklärte, und als nun überall Kirchen und zwar in sehr grosen Dimensionen gebaut wurden
bereits eine lange Uebungszeit von wohl zwei Jahrhunderten hinter sich. Daraus ist denn
schon von vornherein zu schliessen, dass man bei Errichtung dieser constantinischen Kirchen
bereits über die Lösung der nun allenthalben ins Leben getretenen neuen architectonischen
Aufgabe, d. h. über die organische Anlage und die constructive Anordnung einer christ-
lichen Kirche um so mehr im Klaren sein konnte, als zu jener Zeit die Befähigung
in der Bautechnik — nämlich gute Mörtelbereitung, Bearbeitung härterer Hausteine,
Handhabung groser Monolithen &c. — noch immer in einem vergleichungsweise mit der
nachcarolingischen Periode hohen Mase vorhanden war.

Es sind begreiflicher Weise wenige Kirchen bis auf uns gekommen, die mit Sicher-
heit jener vor constantinischen Incunabel-Periode zugewiesen werden könnten, und ich
muss mich — wenigstens vorerst — auf deren zwei beschränken, nämlich auf den ältesten
Theil des Doms zu Trier und auf die Kirche Sanf Agostino del crocifisso zu Spoleto.

Der älteste Theil des Doms zu Trier.

(Auf PL VI, Fig. 12 bis 14.)

Die verschiedenen Theile, woraus der heutige Dom zu Trier besteht, stammen aus
sehr entfernt auseinander liegenden Perioden. Der zweiten Hälfte des Mittelalters gehören
die beiden Chorbauten an, wie auch die Einwölbung der drei Schiffe, und in der ersten

) Monumenti delle arti Christiane primitive, Koma 1844.
) Peret, les catacombes de Rome, Paris 1856.

3) Optatus de Schism. Donat. ed. Dupin. II, 4.
 
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