HANDLUNG UND AUSDRUCK
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die Zeitgenossen freie Bahn lassen, ist wie in der ,,Vision des hl. Romuald"
oder dem ,,Heimgang der hi. Anna" durch alle Mittel seelischer Verinner-
lichung gedämpft. Seine Originalität verdankt der ,,hl. Petrus" nicht
der üblichen lauten Pathetik, sondern der verfeinerten Abstufung des Aus-
drucks, dem feierlichen Ernst der Darstellung und jener stimmungsreichen
Akzentuierung durch Lichter und Halbschatten, die an Caravaggios Ten-
denzen denken läßt. Welche Bedeutung in seinen Bildern einer einzigen
ausdrucksvollen Handbewegung zukommt, wie zwingend von einer Geste
die Gesamtaktion beherrscht wird, dafür bieten nicht nur der ,,hl. Petrus"
und der „hl. Romuald" Beispiele, sondern auch Gemälde wie die „Trunken-
heit Noahs", „Hagar und Ismael" oder der „Heimgang der hl. Anna", in
dem der Vorgang in wunderbar zarter Weise auf die Geste des Rindes
und den ihr antwortenden schon erlöschenden Blick der Heiligen konzen-
triert ist. Die immer eigenartige Wahl der Motive und des dramatischen
Moments zeigt, welche Wichtigkeit dieser Maler der psychologischen
Vertiefung des Gegenstandes beizumessen gewohnt war. Oft gibt eine
überzeugend geführte Linie, ein einziger Licht- oder Earbenfleck dem dar-
gestellten Gegenstand seinen ausdrucksvollsten Akzent wie in der Dar-
stellung von „Dädalus und Ikarus". Und selbst der Schilderung eines
ganz undramatischen Zeitereignisses wie dem „jesuitenfest" von 1640 sucht
Sacchi durch die geschickte Einfügung einer amüsanten Nebenszene eine
dramatische Pointe zu geben. Man wird in diesem Zusammenhang an
die ausführlichen Äußerungen des Malers über die Bedeutung von „Hand-
lung" und „Ausdruck" denken müssen, die Pascoli in der Lebensbeschrei-
bung des Sacchischülers Francesco Lauri mitgeteilt haP), die sich auch
auf dem Gebiete theoretischer Beschäftigung mit diesem aktuellen Thema
(pittura rappresentazione d' umana azzione, Bellori) durch ihre intime Be-
trachtung der Materie auszeichnen und in denen Sacchi seinem Schüler
den Redner und zugleich den Stummen als Vorbilder empfiehlt, „quantunque
l'uno sia senza favella, e Faltro ne abbia troppa"^).
Pascolis Wiedergabe dieser Lektion, die Sacchi seinem frühverstorbenen
Lieblingsschüler Francesco Lauri erteilt hat, mögen Aufzeichnungen des be-
gabten, angeblich auch literarisch gebildeten Schülers nach den Worten seines
Meisters zugrunde gelegen haben. Pascoli selbst bekennt, daß er die von
ihm verwendeten Nachrichten aus bester Quelle, von einem guten Freunde
8*
h L. Pascoii, Vite de'pittori, Roma 1736, H, 77 f. Vgl. Baldinucci V, 199.
") Pascoli 11, 86.
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die Zeitgenossen freie Bahn lassen, ist wie in der ,,Vision des hl. Romuald"
oder dem ,,Heimgang der hi. Anna" durch alle Mittel seelischer Verinner-
lichung gedämpft. Seine Originalität verdankt der ,,hl. Petrus" nicht
der üblichen lauten Pathetik, sondern der verfeinerten Abstufung des Aus-
drucks, dem feierlichen Ernst der Darstellung und jener stimmungsreichen
Akzentuierung durch Lichter und Halbschatten, die an Caravaggios Ten-
denzen denken läßt. Welche Bedeutung in seinen Bildern einer einzigen
ausdrucksvollen Handbewegung zukommt, wie zwingend von einer Geste
die Gesamtaktion beherrscht wird, dafür bieten nicht nur der ,,hl. Petrus"
und der „hl. Romuald" Beispiele, sondern auch Gemälde wie die „Trunken-
heit Noahs", „Hagar und Ismael" oder der „Heimgang der hl. Anna", in
dem der Vorgang in wunderbar zarter Weise auf die Geste des Rindes
und den ihr antwortenden schon erlöschenden Blick der Heiligen konzen-
triert ist. Die immer eigenartige Wahl der Motive und des dramatischen
Moments zeigt, welche Wichtigkeit dieser Maler der psychologischen
Vertiefung des Gegenstandes beizumessen gewohnt war. Oft gibt eine
überzeugend geführte Linie, ein einziger Licht- oder Earbenfleck dem dar-
gestellten Gegenstand seinen ausdrucksvollsten Akzent wie in der Dar-
stellung von „Dädalus und Ikarus". Und selbst der Schilderung eines
ganz undramatischen Zeitereignisses wie dem „jesuitenfest" von 1640 sucht
Sacchi durch die geschickte Einfügung einer amüsanten Nebenszene eine
dramatische Pointe zu geben. Man wird in diesem Zusammenhang an
die ausführlichen Äußerungen des Malers über die Bedeutung von „Hand-
lung" und „Ausdruck" denken müssen, die Pascoli in der Lebensbeschrei-
bung des Sacchischülers Francesco Lauri mitgeteilt haP), die sich auch
auf dem Gebiete theoretischer Beschäftigung mit diesem aktuellen Thema
(pittura rappresentazione d' umana azzione, Bellori) durch ihre intime Be-
trachtung der Materie auszeichnen und in denen Sacchi seinem Schüler
den Redner und zugleich den Stummen als Vorbilder empfiehlt, „quantunque
l'uno sia senza favella, e Faltro ne abbia troppa"^).
Pascolis Wiedergabe dieser Lektion, die Sacchi seinem frühverstorbenen
Lieblingsschüler Francesco Lauri erteilt hat, mögen Aufzeichnungen des be-
gabten, angeblich auch literarisch gebildeten Schülers nach den Worten seines
Meisters zugrunde gelegen haben. Pascoli selbst bekennt, daß er die von
ihm verwendeten Nachrichten aus bester Quelle, von einem guten Freunde
8*
h L. Pascoii, Vite de'pittori, Roma 1736, H, 77 f. Vgl. Baldinucci V, 199.
") Pascoli 11, 86.