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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 36.1888

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118

nicht überblicken können. Ich bin, gerade weil mein Be-
leuchtungsmaterial so ungenügend war, nicht viel weiter
in die Höhle eingedrungen."
„Doch bis zum Felsensturz, der Sie am weiteren Vor-
dringen hinderte. Wenigstens haben Sie dies gestern
behauptet," sagte der Bezirksrichter.
„Ganz recht; er liegt nur etwa zwei Minuten von hier
entfernt. Wenn wir den Dom durchschreiten und uns
ein wenig rechts halten, kommen wir an den einzigen
Ausweg, welchen der Dom weiter in den Felsen hinein
hat, an einen schmalen Felsengang, der plötzlich in einen
senkrechten Absturz endet. Ob es möglich ist, sich an den
Seilen in die Tiefe hinabzulassen, dort wieder festen Boden
zu gewinnen und die Höhlenwanderung weiter fortzusetzen,
müssen wir heut ausprobiren. Ich war damals — es ist
schon vier oder fünf Jahre her, daß ich in der Höhle war
— ganz allein, da konnte ich nicht weiter kommen und
bin umgekehrt."
„Links sollen wir uns halten?" fragte der Bezirks-
richter. „Sie sind im Irrtum. Rechts müssen wir gehen.
Zur linken Hand ist die Höhle durch einen breiten Trümmer-
haufen völlig versperrt."
Franz Schorn blickte den Bezirksrichter erstaunt an,
er besann sich einen Moment, dann rief er aus:
„Wahrhaftig, Sie haben recht. Ich entsinne mich
jetzt, daß ich zur Linken auf den Trümmerhaufen stieß
und mich dann rechts wendete, um weiter nach einem Wege
zu suchen. Aber wie können Sie dies wissen, Herr Bc-
zirksrichter?" ;
Einer der beiden Träger lachte laut auf; er antwortete
statt des Bezirksrichters einige slowenische Worte, welche
sowohl den Hauptmann wie Franz Schorn in das höchste
Staunen zu setzen schienen.
„Wie, Herr Bezirksrichter, Sie waren erst vor acht
Tagen mit dem Nassak hier in der Höhle, sind bis zum
Absturz vorgedrungen und davon haben Sie uns gestern
nichts gesagt!?" rief der Hauptmann.
„Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich in der Höhle ge-
wesen, aber nicht weit gekommen bin. Ich mache nicht
gern viel Redensarten um solche Kleinigkeiten!" erwiderte
er unwirsch; dann fügte er hinzu: „Wollen wir nicht ein
paar Fackeln anzünden, um zu sehen, wie hoch der Dom ist?"
Die Fackeln wurden angezündet, aber auch ihr Licht
drang nicht bis zur Höhe des über uns sich wölbenden
Felsens, erst als das Magnesiumlicht aufflammte und mit
seinem blendenden weißen Schein in die Höhe leuchtete,
konnten wir wohl zwanzig Meter über uns die aus zer-
rissenen Felsen bestehende Kuppel des Domes für einige
Augenblicke erkennen.
„Das ist schauerlich," sagte der Hauptmann, tief Atem
holend, als das grelle Licht schnell erlosch und die Finster-
nis rings um uns noch tiefer und schwärzer erschien als
vorher. „Jetzt sind mir die den ganzen Boden bedecken-
den Steinstücke erklärlich. Wenn ein Felsen sich dort
oben löst und aus solcher Höhe herunterstürzt, muß er
wohl in hundert Stücke zersplittern. Sehen Sie hier,
Herr Bezirksrichter, der Stein hier zeigt noch ganz frische
Bruchstellen. Er ist vielleicht vor wenigen Tagen herunter-
gefallen. Wie leicht kann in jedem Augenblick sich dort
oben ein Felsstück lösen!"
„Und uns die Köpfe zerschmettern! Ja, ohne Gefahr
ist solche Höhlenforschung nicht!" erwiderte der Bezirks-
richter höhnisch lachend. „Aber vorwärts, meine Herren,
je kürzere Zeit wir hier im Dome stehen bleiben, je ge-
ringer ist die Gefahr, daß uns ein Felsstück auf den Kopf
fällt. Also vorwärts! Wir nehmen wohl wieder dieselbe
Ordnung ein wie vorher. Gehen Sie voran, Herr
Schorn."
„Da Sie erst vor acht Tagen die Höhle besucht haben,
ist es wohl besser, Sie übernehmen die Führung, Herr
Vezirksrichter."
„Nein, das thue ich nicht. Ich habe gestern ausdrück-
lich erklärt, daß ich mich Ihrem Kommando und Ihrer
Führung unterwerfe, und dabei bleibe ich. Also bitte, Herr
Schorn, gehen Sie voran, ich folge dann dem Herrn
Professor."
Schorn machte keine weiteren Einwendungen; wir
setzten unfern Weg, uns rechts haltend, fort und trafen
richtig auf den engen Gang zwischen den sich zusammen-
neigenden Felsen, der die einzige Fortsetzung der Hohle
bilden sollte, er war noch schmaler als der erste Gang.
Unmöglich hätten zwei Männer bequem neben einander
gehen können, für den einzeln Wandernden aber bot er
mehr als genügenden Platz. Unsere Laternen und die
beiden von den Trägern gehaltenen Fackeln beleuchteten
den wieder sanft aufwärts führenden Felsengang zur
Genüge, um uns ein gefahrloses Vorwärtsschrciten zu
ermöglichen.
„Wir sind am Absturz," sagte schon nach kurzer Zeit
Franz Schorn stehen bleibend. „Wir können hier nicht
weiter, und wenn es uns nicht gelingt, in einer Tiefe, zu
welcher wir uns mit den Seilen hinablassen können, eine
Fortsetzung der Höhle zu finden, sind wir am Ende unserer
Forschungspartie. Der Absturz scheint nicht nur senkrecht
zu sein, ich glaube sogar, daß der Felsen, auf dem wir
stehen, überhängt. Ich werde mich platt auf den Boden
legen und hinunter schauen, vielleicht gelingt es mir, einen
Ausweg zu entdecken, aber ich muß ein helleres Licht

Illustrirte Melt.

haben, als das der Laterne. Reichen Sie mir eine der
Fackeln, Herr Professor."
Eine Fackel ging von Hand zu Hand, ich reichte sie
Schorn, der sich platt auf den Boden legte und, so weit
als möglich über den Abgrund vorgebeugt, in diesen mit
der Fackel hinableuchtete. Ich gewann jetzt, da er am
Boden lag, einen freieren Ausblick, der mir aber wenig
Hoffnung auf die Fortsetzung unserer Wanderung bot.
DaS rote Licht der Fackel genügte gerade, um mir eine
geschlossene schwarze Wand zu zeigen, welche sich jenseits
des Absturzes in einer Entfernung von höchstens zwölf
bis fünfzehn Fuß erhob. Sie schien den Abschluß unserer
Höhle zu bilden, zur rechten und zur linken Hand und
ebenso in der Höhe schien sie mit den Felsen, durch welche
der Gang führte, in dem wir uns befanden, in geringer
Entfernung zusammenzuwachsen. Wenige Fuß über unseren
Köpfen sammelte sich der Rauch der Fackeln in dicken
Wolken, welche nach oben keinen Answeg fanden.
„Unter uns, kaum zwanzig Fuß tief, ist festes Gestein!"
rief Schorn, „und irre ich nicht, dann geht die Höhle rechts
weiter in den Felsen hinein. Aber ich muß helleres Licht
haben."
Er reichte mir die Fackel zurück und holte ein Stück
Magnesiumdraht aus der Tasche. Im nächsten Moment
erschien für kurze Zeit die Höhle, soweit wir sie über-
sehen konnten, wie von einem elektrischen Licht glänzend
weiß beleuchtet.
„Glücklich gefunden! Wir kommen weiter!" rief
Schorn erfreut, als das Magnesiumlicht erlosch. „Lassen
sie uns Rat halten, meine Herren," fuhr er aufstehend
fort. „Die erste Schwierigkeit, welche uns entgegentritt,
ist leicht und fast gefahrlos zu überwinden. Ich will
Ihnen Bericht erstatten."
Wir drängten uns so nahe zusammen wie möglich;
auch die beiden Träger steckten neugierig die Köpfe vor,
um kein Wort von dem zu verlieren, was Franz Schorn
erschaut hatte.
Franz Schorn berichtete. Unter uns in einer Tiefe
von kaum fünfzehn bis zwanzig Fuß unter dem über-
hängenden Felsen, welcher den Abschluß des Höhlenganges
zeigte, in dem wir uns befanden, war festes Gestein, es
bildete eine Felsplatte, die so breit war, daß mindestens
fünf bis sechs Menschen neben einander stehen konnten,
von dieser Platte aus führte die Höhle rechter Hand wieder
als eine schmale Spalte in den Felsen hinein.
„Schauen's, Herr Bezirksrichter, ich habe doch vor acht
Tagen ganz recht gesehen! Sie wollten es nicht glauben,
aber es ist doch so!" rief Nassak, der eine Träger, froh-
lockend, deutsch sprechend, aus.
„Wer hat Dich gefragt?" fuhr ihn der Bezirksrichter
unwirsch an.
„Nassak hat die Fortsetzung der Höhle entdeckt?" fragte
der Hauptmann.
„Nun ja," erwiderte der Bezirksrichter verdrießlich.
„Es zeigt sich jetzt, daß er wahrscheinlich richtig gesehen
hat. Er hatte sich ebenfalls auf den Boden gelegt und
die Laterne an einer Leine hinuntergelassen, da berichtete
er, daß die Höhle unten weitergehe. Ich legte mich nach
ihm ebenfalls nieder und schaute hinunter, aber mir war
es nicht möglich, die Fortsetzung der Höhle zu sehen; ich
glaubte ihm nicht, habe mich aber gerade deshalb der
heutigen Partie angeschlossen, um mich zu überzeugen, ob
er richtig gesehen hat. Selbst erforschen konnte ich es
damals nicht, denn es fehlte mir an einer Leine, oie stark
genug gewesen wäre, um mich von ihr nach der Felsen-
platte, die ganz ungefährlich erscheint, hinabzulassen."
„Ganz ungefährlich ist sie allerdings nicht, wenigstens
für den ersten, der sich hinabläßt," erwiderte Franz Schorn
ruhig; „aber groß ist die Gefahr nicht. Die Platte ist
nur durch einen kleinen Schwung zu erreichen, hat man
erst Fuß auf ihr, dann gibt es keine Gefahr mehr. Ich
werde mich zuerst hinunterlassen, ich kann dann die Nach-
folgenden zu mir heranziehen. Die Träger müssen hier
oben bleiben, damit sie uns Heraufziehen, wenn wir zurück-
kehren."
„Das ist doch ein recht gefährliches Unternehmen!"
sagte der Hauptmann besorgt. „Wir dürfen unfern Herrn
Professor einer solchen Gefahr nicht anssetzen. Wenn das
Seil reißt, ehe er die Platte erreicht hat, oder wenn ihn
ein Schwindel erfaßt, würde er in den bodenlosen Abgrund
hinabstürzen."
„Für die Festigkeit der Seile stehe ich ein!" entgegnete
Franz Schorn.
„Und ich dafür, daß mich kein Schwindel ergreift. Ich
kenne das Gefühl des Schwindels nicht."
Ich war von solcher Lust für die Forschung unserer
Höhlenforschung ergriffen, daß ich fast unwillig über die
allzu große Besorgnis des Hauptmanns diese Worte
sprach. Auch eine viel größere Gefahr würde mich nicht
zurückgehalten haben, weiter in die Höhle vorzudringen.
Bis jetzt hatte ich noch nicht die Spur eines Höhlenkäfers
gefunden. Nichts Lebendiges hatte sich an den kahlen,
grauschwarzen Felswänden gezeigt. Nur wenn wir weiter
in die Tiefe vordrangen, konnte ich hoffen, meine Sammel-
lust zu befriedigen.
„Wenn dem Herrn Hauptmann die Gefahr zu groß
erscheint, kann er ja bei den Trägern hier zurückbleiben.
Ich werde mir erlauben, die beiden Herren zu begleiten

und dem Herrn Professor zu folgen," sagte der Bezirks-
richter; dafür fuhr ihn der Hauptmann zornig an und
erklärte, für sich selbst kenne er keine Besorgnis, wohl
aber für den alten Herrn, der als Gast in Luttach lebe.
Wenn ick aber mich nicht halten lasse, würde er auch nicht
zurückbleiben.
So war denn das weitere Vordringen beschlossen;
Franz Schorn gab uns die nötigen Anweisungen, er zeigte
uns, wie wir uns mit dem Seile zu umgürten, wir wir
dasselbe beim Herablasscn festzuhalten hätten. Bei mir
wären diese Anweisungen nicht nötig gewesen. Ich habe
das Seil so oft bei Gletscherwanderungen mit tüchtigen
Führern benützt, habe mich so häufig von Felsen herab-
gelassen, um seltene Pflanzen zu erbeuten, daß mir der
Gebrauch des Seiles durchaus vertraut ist. Eine Gefahr
schien wirklich mit dem Herablassen kaum verbunden zu
sein, selbst nicht für Franz Schorn, denn wir waren vier
Männer, welche das Seil zu halten und nur langsam,
allmälich nachzulassen hatten, während er sich hinunter
ließ; bei der geringen Höhe konnte das Seil nicht zu sehr
ins Schwanken kommen; es genügten zweifellos die Kräfte
der beiden starken Träger, um auch den Hauptmann als
letzten von uns hinunter zu lassen.
Schorn umgürtete sich zuerst mit dem Seil derart,
daß er sich in die festgeknotete Schleife setzen konnte. Die
Laterne befestigte er am Seil, dann trat er bis zum
äußersten Rand des Felsens vor. Er setzte sich auf diesen
und ließ sich dann, sich zuerst noch an dem zackigen Felsen
festhaltend, langsam und vorsichtig hinab, indem wir, das
Seil festhaltend, Zoll für Zoll nachgaben. Ich folgte
ihm bis zum Rande des Abgrundes, hinunter zu schauen
wagte ich nicht, weil ich meine ganze Kraft und Aufmerk-
samkeit auf das Festhalten und allmäliche Nachlassen des
Seiles konzentrirte.
Schon nach kaum einer Minute ertönte von unten
herauf der Ruf: „Halt! Ich bin zur Stelle. Zieht das
Seil wieder in die Höhe!"
Ich legte mich platt auf den Boden nieder und beugte
mich dann, so weit ich es ohne Gefahr thun konnte, über
den Felsen sort. Die Felsenplatte war unten jetzt voni
Licht der Laterne, welche Franz Schorn vom Seil gelöst
und neben sich gestellt hatte, hell genug erleuchtet, ich
konnte den jungen Mann deutlich sehen, der ganz bequem
und sicher gar nicht tief unter mir stand. Auch den
schwarzen Schlund zur Rechten, die Fortsetzung der Höhle,
konnte ich erkennen.
„Folgen Sie mir, Herr Professor!" rief Franz Schorn
herauf. „Machen Sie es nur gerade so wie ich. Es hat
gar keine Gefahr. Sie setzen sich in die Schleife, und
sobald Sie hier unten ankommen, ziehe ich Sie zu mir
heran. Wir haben alle und noch ein Dutzend Männer
mehr hier auf der Platte bequem Platz."
Ich zog das Seil in die Höhe und umgürtete mich
mit demselben so, daß ich in der Schleife sitzen konnte.
Als ich nun aber auf dem äußersten Rand des Felsens
mich niederließ, um dem Beispiel Schorns zu folgen, da
schlug mir plötzlich das Herz stürmisch in der Brust. Ein
Grausen überkam mich, als ich in den Abgrund hinunter-
schaute. Ich zögerte, mich hinabzulassen.
„Fürchten Sie sich, Herr Professor?"
Der Bezirksrichter stand fast unmittelbar hinter mir.
Er schaute mich mit einem abscheulichen, höhnischen Lächeln
an. Seine Augen blitzten mich seltsam unheimlich an, als
er sich ganz nahe an mich herandrängte.
Es gibt keine größere Thorheit, als sich unnötiger-
weise einer Gefahr auszusetzen, um nicht feige zu erscheinen.
Ich habe dies oft ausgesprochen, aber in jenem Augenblick
beging ich alter Mann selbst diese Thorheit.
„Halten sie das Seil fest; ich werde mich hinablassen!"
erwiderte ich.
„Keine Furcht! Wir halten fest!"
Ich schwebte über dem Abgrunde und langsam ging's
hinab. Schon war ich beinahe unten bei der Platte, da
hörte ich über mir ein eigentümliches Knirschen, im nächsten
Moment hatte ich das Gefühl des Fallens, da aber wurde
ich gepackt von einem kräftigen Arm und taumelnd stürzte
ich mit Franz Schorn, der mich umschlungen hielt, auf der
Felsenplatte nieder. In demselben Augenblick hörte ich
oben einen gräßlichen Schrei. „Großer Gott," so ertönte
die Stimme des Bezirksrichters, „das Seil ist zerrissen!
Der Professor ist in den Abgrund gestürzt!"
Es war dies alles das Werk eines Augenblicks. Ich
wollte mich ausrichten, aber ich konnte es nicht; mein
rechter Fuß schmerzte mich empfindlich.
Franz Schorn, der ebenfalls niedergestürzt war, stand
schon wieder neben mir. „Das Seil soll zerrissen sein,"
flüsterte er mir zu, „das glaube ich nicht." Er ergriff
das Seil, dessen Ende über den Felsabsturz hinabhing,
und zog es schnell an sich, dann hob er seine am Boden
stehende Laterne auf — die meinige war bei dem Sturz
zersplittert und erloschen — und beleuchtete das Endstück
des Seiles. „Es ist halb durchgeschnitten," sagte er mit
tonloser Stimme, „dann erst ist es gerissen. Der Schurke,
der Bezirksrichter, hat Sie in den Abgrund stürzen wollen!"
Mit einer schnellen Bewegung griff er in die Brusttasche,
er holte ein kräftiges Messer hervor und schnitt ein Stück
von dem Seil ab. „Nehmen Sie das Endstück des
Seiles an sich," flüsterte er. „Sie werden es vielleicht
 
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