Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Posse, Hans
Der römische Maler Andrea Sacchi: ein Beitrag zur Geschichte der klassizistischen Bewegung im Barock — Italienische Forschungen, Neue Folge, Band 1: Leipzig, 1925

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.34605#0173
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
DOMEHICHIHO

141

wenn jenem Realismus der Schilderung bei Annibale ein bewußtes Stili-
sieren und ein Typisieren der menschlichen Gestalt ins Gewaltige, Heroi-
sche die Wage hält, seine Darstellung trotz aller genrehaften Hebenaktionen
den Stil epischer Größe bewahrt, so hat sich der Schüler um eine mehr
prosaische Wirklichkeit bemüht. Schon die Schilderung der Örtlichkeit
sucht den Eindruck größerer historischer Echtheit zu wecken. An Stelle
der pompös behandelten Gewandung der Gestalten Annibales ist bei Domeni-
chino eine schlichte der Zeit gemäße Tracht getreten und die Aktualität
des Vorgangs wird durch die Wiedergabe einfachster im täglichen Leben
beobachteter Figuren und Episoden gehoben. Annibale hatte in seinem
Gemälde auch der intimeren Seelenregung noch einen großen bedeutenden
Ausdruck gegeben. Domenichino aber sucht den Vorgang psychologisch
so verständlich und menschlich wie möglich zu gestalten, er überläßt sich
der Schilderung unscheinbarster Züge, um seiner Darstellung höchste Ein-
dringlichkeit zu verleihen: „tra quelli, che hanno ricevuto 1' elemosina
scherzö Domenico con proprietä d' affetti"*). Diese im Grunde caravag-
geske Tendenz aber ist bei Domenichino in die traditionellen Formgesetze
der Carraccischule gebunden. Man findet keine Spur von jener Unbekümmert-
heit des großen Naturalisten Caravaggio um die klassische Kompositionsweise
und die plastische Geschlossenheit der Gruppe. Klar ist jede Einzelfigur zur
Geltung gebracht. Den Hintergrund schließt Domenichino durch parallel zur
Grundlinie laufende Architekturen ab und baut reliefmäßig die Gestalten in
mehreren Raumschichten gleichlaufend zur Bildfläche auf, in der sie wiederum
in einer großen Kompositionsfigur, in einem Netz beziehungsreicher Linien zu-
sammengeschlossen sind. Und wie jener großen Typisierung der Gestalten
und ihres Ausdrucks bei seinem Lehrer Annibale eine Versenkung ins einzelne
und eine liebevolle Zergliederung der geistigen Ausdrucksmöglichkeiten der
Handlung entgegensteht, so ist an die Stelle von Massenwirkungen und einer
tonreichen Brechung der Farbe durch das Helldunkel eine zeichnerische
Genauigkeit in der Wiedergabe der Einzelform und eine klarere Lokal-
farbigkeit getreten.
b Bellori, 187: Man sieht, wie dem einen knaben, der seinen Almosen heischenden
Bruder auf der Schulter hält, von der Last die knie zittern. Die vorn am Boden sitzende
Frau mit dem kinde zeigt einem Trödler voll Freude das geschenkte kleidungstück und der
Betrachter des Gemäldes erkennt aus der bloßen Geste der Hände des Hannes, daß er die
Frau mißversteht und ihr acht Geldstücke bietet. Die Hutter rechts am Rande des Fres-
kos entrüstet sich über ihre kleine Tochter, die ihren jüngeren Bruder hat fallen lassen,
sie holt zu einem Schlag aus und das Hädchen weicht ihm mit einer so natürlichen
Wendung aus, ,,che il colore pare inspirato dal timore".
 
Annotationen