472
Illustrirte Welt.
merte das Kind. Der Nachtwind stöhnte und schluchzte
durch das enge Gemach und zuweilen fuhren grelle Blitze
durch die Dämmerung der Krankenzimmerbeleuchtung.
„Helfen Sie, retten Sie, o, verlassen Sie mich nicht!"
flehte das junge Weib.
„Schön wie die Sünde," hatte der ruchlose Schurke
gesagt; „schön wie ein Engel!" ballte es Rüdiger durch
die bebende Seele, als er ihre Augen in hülfloser Angst
auf die seinen gerichtet sah. Hastig griff er nach einem
Büchlein, das in der Schiffsapotheke lag, ein „medizinischer
Leitfaden", wie ihn
jedes Kauffahrtei-
schiff als Nothbehelf
mit sich führt.
Konnte er seinen
Blicken gebieten, daß
sie nicht wieder und
wieder zu dem blon-
den Scheitel, zu dem
blassen Antlitze hin-
über irrten?
„Süß wie die
Sünde," brauste es
vor seinen Ohren,
„fasse zu , halte fest,
was die Stunde bie-
tet! Süß wie die
Sünde; soll der
schurkische Bube das
holde Wesen mit
schmutzigen Händen
antasten? Vielleicht
morgen schon? Viel-
leicht heute? Fasse
zu! Sie ist Dein
und das Glück eines
Augenblicks kann
keine Ewigkeit Dir
rauben."
„Haben Sie noch
nicht gefunden, was
Sie suchen?" fragte
sie und wandte sich
dann mit zärtlichen
Worten nach der
Koje, von wo der
Kranke rief.
In Rüdiger's
Kopf tobte das Blut
wilder, stürmischer,
denn in den Adern
des Fieberkranken.
Wenn er stürbe?
Das schöne Weib in
seine Hand gegeben?
Numero vierund-
vierzig Opium! Man
muß vorsichtig sein,
wie leicht kann em
Versehen vorkommen
in Wahl der Arznei-
mittel.
Numero zweiund-
sechzig Sublimattink-
rnr! Man hat noch
keinen mediziniMn
Kursus durchgemacht,
mau weiß also auch
nicht, wozu dieses
Zeug gut ist.
Numero neunzehn
Schwefelsäure! Herr
Gott, das ist em
<stoff, der aus der
Hölle stammt! -vas
war das? Statt der
schönen weißen
Frauengestalt, na,
der sein wildes
begehrlich schlug,^
blickten seine starn
Augen zwei -pna
lange Lederohren,
über dem Bettch
des Kindes hervor'
lugten, und eine ho,
Männergestall
drückte sich,den
Auf einem israelitischen Friedhöfe. Zeichnung von Ant. Kozakiewicz. (S. 475.) Wester aufs -
und sagte unter
lich gesundem Lachen: „Willst Du ein richtiger Kerl
vor dem Jedermann den Hut ziehen muß, dann er e
Deine Pflichten, ohne daß sie Dir täglich vorgcsagt wer
Endlich gefunden! --i-ber,
Numero sechzehn Chininpulver! Gegen klimatische »re^H
das ist das Rechte.
Rüdiger that einen tiefen
ihrem Behälter und mischte
einem Glas Wasser.
Als Frau Margarethe ihrem Kranken den he"!
Athemzug, entnahm dst
das Pulver nach Voychnsi
um Mann und Kind wahrnahm, prägte sich tiefer in seine
Seele ein, als er selbst ahnte, als gut war. Warum wandte
sich auch die bekümmerte junge Frau mit allen kleinen An-
liegenheiten an ihn und nicht an den Steuermann? Hatte
der Händedruck am Charfreitag eine Fessel geschlungen von
Seele zu Seele, oder suchte sie instinktmäßig bei dem
Stärkeren Schutz? Der Steuermann zeigte sich nämlich als
schwacher Mann, welcher der Führung nicht gewachsen.
Eine warme Tropennacht deckte ihre schweren Fittige
über das Meer, unter dem Horizont mußte ein Gewitter
stehen, denn scharfe
Blitze durchzuckten
den Sehkreis, in
wunderbarer Klarheit
glänzten die Sterne.
Der Bootsmann
hatte die Wache, er
lehnte „mittschiffs"
mit gekreuzten Armen
an der Reeling, und
über die dunklen
Wasser summte er
halblaut^das alte,
liebe: „Steh' ich in
finstrer Mitter-
nacht —".
Auf des Verdecks
Planken neben und
zwischen die Wasser-
fässer hatten sich die
Leute der Wache ge-
lagert, die geringe
Erfrischung, welche
die Nacht brachte, zu
genießen.
„Das Glück und
die Madonna wollen
uns wohl, er ist
krank," flüsterte eine
Stimme in fremdem
Idiom. Auf dieses
Gezischel hatte der
Bootsmann schon
lange gewartet, alle
seine Geisteskräfte
konzentrirte er im
Ohr. Dabei summte
er, um nicht den
Schein zu erregen,
daß er etwas verstehe,
gelassen weiter: „so
einsam auf der fernen
Wacht —
„Wird eö nicht
fehl gehen?" fragte
eine zweite Stimme,
in welcher Rüdiger
den Franzosen er-
kannte.
„Feigling, die Pest
über Dich! Ziehst
Du Dich zurück, wirst
Du an die Ober-
marsraa gehängt, so
wahr die Madonna
meiner Seele gnädig
sei. Es muß ge-
lingen! Ist nicht
Alles trefflich vorbe-
reitet ? Nur eine
günstige Stunde, und
Schiff und Ladung
sind unser."
„Stille! Glaubst
Du nicht, daß der
Bootsmann uns
hört?"
„Die Schlinge um
Deinen Hals, Elen-
der; der deutsche Bär
hält es nicht für der
Mühe Werth, uns zu
verstehen; zehn Mann
find wir gegen zwei,
den,Alten', welchem
die gütige Madonna
das Fieber in die
Knochen schickte, wirst
Du nicht mitzählen,
und das Weib —
bah, ein Weib — aber, Carambo, süß und schön wie die
Sünde — kommt sie davon, ist sie mein."
Noch immer pfiff und summte der Bootsmann. Tausend
Pläne und Gedanken durchkreuzten sein Hirn: wie er die
Verteidigung schnellstens arrangiren, den sauberen Plan
unmöglich, die Rädelsführer unschädlich machen müsse. Mehr
von der Niedertracht der Burschen zu vernehmen, blieb ihm
verwehrt, denn der Junge, welcher in der Kajüte Stewards-
dienste versah, trat jetzt mit einem Auftrag der Madame
an ihn heran. „Es stehe mit dem kranken Kapitän sehr
schlecht, und sie lasse den Bootsmann bitten, auf einen
Augenblick hinunter zu kommen."
„Ruhig Blut, Rüdiger!" sagte er sich und ging, aber
seltsamerweise faßte er den Jungen beim Ohr und zog
ihn mit hinab. Der Bengel zitterte am ganzen Leibe wie
ein Ertappter, aber Rüdiger hatte jetzt nicht Zeit, sich um
ihn zu kümmern, sondern herrschte ihm bloß mit strenger
Miene zu: „Du bleibst hier und rührst Dich nicht!" Als
er aber in das angstbebende Gesicht, des Jungen guckte,
fand er es, ohne zu wissen warum, besser, ihn in die Proviant-
kammer gehen zu heißen, und hinter ihm den Schlüssel um-
zudrehen.
Es sollten dem jungen Mann aber die Gedanken an
die aufrührerische Mannschaft bald vergehen. In der Kabine
des Kapitäns fand er Frau Margarethe blaß, zitternd, in
langem weißem Nachtgewande, das blonde, reiche Haar über
Nacken und Schultern fließend. Sie kniete vor der Medizin-
kiste, in deren Fächern ihre Hände umhertasteten. Hinter
den Vorhängen der Koje phantasirte in wildesten Fieber-
träumen der Kranke, und daneben in seinem Bcttchen wim-
Illustrirte Welt.
merte das Kind. Der Nachtwind stöhnte und schluchzte
durch das enge Gemach und zuweilen fuhren grelle Blitze
durch die Dämmerung der Krankenzimmerbeleuchtung.
„Helfen Sie, retten Sie, o, verlassen Sie mich nicht!"
flehte das junge Weib.
„Schön wie die Sünde," hatte der ruchlose Schurke
gesagt; „schön wie ein Engel!" ballte es Rüdiger durch
die bebende Seele, als er ihre Augen in hülfloser Angst
auf die seinen gerichtet sah. Hastig griff er nach einem
Büchlein, das in der Schiffsapotheke lag, ein „medizinischer
Leitfaden", wie ihn
jedes Kauffahrtei-
schiff als Nothbehelf
mit sich führt.
Konnte er seinen
Blicken gebieten, daß
sie nicht wieder und
wieder zu dem blon-
den Scheitel, zu dem
blassen Antlitze hin-
über irrten?
„Süß wie die
Sünde," brauste es
vor seinen Ohren,
„fasse zu , halte fest,
was die Stunde bie-
tet! Süß wie die
Sünde; soll der
schurkische Bube das
holde Wesen mit
schmutzigen Händen
antasten? Vielleicht
morgen schon? Viel-
leicht heute? Fasse
zu! Sie ist Dein
und das Glück eines
Augenblicks kann
keine Ewigkeit Dir
rauben."
„Haben Sie noch
nicht gefunden, was
Sie suchen?" fragte
sie und wandte sich
dann mit zärtlichen
Worten nach der
Koje, von wo der
Kranke rief.
In Rüdiger's
Kopf tobte das Blut
wilder, stürmischer,
denn in den Adern
des Fieberkranken.
Wenn er stürbe?
Das schöne Weib in
seine Hand gegeben?
Numero vierund-
vierzig Opium! Man
muß vorsichtig sein,
wie leicht kann em
Versehen vorkommen
in Wahl der Arznei-
mittel.
Numero zweiund-
sechzig Sublimattink-
rnr! Man hat noch
keinen mediziniMn
Kursus durchgemacht,
mau weiß also auch
nicht, wozu dieses
Zeug gut ist.
Numero neunzehn
Schwefelsäure! Herr
Gott, das ist em
<stoff, der aus der
Hölle stammt! -vas
war das? Statt der
schönen weißen
Frauengestalt, na,
der sein wildes
begehrlich schlug,^
blickten seine starn
Augen zwei -pna
lange Lederohren,
über dem Bettch
des Kindes hervor'
lugten, und eine ho,
Männergestall
drückte sich,den
Auf einem israelitischen Friedhöfe. Zeichnung von Ant. Kozakiewicz. (S. 475.) Wester aufs -
und sagte unter
lich gesundem Lachen: „Willst Du ein richtiger Kerl
vor dem Jedermann den Hut ziehen muß, dann er e
Deine Pflichten, ohne daß sie Dir täglich vorgcsagt wer
Endlich gefunden! --i-ber,
Numero sechzehn Chininpulver! Gegen klimatische »re^H
das ist das Rechte.
Rüdiger that einen tiefen
ihrem Behälter und mischte
einem Glas Wasser.
Als Frau Margarethe ihrem Kranken den he"!
Athemzug, entnahm dst
das Pulver nach Voychnsi
um Mann und Kind wahrnahm, prägte sich tiefer in seine
Seele ein, als er selbst ahnte, als gut war. Warum wandte
sich auch die bekümmerte junge Frau mit allen kleinen An-
liegenheiten an ihn und nicht an den Steuermann? Hatte
der Händedruck am Charfreitag eine Fessel geschlungen von
Seele zu Seele, oder suchte sie instinktmäßig bei dem
Stärkeren Schutz? Der Steuermann zeigte sich nämlich als
schwacher Mann, welcher der Führung nicht gewachsen.
Eine warme Tropennacht deckte ihre schweren Fittige
über das Meer, unter dem Horizont mußte ein Gewitter
stehen, denn scharfe
Blitze durchzuckten
den Sehkreis, in
wunderbarer Klarheit
glänzten die Sterne.
Der Bootsmann
hatte die Wache, er
lehnte „mittschiffs"
mit gekreuzten Armen
an der Reeling, und
über die dunklen
Wasser summte er
halblaut^das alte,
liebe: „Steh' ich in
finstrer Mitter-
nacht —".
Auf des Verdecks
Planken neben und
zwischen die Wasser-
fässer hatten sich die
Leute der Wache ge-
lagert, die geringe
Erfrischung, welche
die Nacht brachte, zu
genießen.
„Das Glück und
die Madonna wollen
uns wohl, er ist
krank," flüsterte eine
Stimme in fremdem
Idiom. Auf dieses
Gezischel hatte der
Bootsmann schon
lange gewartet, alle
seine Geisteskräfte
konzentrirte er im
Ohr. Dabei summte
er, um nicht den
Schein zu erregen,
daß er etwas verstehe,
gelassen weiter: „so
einsam auf der fernen
Wacht —
„Wird eö nicht
fehl gehen?" fragte
eine zweite Stimme,
in welcher Rüdiger
den Franzosen er-
kannte.
„Feigling, die Pest
über Dich! Ziehst
Du Dich zurück, wirst
Du an die Ober-
marsraa gehängt, so
wahr die Madonna
meiner Seele gnädig
sei. Es muß ge-
lingen! Ist nicht
Alles trefflich vorbe-
reitet ? Nur eine
günstige Stunde, und
Schiff und Ladung
sind unser."
„Stille! Glaubst
Du nicht, daß der
Bootsmann uns
hört?"
„Die Schlinge um
Deinen Hals, Elen-
der; der deutsche Bär
hält es nicht für der
Mühe Werth, uns zu
verstehen; zehn Mann
find wir gegen zwei,
den,Alten', welchem
die gütige Madonna
das Fieber in die
Knochen schickte, wirst
Du nicht mitzählen,
und das Weib —
bah, ein Weib — aber, Carambo, süß und schön wie die
Sünde — kommt sie davon, ist sie mein."
Noch immer pfiff und summte der Bootsmann. Tausend
Pläne und Gedanken durchkreuzten sein Hirn: wie er die
Verteidigung schnellstens arrangiren, den sauberen Plan
unmöglich, die Rädelsführer unschädlich machen müsse. Mehr
von der Niedertracht der Burschen zu vernehmen, blieb ihm
verwehrt, denn der Junge, welcher in der Kajüte Stewards-
dienste versah, trat jetzt mit einem Auftrag der Madame
an ihn heran. „Es stehe mit dem kranken Kapitän sehr
schlecht, und sie lasse den Bootsmann bitten, auf einen
Augenblick hinunter zu kommen."
„Ruhig Blut, Rüdiger!" sagte er sich und ging, aber
seltsamerweise faßte er den Jungen beim Ohr und zog
ihn mit hinab. Der Bengel zitterte am ganzen Leibe wie
ein Ertappter, aber Rüdiger hatte jetzt nicht Zeit, sich um
ihn zu kümmern, sondern herrschte ihm bloß mit strenger
Miene zu: „Du bleibst hier und rührst Dich nicht!" Als
er aber in das angstbebende Gesicht, des Jungen guckte,
fand er es, ohne zu wissen warum, besser, ihn in die Proviant-
kammer gehen zu heißen, und hinter ihm den Schlüssel um-
zudrehen.
Es sollten dem jungen Mann aber die Gedanken an
die aufrührerische Mannschaft bald vergehen. In der Kabine
des Kapitäns fand er Frau Margarethe blaß, zitternd, in
langem weißem Nachtgewande, das blonde, reiche Haar über
Nacken und Schultern fließend. Sie kniete vor der Medizin-
kiste, in deren Fächern ihre Hände umhertasteten. Hinter
den Vorhängen der Koje phantasirte in wildesten Fieber-
träumen der Kranke, und daneben in seinem Bcttchen wim-