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Mr. Dörner schien betroffen bei dem Klange ihrer
Stimme, sein Blick haftete aufmerksamer auf ihrem von
einem schwarzen Spitzentuche umhüllten Gesicht.
„Ich werde kurz sein," sagte er. „Ich bin ein Deut-
scher und habe seit langen Jahren in Amerika eine neue
Heimat gefunden. Die Erinnerungen, die ich aus Deutsch-
land mitgenommen, sind nicht erfreuliche, doch das gehört
nur insofern hieher, als sie mich bestimmen, nieyrals
darein zu willigen, daß mein Adoptivsohn Charles Hell-
mann, dem ich im klebrigen völlige Freiheit seiner Wahl
lasse, jemals einer Deutschen, und noch weniger einer Dame
des deutschen Adels seine Hand reiche. Mein Entschluß
ist unwiderruflich in dieser Beziehung."
Auch das Fräulein von Hohenstein schien betroffen, als
Mr. Dörner zu sprechen begann, und eigenthümlich forschend
ruhten ihre Blicke auf seinem Gesicht.
„Unter diesen Umständen werden Sie begreifen," fuhr
er fort, „daß es das Beste ist, wenn Sie mit Ihrer Nichte
und ich mit meinem Neffen sogleich nach verschiedenen Rich-
tungen abreisen: eine Aendcrung meines Willens ist aus-
geschlossen — an allen Börsen der alten und neuen Welt
weiß man, daß Walther Dorner's Wort fest steht wie
Felsen."
„Walther Dorner's Wort!" rief Fräulein von Hohen-
stein, indem sie die Hände faltete und mit feuchten Augen
wehmüthig schmerzvoll und doch glücklich zugleich empor-
sah — „ja, ja, er ist cs — immer mehr leuchten die alten
Züge hervor unter dem fremd gewordenen Antlitz — und
ist," fragte sie, während der hohe, strenge Mann in zittern-
der Bewegung ihrer plötzlich so wunderbar veränderten
Stimme lauschte, „ist Walther Dörner auch dann hart
und streng, wenn Gertrud's Hand an den Felsen seines
Herzens klopft, um den Quell der Erinnerung zu er-
wecken?"
„Gertrud!" — rief Mr. Dörner in lautem Aufschrei
— „Gertrud — Gertrud von Hohenstein! — Ja, ja, diese
Stimme, die mich beim ersten Ton durchschauerte, dieß
Auge, diese Züge — Alles fügt sich wieder zusammen zu
dem alten, geliebten Bilde. O Gertrud, meine Gertrud!"
rief er, sie in seine Arme fassend und an seine Brust
heraufziehend.
Schluchzen erstickte seine Stimme, seine ganze Gestalt
erbebte — der mächtige, feste Mann weinte wie ein Kind;
das Fräulein von Hohenstein lag an seiner Brust, glücklich
zu ihm aufschauend, und ihr kränkliches, blasses Gesicht
verklärte sich im Wiederschein der Jugendschönheit.
Lange standen Beide innig umschlungen, dann drückte
sie seine Hand und sagte:
„Wie die langen, langen Jahre versinken in diesem
Augenblick, Walther, und doch haben sie durchlebt und
durchgekämpft werden müssen — aber jetzt, jetzt, mein Walther,
da wir uns hier gefunden haben in der Einsamkeit der
Berge in wunderbarer Fügung, jetzt sage mir, wie ist das
möglich — bist Du es wirklich, den ich sehnsüchtig gesucht
habe durch so lange Jahre?"
„Nein," sagte er finster und traurig — „meine Gertrud,
ich bin es nicht mehr — der arme Student, der Dich einst
auf dem Klavier begleiten durfte, der es wagte, Dich zu
lieben, dem Du das himmlische Geschenk Deiner Liebe zu-
rückgabst, er ist gestorben, als Dein Vater ihn schimpflich
aus seinem Hause wies und ihn einen elenden Bettler,
einen frechen, hinterlistigen Verführer nannte. Mein Herz,
Gertrud, und Alles, was in demselben lebte in warmem
Gefühl und edler Begeisterung, ist gestorben in jener furcht-
baren Stunde, da die Armuth all' mein Glück vernichtete
und Hohn und Verachtung über mich brachte: so gelobte
ich mir damals in bitterer, wilder Verzweiflung, daß nun
das Gold allein mein Gott sein solle, daß ich mit aller
Kraft meines Daseins dem Golde dienen wolle, um durch
das Gold zu herrschen in dieser elenden Welt, die nur dem
Golde dient. Ich verließ Europa, ich trat in niederer
Dienststellung in ein großes amerikanisches Handelshaus
— ich hielt meinen Schwur, ich darbte und sparte, ich
rechnete und speeulirte, und immer mehr wuchs, Sandkorn
zum Sandkorn häufend, der Besitz des Goldes, nach dem
meine Seele dürstete. Das Haus, in dem ich arbeitete
und in dem ich höher und höher hinaufgestiegen war und
immer mehr für mich erworben hatte, brach durch große,
unerwartete Unglücksfälle zusammen: mein Chef war immer
gut und freundlich mit mir gewesen, er starb bald vor
Kummer und Gram — die Armuth, die mir das Glück
des Herzens geraubt, raubte ihm das Leben. Er hinterließ
einen einzigen Sohn in zartem, unmündigem Alter; ich
hatte mir geschworen, Gertrud, daß dem Golde und nur
dem Golde mein ganzes Leben gehören sollte — aber da
regte sich doch noch etwas von dem alten, warmen Gefühl,
das einst in Hellen Flammen Dir entgegenblühte, ich wollte
dennoch etwas in der Welt lieben, von einem Herzen we-
nigstens geliebt werden. Ich nahm das Kind zu mir, ich
verließ Boston und gründete in New-Jork mit dem erwcr
benen Besitz ein eigenes Geschäft. Der Knabe galt für
meinen Neffen, ich adoptirte ihn und erzog ihn wie meinen
Sobn; er war dessen Werth, ich lieble ihn und bin stolz
auf ihn.
„Aber außer dieser einen Stelle, wo ich Mensch war,
blick mein Herz kalt und starr, mein Leben gehörte nur
dem Dienste des Goldes, nur dem Ringen und Streben
nach dem Reichthum, der die Welt beherrscht. Und das
Glück fügte sich meinem Willen, ich stieg höber und höher
empor, und mein Name klingt heute durch die Welt mit
Illustrirte Welt.
dem vollen Klang des weltbeherrschenden Metalls. Ich
wollte, daß mein Charles festwurzeln sollte auf der Höhe
der Macht des Reichthums; schaudernd sah ich, daß sein
Herz weich und sanft und empfänglich war, wie meines
einst gewesen; ich wollte ihn erziehen zum kalten Rechnen,
ich legte ihm Proben auf, die vielleicht für thöricht gelten
konnten — heute sah ich," sagte er weich, „daß das Herz
dennoch stärker ist als alle Berechnung, daß das Herz den
Erben des Millionärs eben dahin geführt hat, wo einst
der arme Student alles warme Gefühl für ewig ab-
schwor."
„Und nach mir," fragte Gertrud, „nach mir hast Du
niemals gefragt? An mich hast Du niemals gedacht?"
„Gertrud," sagte er, ihre Hand fest in die seine pres-
send, „ich habe mich in jener Todesstunde meiner Liebe dem
Dienste des GoldeS verschrieben, das Gold tödtet den
Glauben an das Menschenherz; gedacht habe ich an Dich
oft in dem heißen, gierigen Jagen des Lebens, aber ich
habe meine Gedanken niedergekämpft mit wilder, trotziger
Willenskraft, und gefragt habe ich niemals nach Dir —
ick wollte es nicht hören, daß Du mich vergessen hättest,
daß Du einem Andern gehörtest."
„Ich habe Dich nicht vergessen, Walther — ich habe
keinem Andern gehört. Einige Jahre nach jener furcht-
baren, schmerzvollen Stunde starb mein Vater, der ver-
gebens versucht hatte, mich für diese oder jene Verbindung
zu stimmen. Ich war reich, reich nach unseren Begriffen —
nicht nach den Deinen," fügte sie mit wehmüthigem Lächeln
hinzu; „ich habe gesucht und geforscht nach Dir, immer
wieder geforscht und immer vergeblich. Ich blieb allein;
die Jugend, die das Glück nicht zu halten vermag, ent-
schwebte schneller im schmerzlichen Sehnen meines einsamen
Herzens; auch ich wollte nicht ganz allein sein, eine Cousine
von mir hinterließ eine verwaiste Tochter, ich nahm das
Kind zu mir, es ist Thekla, die Du gesehen — die Deutsche,
die Du verabscheust."
„O Gertrud, Gertrud, verzeihe!" rief er; „ich glaubte
Dich verloren, für immer verloren — o, hätte ich den
Glauben behalten, den Glauben an Dich — wir hätten
glücklich sein können, und wie gern hätte ich für solches
Glück die Macht des Goldes von mir geworfen, die ich in
meiner Hand hatte."
Eine Zeitlang standen Beide schweigend neben einander,
mit ihren Gedanken den langen Raum der Jahre durch-
fliegend.
„Ja," sagte Mr. Dörner, lange in Gertrud's Augen
blickend, „es ist wieder da, das alte, liebe Gesicht; Alles ist
wieder da, wie es war in jener glücklichen Zeit, die so
furchtbar enden sollte. Wir saßen bei einander in Deinen»
Zimmer, wir kümmerten uns nicht um die Musik, die uns
zusammengeführt hatte, wir plauderten von unseren Hoff-
nungen, an deren Erfüllung wir in kindlicher Zuversicht
glaubten — Du hattest eine Stickerei, ja, ja, so war es,"
rief er, die halb wehmüthig, halb glücklich Lächelnde auf
den Stuhl niederdrückend — „so war es, Du brauchtest
einen neuen Faden, ich hielt das Seidengebinde — sieh'
da, gerade wie dieß hier; es ist, als ob Alles sich vereinigt,
um jene Stunde aus der Tiefe der Vergangenheit herauf
zu führen — so kniete ich vor Dir," sagte er, vor ihr
niedersinkcnd und das Seidengebinde um seine Hände
legend — „immer kürzer und kürzer wurde der Faden
und jedesmal fanden sich dann unsere flüsternden Lippen
zusammen."
Sie wehrte ihm nicht, als der graue Mann ihr bleiches
Gesicht küßte, und in goldener Wolke schwebte der selige
Traum der fernen Jugendzeit über ihren Häuptern.
„Da," sagte er zusammenschauernd mit dumpfer Stimme
— „da plötzlich traf der zerstörende Blitz die Frühlings-
blüten unseres Glücks, wie leblos brachst Du in meinen
Armen zusammen, als wir die Stimme Deines Vaters
hörten."
Fräulein von Hohenstein beugte sich, von der Macht der
Erinnerung überwältigt, tiefer herab und lehnte, leise wei-
nend, ihr Haupt an seine L-chulter.
„Qnkel!" — „Tante!" — klang es plötzlich im Tone
des höchsten Erstaunens.
Mr. Dörner und Fräulein von Hohenstein fuhren er-
schreckt auseinander, in der Thür nach dem Treppenflur
standen Charles und Thekla, welche gekommen waren, um
den über ihr Schicksal Beruhenden zu erklären, daß sie
nicht von einander lassen wollten, und zugleich erschien in
der Thür der Veranda der alte John, in maßlosem Er-
staunen seine Augen fast übermäßig weit öffnend.
Einen Augenblick nur dauerte Mr. Dorner's Verlegen-
heit, dann ergriff er die Hand der Tante, welche nicht in
Fräulein Thekla's verwundert fragende und schon ein wenig
neckisch blitzende Augen zu blicken wagte.
„Charles, mein Sohn," sagte er, „freue Dich nnt mir,
ich habe in dem Fräulein von Hohenstein eine alte, theure
Freundin, eine sehr theure Freundin wiedergefunden, die
ich nie mehr auf Erden wieder zu sehen glaubte."
Charles ergriff Fräulein Gertrud's Hand und küßte sie
ehrerbietig, sie umarmte ihn mit mütterlicher Zärtlichkeit —
dann aber schien es dem jungen Mann geboten, den Augen-
blick zu ergreifen.
„Und ich, mein Qbeim," sagte cr, die erröthendc Thekla
dem alten Herrn zuführend, „ich habe hier in dem Fräu-
lein von Langenberg eine neue, aber auch sehr, sehr theure
Freundin gefunden, von der ich mich nun auf Erden nie-
mals mehr trennen will, uno ich bitte Dich, mein Oheim,
nimm sie ebenso herzlich an, wie das verehrte Fräulein hier
es mit mir gethan hat."
„Was sollen wir machen," sagte Mr. Dörner ,u
Gertrud, indem er mit feuchten Augen in das liebliche m
verschämter Bitte zu ihm aufgerichtete Gesicht des jungen
Mädchens blickte — „was sollen wir machen — können
wir Nein sagen?"
Gertrud schüttelte leise weinend den Kopf und drückte
Thekla an ihre Brust, um sie dann in die Arme des kam
jubelnden Charles zu legen.
Der alte John, welcher bis jetzt in starrem Erstaunen
in der Thür gestanden hatte, trat heran.
„Mr. Dörner," sagte er, mit der Hand über seine
Augenwimpern streichend, „ich habe nicht geglaubt, daß es
so kommen würde, aber da es nun doch einmal so gekcm
men ist, so danke ich Gott von Herzen dafür. Gott secne
den jungen Herrn und das Fräulein. Hier sind die Rech-
nungsbücher, Sir," fuhr er fort, während Thekla dem alten
Diener freundlich die Hand drückte, „sie sind in Ordnung
und stimmen auf den Penny, obgleich ich bei Gott nickt
weiß, wie es zugeht."
„Ja, sic stimmen, mein Oheim!" rief Charles, „Tu
magst Dich überzeugen, daß ich rechnen gelernt habe."
Lächelnd wies Mr. Dörner das Buch, das John ihm
entgegenhielt, zurück.
„Laß das jetzt," sagte er, „ich habe das Rechnen ge-
lernt, als ich einst meine Freundin verlor, ich würde ihm
kaum zürnen können, wenn seine Recknung sich verwirrt
hätte, da er seine Freundin gefunden — das Facit ist rich-
tig, und ich ertheile ihm mit Freuden die Decharge."
Cbarles drückte innig die Hand des alten Herrn.
„Aber, mein theurer Oheim," sagte er dann, „wie, um
Gottes willen, kommst Du gerade jetzt hieher wie vom
Himmel gefallen — ja, in der That, wie vom Himmel
gefallen, denn wahrlich, in keinem glücklicheren Augenblick
konntest Du hier erscheinen, das ist wirklich wie ein Wunder
des Himmels."
„Nun," sagte Mr. Dörner, „wenn der Himmel seine
Hand im Spiel hat, so hat er den alten John hier zu sei-
nem Werkzeug gewählt — nun kann ich es ja sagen; er
hat mir Nachricht gegeben, wie es hier stand, und da bin
ich in aller Eile selbst herüber gekommen, um zu verhüten,
was ich für Unheil hielt — verzeih' mir, Gertrud, ich ahnte
ja nicht, daß ich kommen sollte, um das Glück zu bringen
und — das Glück zu finden."
„John, treuloser Verräther!" drohte Charles.
„John hat Recht gehabt," unterbrach ihn Fräulein
Thekla — „er hat seine Pflicht gethan, wie hätte Alles sc
kommen können, wenn er geschwiegen hätte? Zur Straie
soll er bei uns bleiben und immer unser Glück vor Augen
sehen, das er so eifrig verhindern wollte."
„O Miß," rief John, seine Augen trocknend, „ich
wollte nur meinen jungen Herrn vor Schmerz und Kum
mer behüten, denn ich wußte ja, wie Mr. Dörner denk:,
und er ist so streng, so hart."
„Er war es," sagte Mr. Dörner bewegt — „er war
es in langer, schwerer, kalter Zeit — aber das Licht A
wieder gekommen, das Licht und die Wärme, und wem
hartes Herz ist wieder weich geworden wie in der fernen,
fernen Zeit, die nun so nahe, so lebendig nahe wieder vor
mir heraufgestiegen ist. Was soll aus uns werden, Gertrud,
sagte er mit tiefer Innigkeit, „die Jugend ist dahin, aber
die Liebe ist doch wohl noch da, ich fühle sie noch tief un
warm, so licht und klar in meineni neu geborenen Herzen
— Gertrud, sollen unsere Wege, die sich so wunderbar zu-
sammengefunden, wieder auseinander gehen? Soll de
Rest unseres Lebens nicht die alte Jugendflamme erwärnu
und erleuchten?" .--s
Er streckte dem Fräulein von Hohenstein beide Ha« .
entgegen — stumm sank sie an seine Brust.
„Hurrah!" rief John in jubelndem Ausbruch 'em--
Gefühls — „Hurrah! jetzt ist Alles gut, es lebe
Dörner und Mistreß Hellmann! — Zum Teufel nut
Rechnungsbüchern, zum Teufel mit den acht Pfund, die u
so lange auf der Seele gelastet haben!" .
Er schleuderte das Buch in eine Ecke, sprang -
Augenblick jubelnd im Zimmer umher und nahm H
wie erschrocken über sich selbst, seine ernste, ruhige Ham"!
wieder an. , z.j
„Als ich Dich verlor," sagte Mr. Dörner,
mein Vaterland verwünscht und bin in die s^ern: h
gezogen, mit Dir habe ich mein Vaterland wieder gepr
Du sollst unfern künftigen Wohnsitz wählen,
hinüber gehen und mein Geschäft auflösen, wir ha /
nug von der weltbeherrschenden Macht des - zu-
künftig unseren Herzen die Rechnung mit dem
überlassen; wähle unfern Wohnsitz, und wo es auch
sei, das Glück und der Friede wird bei uns sein.'
Er drückte Gertrud mit der Linken fest an Nch ZA
legte die Rechte segnend auf Charles' und Thekla s
Hände. ,-^ch,
Der alte Lienhardt Furrer kam nut Joseph
ihr Erstaunen war groß bei dem Anblick der Ich ZA
Gruppen, die sich um den fremden alten Herrn verci
um so größer aber auch die Freude, als sic erfuhr
Alles sich gefügt, und daß ihr Wohltbäter, der stc^>
lich gemacht, noch für sich hier das Glück scuwo -
gefunden habe. . M
Wieder vereinigte eine schnell bereitete fciuich
die um Mr. Dörner vermehrte Gesellschaft; wie
Mr. Dörner schien betroffen bei dem Klange ihrer
Stimme, sein Blick haftete aufmerksamer auf ihrem von
einem schwarzen Spitzentuche umhüllten Gesicht.
„Ich werde kurz sein," sagte er. „Ich bin ein Deut-
scher und habe seit langen Jahren in Amerika eine neue
Heimat gefunden. Die Erinnerungen, die ich aus Deutsch-
land mitgenommen, sind nicht erfreuliche, doch das gehört
nur insofern hieher, als sie mich bestimmen, nieyrals
darein zu willigen, daß mein Adoptivsohn Charles Hell-
mann, dem ich im klebrigen völlige Freiheit seiner Wahl
lasse, jemals einer Deutschen, und noch weniger einer Dame
des deutschen Adels seine Hand reiche. Mein Entschluß
ist unwiderruflich in dieser Beziehung."
Auch das Fräulein von Hohenstein schien betroffen, als
Mr. Dörner zu sprechen begann, und eigenthümlich forschend
ruhten ihre Blicke auf seinem Gesicht.
„Unter diesen Umständen werden Sie begreifen," fuhr
er fort, „daß es das Beste ist, wenn Sie mit Ihrer Nichte
und ich mit meinem Neffen sogleich nach verschiedenen Rich-
tungen abreisen: eine Aendcrung meines Willens ist aus-
geschlossen — an allen Börsen der alten und neuen Welt
weiß man, daß Walther Dorner's Wort fest steht wie
Felsen."
„Walther Dorner's Wort!" rief Fräulein von Hohen-
stein, indem sie die Hände faltete und mit feuchten Augen
wehmüthig schmerzvoll und doch glücklich zugleich empor-
sah — „ja, ja, er ist cs — immer mehr leuchten die alten
Züge hervor unter dem fremd gewordenen Antlitz — und
ist," fragte sie, während der hohe, strenge Mann in zittern-
der Bewegung ihrer plötzlich so wunderbar veränderten
Stimme lauschte, „ist Walther Dörner auch dann hart
und streng, wenn Gertrud's Hand an den Felsen seines
Herzens klopft, um den Quell der Erinnerung zu er-
wecken?"
„Gertrud!" — rief Mr. Dörner in lautem Aufschrei
— „Gertrud — Gertrud von Hohenstein! — Ja, ja, diese
Stimme, die mich beim ersten Ton durchschauerte, dieß
Auge, diese Züge — Alles fügt sich wieder zusammen zu
dem alten, geliebten Bilde. O Gertrud, meine Gertrud!"
rief er, sie in seine Arme fassend und an seine Brust
heraufziehend.
Schluchzen erstickte seine Stimme, seine ganze Gestalt
erbebte — der mächtige, feste Mann weinte wie ein Kind;
das Fräulein von Hohenstein lag an seiner Brust, glücklich
zu ihm aufschauend, und ihr kränkliches, blasses Gesicht
verklärte sich im Wiederschein der Jugendschönheit.
Lange standen Beide innig umschlungen, dann drückte
sie seine Hand und sagte:
„Wie die langen, langen Jahre versinken in diesem
Augenblick, Walther, und doch haben sie durchlebt und
durchgekämpft werden müssen — aber jetzt, jetzt, mein Walther,
da wir uns hier gefunden haben in der Einsamkeit der
Berge in wunderbarer Fügung, jetzt sage mir, wie ist das
möglich — bist Du es wirklich, den ich sehnsüchtig gesucht
habe durch so lange Jahre?"
„Nein," sagte er finster und traurig — „meine Gertrud,
ich bin es nicht mehr — der arme Student, der Dich einst
auf dem Klavier begleiten durfte, der es wagte, Dich zu
lieben, dem Du das himmlische Geschenk Deiner Liebe zu-
rückgabst, er ist gestorben, als Dein Vater ihn schimpflich
aus seinem Hause wies und ihn einen elenden Bettler,
einen frechen, hinterlistigen Verführer nannte. Mein Herz,
Gertrud, und Alles, was in demselben lebte in warmem
Gefühl und edler Begeisterung, ist gestorben in jener furcht-
baren Stunde, da die Armuth all' mein Glück vernichtete
und Hohn und Verachtung über mich brachte: so gelobte
ich mir damals in bitterer, wilder Verzweiflung, daß nun
das Gold allein mein Gott sein solle, daß ich mit aller
Kraft meines Daseins dem Golde dienen wolle, um durch
das Gold zu herrschen in dieser elenden Welt, die nur dem
Golde dient. Ich verließ Europa, ich trat in niederer
Dienststellung in ein großes amerikanisches Handelshaus
— ich hielt meinen Schwur, ich darbte und sparte, ich
rechnete und speeulirte, und immer mehr wuchs, Sandkorn
zum Sandkorn häufend, der Besitz des Goldes, nach dem
meine Seele dürstete. Das Haus, in dem ich arbeitete
und in dem ich höher und höher hinaufgestiegen war und
immer mehr für mich erworben hatte, brach durch große,
unerwartete Unglücksfälle zusammen: mein Chef war immer
gut und freundlich mit mir gewesen, er starb bald vor
Kummer und Gram — die Armuth, die mir das Glück
des Herzens geraubt, raubte ihm das Leben. Er hinterließ
einen einzigen Sohn in zartem, unmündigem Alter; ich
hatte mir geschworen, Gertrud, daß dem Golde und nur
dem Golde mein ganzes Leben gehören sollte — aber da
regte sich doch noch etwas von dem alten, warmen Gefühl,
das einst in Hellen Flammen Dir entgegenblühte, ich wollte
dennoch etwas in der Welt lieben, von einem Herzen we-
nigstens geliebt werden. Ich nahm das Kind zu mir, ich
verließ Boston und gründete in New-Jork mit dem erwcr
benen Besitz ein eigenes Geschäft. Der Knabe galt für
meinen Neffen, ich adoptirte ihn und erzog ihn wie meinen
Sobn; er war dessen Werth, ich lieble ihn und bin stolz
auf ihn.
„Aber außer dieser einen Stelle, wo ich Mensch war,
blick mein Herz kalt und starr, mein Leben gehörte nur
dem Dienste des Goldes, nur dem Ringen und Streben
nach dem Reichthum, der die Welt beherrscht. Und das
Glück fügte sich meinem Willen, ich stieg höber und höher
empor, und mein Name klingt heute durch die Welt mit
Illustrirte Welt.
dem vollen Klang des weltbeherrschenden Metalls. Ich
wollte, daß mein Charles festwurzeln sollte auf der Höhe
der Macht des Reichthums; schaudernd sah ich, daß sein
Herz weich und sanft und empfänglich war, wie meines
einst gewesen; ich wollte ihn erziehen zum kalten Rechnen,
ich legte ihm Proben auf, die vielleicht für thöricht gelten
konnten — heute sah ich," sagte er weich, „daß das Herz
dennoch stärker ist als alle Berechnung, daß das Herz den
Erben des Millionärs eben dahin geführt hat, wo einst
der arme Student alles warme Gefühl für ewig ab-
schwor."
„Und nach mir," fragte Gertrud, „nach mir hast Du
niemals gefragt? An mich hast Du niemals gedacht?"
„Gertrud," sagte er, ihre Hand fest in die seine pres-
send, „ich habe mich in jener Todesstunde meiner Liebe dem
Dienste des GoldeS verschrieben, das Gold tödtet den
Glauben an das Menschenherz; gedacht habe ich an Dich
oft in dem heißen, gierigen Jagen des Lebens, aber ich
habe meine Gedanken niedergekämpft mit wilder, trotziger
Willenskraft, und gefragt habe ich niemals nach Dir —
ick wollte es nicht hören, daß Du mich vergessen hättest,
daß Du einem Andern gehörtest."
„Ich habe Dich nicht vergessen, Walther — ich habe
keinem Andern gehört. Einige Jahre nach jener furcht-
baren, schmerzvollen Stunde starb mein Vater, der ver-
gebens versucht hatte, mich für diese oder jene Verbindung
zu stimmen. Ich war reich, reich nach unseren Begriffen —
nicht nach den Deinen," fügte sie mit wehmüthigem Lächeln
hinzu; „ich habe gesucht und geforscht nach Dir, immer
wieder geforscht und immer vergeblich. Ich blieb allein;
die Jugend, die das Glück nicht zu halten vermag, ent-
schwebte schneller im schmerzlichen Sehnen meines einsamen
Herzens; auch ich wollte nicht ganz allein sein, eine Cousine
von mir hinterließ eine verwaiste Tochter, ich nahm das
Kind zu mir, es ist Thekla, die Du gesehen — die Deutsche,
die Du verabscheust."
„O Gertrud, Gertrud, verzeihe!" rief er; „ich glaubte
Dich verloren, für immer verloren — o, hätte ich den
Glauben behalten, den Glauben an Dich — wir hätten
glücklich sein können, und wie gern hätte ich für solches
Glück die Macht des Goldes von mir geworfen, die ich in
meiner Hand hatte."
Eine Zeitlang standen Beide schweigend neben einander,
mit ihren Gedanken den langen Raum der Jahre durch-
fliegend.
„Ja," sagte Mr. Dörner, lange in Gertrud's Augen
blickend, „es ist wieder da, das alte, liebe Gesicht; Alles ist
wieder da, wie es war in jener glücklichen Zeit, die so
furchtbar enden sollte. Wir saßen bei einander in Deinen»
Zimmer, wir kümmerten uns nicht um die Musik, die uns
zusammengeführt hatte, wir plauderten von unseren Hoff-
nungen, an deren Erfüllung wir in kindlicher Zuversicht
glaubten — Du hattest eine Stickerei, ja, ja, so war es,"
rief er, die halb wehmüthig, halb glücklich Lächelnde auf
den Stuhl niederdrückend — „so war es, Du brauchtest
einen neuen Faden, ich hielt das Seidengebinde — sieh'
da, gerade wie dieß hier; es ist, als ob Alles sich vereinigt,
um jene Stunde aus der Tiefe der Vergangenheit herauf
zu führen — so kniete ich vor Dir," sagte er, vor ihr
niedersinkcnd und das Seidengebinde um seine Hände
legend — „immer kürzer und kürzer wurde der Faden
und jedesmal fanden sich dann unsere flüsternden Lippen
zusammen."
Sie wehrte ihm nicht, als der graue Mann ihr bleiches
Gesicht küßte, und in goldener Wolke schwebte der selige
Traum der fernen Jugendzeit über ihren Häuptern.
„Da," sagte er zusammenschauernd mit dumpfer Stimme
— „da plötzlich traf der zerstörende Blitz die Frühlings-
blüten unseres Glücks, wie leblos brachst Du in meinen
Armen zusammen, als wir die Stimme Deines Vaters
hörten."
Fräulein von Hohenstein beugte sich, von der Macht der
Erinnerung überwältigt, tiefer herab und lehnte, leise wei-
nend, ihr Haupt an seine L-chulter.
„Qnkel!" — „Tante!" — klang es plötzlich im Tone
des höchsten Erstaunens.
Mr. Dörner und Fräulein von Hohenstein fuhren er-
schreckt auseinander, in der Thür nach dem Treppenflur
standen Charles und Thekla, welche gekommen waren, um
den über ihr Schicksal Beruhenden zu erklären, daß sie
nicht von einander lassen wollten, und zugleich erschien in
der Thür der Veranda der alte John, in maßlosem Er-
staunen seine Augen fast übermäßig weit öffnend.
Einen Augenblick nur dauerte Mr. Dorner's Verlegen-
heit, dann ergriff er die Hand der Tante, welche nicht in
Fräulein Thekla's verwundert fragende und schon ein wenig
neckisch blitzende Augen zu blicken wagte.
„Charles, mein Sohn," sagte er, „freue Dich nnt mir,
ich habe in dem Fräulein von Hohenstein eine alte, theure
Freundin, eine sehr theure Freundin wiedergefunden, die
ich nie mehr auf Erden wieder zu sehen glaubte."
Charles ergriff Fräulein Gertrud's Hand und küßte sie
ehrerbietig, sie umarmte ihn mit mütterlicher Zärtlichkeit —
dann aber schien es dem jungen Mann geboten, den Augen-
blick zu ergreifen.
„Und ich, mein Qbeim," sagte cr, die erröthendc Thekla
dem alten Herrn zuführend, „ich habe hier in dem Fräu-
lein von Langenberg eine neue, aber auch sehr, sehr theure
Freundin gefunden, von der ich mich nun auf Erden nie-
mals mehr trennen will, uno ich bitte Dich, mein Oheim,
nimm sie ebenso herzlich an, wie das verehrte Fräulein hier
es mit mir gethan hat."
„Was sollen wir machen," sagte Mr. Dörner ,u
Gertrud, indem er mit feuchten Augen in das liebliche m
verschämter Bitte zu ihm aufgerichtete Gesicht des jungen
Mädchens blickte — „was sollen wir machen — können
wir Nein sagen?"
Gertrud schüttelte leise weinend den Kopf und drückte
Thekla an ihre Brust, um sie dann in die Arme des kam
jubelnden Charles zu legen.
Der alte John, welcher bis jetzt in starrem Erstaunen
in der Thür gestanden hatte, trat heran.
„Mr. Dörner," sagte er, mit der Hand über seine
Augenwimpern streichend, „ich habe nicht geglaubt, daß es
so kommen würde, aber da es nun doch einmal so gekcm
men ist, so danke ich Gott von Herzen dafür. Gott secne
den jungen Herrn und das Fräulein. Hier sind die Rech-
nungsbücher, Sir," fuhr er fort, während Thekla dem alten
Diener freundlich die Hand drückte, „sie sind in Ordnung
und stimmen auf den Penny, obgleich ich bei Gott nickt
weiß, wie es zugeht."
„Ja, sic stimmen, mein Oheim!" rief Charles, „Tu
magst Dich überzeugen, daß ich rechnen gelernt habe."
Lächelnd wies Mr. Dörner das Buch, das John ihm
entgegenhielt, zurück.
„Laß das jetzt," sagte er, „ich habe das Rechnen ge-
lernt, als ich einst meine Freundin verlor, ich würde ihm
kaum zürnen können, wenn seine Recknung sich verwirrt
hätte, da er seine Freundin gefunden — das Facit ist rich-
tig, und ich ertheile ihm mit Freuden die Decharge."
Cbarles drückte innig die Hand des alten Herrn.
„Aber, mein theurer Oheim," sagte er dann, „wie, um
Gottes willen, kommst Du gerade jetzt hieher wie vom
Himmel gefallen — ja, in der That, wie vom Himmel
gefallen, denn wahrlich, in keinem glücklicheren Augenblick
konntest Du hier erscheinen, das ist wirklich wie ein Wunder
des Himmels."
„Nun," sagte Mr. Dörner, „wenn der Himmel seine
Hand im Spiel hat, so hat er den alten John hier zu sei-
nem Werkzeug gewählt — nun kann ich es ja sagen; er
hat mir Nachricht gegeben, wie es hier stand, und da bin
ich in aller Eile selbst herüber gekommen, um zu verhüten,
was ich für Unheil hielt — verzeih' mir, Gertrud, ich ahnte
ja nicht, daß ich kommen sollte, um das Glück zu bringen
und — das Glück zu finden."
„John, treuloser Verräther!" drohte Charles.
„John hat Recht gehabt," unterbrach ihn Fräulein
Thekla — „er hat seine Pflicht gethan, wie hätte Alles sc
kommen können, wenn er geschwiegen hätte? Zur Straie
soll er bei uns bleiben und immer unser Glück vor Augen
sehen, das er so eifrig verhindern wollte."
„O Miß," rief John, seine Augen trocknend, „ich
wollte nur meinen jungen Herrn vor Schmerz und Kum
mer behüten, denn ich wußte ja, wie Mr. Dörner denk:,
und er ist so streng, so hart."
„Er war es," sagte Mr. Dörner bewegt — „er war
es in langer, schwerer, kalter Zeit — aber das Licht A
wieder gekommen, das Licht und die Wärme, und wem
hartes Herz ist wieder weich geworden wie in der fernen,
fernen Zeit, die nun so nahe, so lebendig nahe wieder vor
mir heraufgestiegen ist. Was soll aus uns werden, Gertrud,
sagte er mit tiefer Innigkeit, „die Jugend ist dahin, aber
die Liebe ist doch wohl noch da, ich fühle sie noch tief un
warm, so licht und klar in meineni neu geborenen Herzen
— Gertrud, sollen unsere Wege, die sich so wunderbar zu-
sammengefunden, wieder auseinander gehen? Soll de
Rest unseres Lebens nicht die alte Jugendflamme erwärnu
und erleuchten?" .--s
Er streckte dem Fräulein von Hohenstein beide Ha« .
entgegen — stumm sank sie an seine Brust.
„Hurrah!" rief John in jubelndem Ausbruch 'em--
Gefühls — „Hurrah! jetzt ist Alles gut, es lebe
Dörner und Mistreß Hellmann! — Zum Teufel nut
Rechnungsbüchern, zum Teufel mit den acht Pfund, die u
so lange auf der Seele gelastet haben!" .
Er schleuderte das Buch in eine Ecke, sprang -
Augenblick jubelnd im Zimmer umher und nahm H
wie erschrocken über sich selbst, seine ernste, ruhige Ham"!
wieder an. , z.j
„Als ich Dich verlor," sagte Mr. Dörner,
mein Vaterland verwünscht und bin in die s^ern: h
gezogen, mit Dir habe ich mein Vaterland wieder gepr
Du sollst unfern künftigen Wohnsitz wählen,
hinüber gehen und mein Geschäft auflösen, wir ha /
nug von der weltbeherrschenden Macht des - zu-
künftig unseren Herzen die Rechnung mit dem
überlassen; wähle unfern Wohnsitz, und wo es auch
sei, das Glück und der Friede wird bei uns sein.'
Er drückte Gertrud mit der Linken fest an Nch ZA
legte die Rechte segnend auf Charles' und Thekla s
Hände. ,-^ch,
Der alte Lienhardt Furrer kam nut Joseph
ihr Erstaunen war groß bei dem Anblick der Ich ZA
Gruppen, die sich um den fremden alten Herrn verci
um so größer aber auch die Freude, als sic erfuhr
Alles sich gefügt, und daß ihr Wohltbäter, der stc^>
lich gemacht, noch für sich hier das Glück scuwo -
gefunden habe. . M
Wieder vereinigte eine schnell bereitete fciuich
die um Mr. Dörner vermehrte Gesellschaft; wie