210
Illuftrirte Welt.
nicht alles herausgebracht, was ich wissen wollte, wenn es ihm
von Vorteil zu sein schien, seine Kameraden zu verraten, Ehre
unter Dieben gibt es nicht," Nach seiner Ansicht sind sowohl
die Geheimpolizei, sowie die Einrichtung von Privatdetektivs,
wie sie in einigen europäischen Staaten cristiren, ganz unnütze,
überflüssige Dinge, Er behauptet, „das Verbrechen sei eine Kunst
und die Entdeckung desselben eine Wissenschaft." Der Mann
scheint nicht so ganz unrecht zu haben.
In dem Archive des Detektivbureau von New-Hort befinden
sich nicht weniger als 60,000 Photographien von etwa 6000
bis 7000 Verbrechern, Bon jedem berufsmäßigen Verbrecher
werden sofort nach seiner Verhaftung 50 photographische Bilder
angefertigt, auf deren Rückseite sein vollständiger Stammbaum
oder Nationale ausgezeichnet wird. Von diesen Bildern geht
sogleich eine Anzahl an die Polizeibehörden des Inlandes. Sehr
interessant ist das Kriminalmuseum in diesem Archiv; in den
Schränken desselben sieht man Schmiedehämmer, deren Kopf mit
Blei ausgefüllt ist, verschiedene Sorten von Haken, Drillbohrer,
Stücke von Gewinden, Fläschchen mit Erdnußöl, einen unechten
Goldziegelstein, falsches Papiergeld, einen achtzehnläufigen Re-
volver, Pulverhörner, welche bei der Beraubung der Manhattan-
bank im Jahre 1878 angewendet worden, bei welcher die Ein-
brecher mit 2,749,000 Dollars in Bonds und Wertpapieren sich
davonmachten, nebst 15,000 Dollars in Gold- doch wurde ihnen
infolge der wirksamen Thätigkeit der Detektivs ein großer Teil
der Beute wieder abgenommen. Ferner findet man in diesem
Museum eine ganze Sammlung der verschiedensten Diebswerk-
zeuge, von denen manche mit großer Kunstfertigkeit ausgeführt
sind, Seile, Stricke und so weiter.
Sehr häufig geschieht es, Laß auf Requisitionen von Be-
hörden und Privaten Beamte des New-Horker Detektivbureau
nach den übrigen Staaten geschickt werden zur Entdeckung von
Verbrechen; oft folgen sie den Spuren der Einbrecher und Mörder
bis in den fernsten Westen und müssen alle erdenklichen Ver-
kleidungen und Listen anwenden, um der nicht weniger schlauen
Verbrecher sich bemächtigen zu können.
Eine andere Abteilung des Polizeidepartemenis hat die Aus-
gabe, die oft schrecklichen Behausungen der ärmsten Klasse der
Bevölkerung zu untersuchen, aus deren Gesundheitsschädlichkeit zu
prüfen und Vorkehrungen zur Verhütung von epidemischen Krank-
heiten zu treffen. Man kann wohl behaupten, daß die Ein-
richtung des New-Horker Polizeidepartements eine mustergiltige ist.
Die Legmlle vom Milf.
«Bild S. 213.)
Ovid schildert in seinen Verwandlungen eine Verfolgung der
keuschen Nymphe Syrinx durch Pan, sie floh vor ihm durch
unwegsame Wüsten und kam zum Flusse Ladon, wo das Wasser
ihr den Weg abschnitt. Jetzt bat sie um Verwandlung und
ward Rohr. In diesem schallte die Klage des getäuschten Pan
wie melodisches Lispeln und Flüstern, und ward nach der Mythe
der Ursprung der Tonkunst, indem der Pan sagte - „Diese Ver-
einigung mit Dir wird mir bleiben!" — Aus zujammengefügten
Rohrstllckcn entstand die Hirtenflöte Syrinx. So besingt Ovid
Len Mythus von der Syrinx und deni Pan, welchen sich die
beiden jungen Arkadierinnen — in der Abenddämmerung scheu
auf das Rauschen des Schilfes horchend — zuflüstern. Diesem
anscheinend die Erfindung der Hirtenflöte behandelnden erotischen
Märchen liegt ein tiefer kosmologischer Sinn zu Grunde.
Pan, des Aethers Sohn, ist der Himmel in seiner Ver-
mählung mit der weiblichen feuchten Erde) das thätige, befruch-
tend wirkende Naturprinzip, dessen allumfassendes Wesen in
seiner mythologischen Gestalt mit den Attributen beider aus-
gestattet ist: seine Hörner sind die Sonnenstrahlen und Mond-
hörner, sein Gesicht ist rot wie die Morgen- und Abendröte, die
Nebris auf seinen Schultern ist der Sternenhimmel, während
die rauhen Ziegenfüße die ihm zugehörende animalische Welt
bezeichnen.
Pans Amt ist ein doppeltes: unter dem Mond ist er der
Besamcr, der die Wälder befeuchtet und Nahrung gibt für das
Vieh.
lieber der Sphäre des Mondes ist Pan das Prinzip aller
Bewegung. Von ihm geht der Lauf aller Planeten aus und
in ihm findet die Harmonie der sieben Sphären ihren Mittel-
punkt. Er rückt in den Fixsternhimmel hinauf, wo er als
Sohn des Anubis und „gestaltenwechselnder Hund der großen
Göttin" mit Sternenschrift die Charaktere des Himmels bezeichnet,
das große Jahr und die kleinen Jahresläufe ordnet und als
hoher Tänzer die Chöre der Planeten vorschreibt. In diesem
Sinn nennt Pindar Pan „den Tänzer und Vollkommensten der
Götter, welcher Rhea, die große Göttermutter begleitet". Von
diesen Tänzen des Pan im Vaterlande der Rhea läßt Sophokles
den Chor im Ajax bedeutungsvoll singen:
„Erschein, Anführer der Göttcrrcih'n,
Auch ans hent, mysischen, knossischen,
Selbstersonncnen Freudentanz
Zu schlingen." —
Das Element des Tanzes ist die Harmonie und die durch
den Pan hervorgerusenc Harmonie der Sphären oder des Welt-
alls, ist der Sinn des Märchens von der Syrinx. Pan ist die
Sonne im Frühling, die den Jahreskreis neu eröffnende, leben-
spendende Sonne und der Feueräther selbst. Die Pansflöte ist
nun das natürliche Bild der allgemeinen Harmonie, deren Seele
die Sonne ist. Ihre sieben Pfeifen entsprechen den sieben Pla-
neten, die kürzeste dem Mond und die längste dem Saturn.
Der eine Hauch des Feueräthers oder der Sonne geht durch
alle sieben Planeten hindurch und bewirkt den Accord der sieben
konzentrischen Sphären der alten Welt. Die siebenröhrige Paus-
pfeisc ist das Vorbild der Leier Apollos, die derselben Deutung
unterliegt, und in ihr ruht der von der ägyptischen Priesterlehre
als eine Zahl von Göttern pcrjonifizirte Siebenlaut, welcher
durch die Verbindung mit dem Fixsternhimmel die hohe Acht,
den großen Octonar, ausmacht. Pan selbst ist dieser Achte und
heißt deshalb Esmun, der achte. Er ist der große Gott von
Chemmis, den die Priester als „den Künstler des redenden
Tanzes" kannten, während das Volk bei dem Frühlingsgotte
neben dem Zeichen der Ziege, dem Bocksgotte, stehen blieb. —
In gleichem kosmologischem Sinn nimmt die elfte orphische
Hymne den Pan, indem sie ihn „Himmel und Erde, unaus-
löschliches Feuer, Beisitzer des Horen, Befruchter und Licht-
bringer" nennt, welcher „die Wcltharmonie in lieblichem Liede
vorspielt". An demselben Ort heißt er auch der Echo Liebling
und Gemahl, was wieder mit der Personifikation des Tons und
Widerhalls zusammcnhängt. Als Hirtengott die Rohrpfeife
spielend, ist Pan von dem Widerhall der Echo entzückt, während
er, als kosmische Macht die Syringe spielend, den Grund und
das Wesen des hohen Siebcnlautes der Sphärenharmonie bildet.
Gleich doppelgestaltig ist Pan endlich als Gatte der Nymphe
Euphenie (des Wohllautes), mit welcher er den Krotos, den
Takt, erzeugt - hier wie im Mythus vom Pan und der Peitho,
der schmeichelnden Dienerin Rheas, fallen die Ideen des im
gehaltenen Takte dahingleitenden irdischen nnd himmlischen
Tanzes, irdischer und himmlischer Harmonien, des wechselnden
Lichtes der Planeten und des Himmels Sternenschrift nut dem
Gedankenreichtum und dem Jdeenspiel inhaltsreicher Symbolik
zusammen. Karl Kiesewetter.
KiesmsMMröim.
(Bild S. 2I2.>
Wie die jetzt lebenden Reptilien überhaupt, so sind besonders
auch die Schildkröten eine Tierordnung, welche ihre Blütezeit
in längstvergangenen Epochen der Urwelt hatte, denn die größten
Arten derselben sind längst nicht mehr. Solch plumpe, unbehilf-
liche Kolosse, deren Schild bis 3,20 Meter erreichte, konnten Len
furchtbar sich entwickelnden Raubsäugetieren trotz ihres Panzers
nicht mehr stand halten, lieber letzteren siegte, wie später die
Flintenkugel über den Harnisch, das alles zermalmende Gebiß
und die Gewandtheit der gewaltigen Katzen-, Bären- und Hunde-
arten der Vorzeit, und nur die wenigen dieser Riesen, welche sich
auf einsame Inseln geflüchtet, wo keiner dieser gefährlichen Feinde
sie erreichen konnte, haben sich bis heute erhalten. Diese letzten
Zufluchtsstätten der landbewobnenden Riesenschildkröten sind die
Galapagosinseln, die Mascarenen und die Aldabrainseln, im
Osten Afrikas gelegen. Von dort können wir noch ein
imposantes Bild von merkwürdigen Verteidigungsmittclu dcr
grauen Vorzeit erhalten, die sonst, außer bei der Riesenmuschel,
heute nur noch in bedeutend kleinerem Maßstab in Anwendung
kommen. Charakteristisch für die Riesenlandschildkröten ist Ver-
sehr bewegliche Bauchschild, der, wenn das Tier sich ganz zurück-
gezogen hat, vorn und hinten durch ein Scharnier an den Rücken-
schild angezogcn werden kann, so daß dasselbe in einem voll-
kommen geschlossenen Gehäuse sich befindet. Viele dieser Tiere
leben in wasserlosen Gegenden, sie haben deshalb ein Reservoir
im Magen, das sie von Zeit zu Zeit an entfernten Quellen,
wohin sie sich förmliche Pfade treten, füllen. Die Eingeborenen
der Inseln benützen diesen Umstand manchmal, wenn sie von
Durst gequält werden, indem sie eine Schildkröte töten und das
Wasser trinken, das, wenn die Schildkröte noch nicht viel davon
verbraucht hat, sehr rein ist und nur schwach säuerlich schmeckt,
wie Darwin, der dieselben auf den Galapagosinseln beobachtete,
berichtet Wo viele Kaktus wachsen, fressen sie diese und be-
gnügen sich an dem Wasser dieser dasselbe ebenfalls aufspeichern-
den Pflanzen. Sonst nähren sie sich von Gras, Laub, Pilzen,
Gewürm und Kerbtieren und werden dabei sehr fett, was sie
vielfacher Verfolgung von feiten des Menschen aussetzt. Das
Fleisch einer einzigen, das wohlschmeckend ist, kann bis 200 Pfund
betragen, dazu kommt noch das Fett, das ein vortreffliches Ocl
liefert, und ebensolches wird aus den Eiern bereitet Letztere —
wie die Jungen — fallen auch vielfach Raubtieren zur Beute.
Namentlich die Raubvögel fangen sehr viel Junge weg; die
größten Verheerungen unter ihnen richtet jedoch der Mensch an.
Auf den Aldabrainseln sind manche Brutplätze mit Mauern um-
! geben, uni die Schildkröten bis zu ihrer Verschiffung nach
Madagaskar- oder Afrika gefangen halten zu können. Hier be-
finden sich oft mehrere Hundert zusammen, die dann mit Gras
und Laub gefüttert werden, um sie feist zu erhalten. Die Tiere
haben eine sehr zähe Natur, ertragen lange Hunger und Durst
und nehmen mit fast jeder Nahrung vorlieb; nur eines er-
tragen sie nicht, das ist die Kälte. In unseren Tiergärten, wo
man ihnen häufig begegnet, müssen sie im Winter stets im Warmen
gehalten werden, wobei namentlich der Fußboden zu berücksichtigen
ist. Diese letzten großen Landtiere eines abenteuerlichen, nieder-
gegangenen Tiergeschlechtes (wenn man von den mehr amphibisch
lebenden Krokodilen absieht) sind gewiß eines Schutzes vor gänz-
licher Vernichtung wert, um so mehr, La sie sich dem Menschen
auch sehr nutzbar erweisen Sie sind dessen ebenso bedürftig
wie ihre ebenfalls riesigen meerbewohnenden Verwandten, die
Suppen- und die Carettschildkröte, die wenigstens im Meere
noch sicher sind, obgleich sie ebenfalls zu Grunde gehen müssen,
wenn ihre Brut nicht mehr geschont wird wie bisher. Wir
wollen daher hoffen, daß die betreffenden Staaten sich dieser so
sehr verfolgten nützlichen Tiere annehmen werden.
L. Martin.
Das Irauenstudium in Rußland.
Welch großen Umsang das Frauenstudium in Rußland an-
genommen hat, ist folgender Statistik zu entnehmen: Im Jahre
1886 studirten auf den russischen Universitäten 779 Frauen, und
zwar 243 auf den philologischen Fakultäten, 500 auf den physisch-
mathematischen und 36 auf den spezial-mathematischen. Griechisch-
orthodox waren 587, Israelitinnen 139. Unverheiratet waren
748, verheiratet 31. Die meisten waren Adelige, Offiziers- und
Beamtentöchter, und zwar 437, dann Töchter von Geistlichen 84,
von Kaufleuten 125, von Bürgern 117, von Bauern 10, von
Soldaten 4 und Ausländerinnen 2. Im letzten Kurse waren
122 ordentliche Hörerinnen, von welchen 85 Las Rigorosum ab-
legten. Dazu komnit noch die große Zahl von Russinnen, die
an ausländischen Hochschulen und Instituten, namentlich in der
Schweiz, studiren.
Die Ritter des deutschen Hauses.
Roman
von
Gregor Samarow.
«Fortsetzung.)
ÄisMlRMj Während die beiden Männer noch im Gespräch
mit dem Hochmeister begriffen waren, näherte
ein junges Mädchen dem Fräulein von
d Alsleben und wurde von dieser mit herzlicher
Freundlichkeit begrüßt. Sie war die Tochter
des Bürgers Daniel Wittenberg, desselben, welchem heute
die Ehre des Schützenkönigtums zu teil geworden war,
eine Freundin des Fräuleins.
Die schöne Hildegard, wie sie allgemein genannt wurde,
war in allen Stücken verschieden von ihrer Freundin.
Kleiner als diese, hatte sie nicht die antik reinen Züge
derselben, nicht die schöne Rundung und das hohe Eben-
maß der Formen. Sie war magerer, und es ging ihr
die stolze und gebietende Haltung ab, welche der Erschei-
nung Marias etwas Jmponirendes gab. Alle diese
Mängel aber wurden ersetzt durch den Zauber einer naiv
kindlichen Anmut, der ihr ganzes Wesen mit einein un-
widerstehlichen Reiz umgab. Sie stand in dem Alter, in
welchem sich das Kind soeben zur Jungfrau entfaltet hat
und in welchem sich die schönsten Eigenschaften beider
vereinigen, um die Blüte des Lebens init so herrlichen, aber-
leider ebenso flüchtig vergänglichen Farben zu schmücken.
Ihr aschblondes Haar war von der reichsten, üppigsten
Fülle, ihre Haut war so fein und durchsichtig, daß man
den bläulichen Schimmer der Adern darunter sah, ihr
dunkelblaues Auge schien von unergründlicher Tiefe zu
sein und schimmerte in dem eigentümlichen Perlmutterglanz,
der manchen Augen eigen ist und ihnen einen unbeschreib-
lichen Reiz verleiht.
Ihre frischen, zarten Lippen öffneten sich zu dem lieb-
lichsten Lächeln, und was ihren Zügen, namentlich im
Vergleich mit Maria, an Regelmäßigkeit abging, das
ersetzte die ausdrucksvolle Lebhaftigkeit des Mienenspieles,
welches oft in einem Augenblicke von dein Ernst dcr
Jungfrau zu deni Mutwillen des Kindes übersprang.
Sie trug ein weißes Kleid mit blauen Schleifen, die
weiten Aermel waren mit einer kurzen Perlenschnur halb
ausgenommen und gaben den etwas mageren, aber schön
geformten und blendend weißen Armen freien Spielraum.
Ihr Haar war mit Perlenkränzen durchflochten, und ihre
Brust schmückte ein Strauß von frischen Frühlingsblumen.
Das Haus des Bürgers und Ratsherrn Daniel Witten-
berg lag neben dem des Ritters von Alsleben, daher-
waren die beiden jungen Mädchen von Jugend auf Ge-
spielinnen gewesen, und der Altersunterschied hatte nur
dazu gedient, ihr Verhältnis um so schöner zu gestalten,
da die jüngere Hildegard zu der älteren Maria wie zu
ihrem Vorbild aufzusehen gewohnt war und Maria sich
an dem kindlichen Mutwillen und den oft launigen und
treffenden Einfällen ihrer jungen Freundin ergötzte.
Hildegard war mit ihrer Mutter etwas später zu dem
heutigen Feste gekommen und eilte, nachdem sie ihre
Freundin entdeckt, auf dieselbe zu, um sie zu begrüßen.
„Nun, meine kleine Prinzessin," sagte Maria lächelnd
zu ihr, „wie soll ich Dir meine Huldigung bezeigen? Oder
bist Du nicht stolz geworden, seit Dein Herr Vater zu
der hohen Würde des Königs über unsere Schützengilde
emporgestiegen ist?"
„Stolz werde ich zwar nicht gegen Dich sein," ent-
gegnete Hildegard mit komischer Würde, „aber ich werde
es mir nun doch als Schützenprinzessin verbitten, daß
Du zuweilen den strengen Erziehungston gegen mich
anstimmst und mich hofmeisterst in Bezug auf das, was
Du meine kleinen Ungezogenheiten nennst."
Dann verließ plötzlich der Ausdruck mutwilliger Fröh-
lichkeit ihr Gesicht, und indem sie sich von Maria wieder
abwandte, blickte sie mit einer gewissen Aufregung unter
die hin und her wogende Menge und schien von einem
Gedanken, der sie beschäftigte, vollständig in Anspruch
genommen zu sein.
Maria wunderte sich über diesen plötzlichen Uebergang
nicht besonders, weil sie Aehnliches an ihrer jungen
Freundin gewohnt war, und hatte auch nicht Zeit, sie nach
der Ursache ihrer Unruhe zu fragen, weil in diesem Augen-
blick der Hochmeister wieder zu ihnen trat.
„Ah, da ist ja die Tochter unseres sieggekröutcn
Schützenkönigs!" sagte er. „Ich bin überzeugt, daß ihre
Blicke die Herzen unserer jungen Männer ebenso sicher-
treffen, als ihr Vater den Vogel; wahrlich, Ritter voir
Alsleben, Eure Tochter weiß ihre Freundinnen wohl zu
wählen, sowohl was Schönheit als gute Sitte betrifft.
Vergeßt nicht, daß ich Euch in einer Stunde erwarte."
j Und nachdem er sich artig vor den beiden Mädchen ver-
neigt hatte, begab er sich, zu dem Schützenzelte zurück.
Hier grüßte er nochmals den Schützenkönig rind die
Bürger, schwang sick dann auf sein Pferd, das ihm sein
Kumpan Rabe von Pappenheim vorführte, und sprengte,
begleitet von dem Jubelruf der Menge, mit seinem Gefolge
i wieder dem Schlosse zu.
Illuftrirte Welt.
nicht alles herausgebracht, was ich wissen wollte, wenn es ihm
von Vorteil zu sein schien, seine Kameraden zu verraten, Ehre
unter Dieben gibt es nicht," Nach seiner Ansicht sind sowohl
die Geheimpolizei, sowie die Einrichtung von Privatdetektivs,
wie sie in einigen europäischen Staaten cristiren, ganz unnütze,
überflüssige Dinge, Er behauptet, „das Verbrechen sei eine Kunst
und die Entdeckung desselben eine Wissenschaft." Der Mann
scheint nicht so ganz unrecht zu haben.
In dem Archive des Detektivbureau von New-Hort befinden
sich nicht weniger als 60,000 Photographien von etwa 6000
bis 7000 Verbrechern, Bon jedem berufsmäßigen Verbrecher
werden sofort nach seiner Verhaftung 50 photographische Bilder
angefertigt, auf deren Rückseite sein vollständiger Stammbaum
oder Nationale ausgezeichnet wird. Von diesen Bildern geht
sogleich eine Anzahl an die Polizeibehörden des Inlandes. Sehr
interessant ist das Kriminalmuseum in diesem Archiv; in den
Schränken desselben sieht man Schmiedehämmer, deren Kopf mit
Blei ausgefüllt ist, verschiedene Sorten von Haken, Drillbohrer,
Stücke von Gewinden, Fläschchen mit Erdnußöl, einen unechten
Goldziegelstein, falsches Papiergeld, einen achtzehnläufigen Re-
volver, Pulverhörner, welche bei der Beraubung der Manhattan-
bank im Jahre 1878 angewendet worden, bei welcher die Ein-
brecher mit 2,749,000 Dollars in Bonds und Wertpapieren sich
davonmachten, nebst 15,000 Dollars in Gold- doch wurde ihnen
infolge der wirksamen Thätigkeit der Detektivs ein großer Teil
der Beute wieder abgenommen. Ferner findet man in diesem
Museum eine ganze Sammlung der verschiedensten Diebswerk-
zeuge, von denen manche mit großer Kunstfertigkeit ausgeführt
sind, Seile, Stricke und so weiter.
Sehr häufig geschieht es, Laß auf Requisitionen von Be-
hörden und Privaten Beamte des New-Horker Detektivbureau
nach den übrigen Staaten geschickt werden zur Entdeckung von
Verbrechen; oft folgen sie den Spuren der Einbrecher und Mörder
bis in den fernsten Westen und müssen alle erdenklichen Ver-
kleidungen und Listen anwenden, um der nicht weniger schlauen
Verbrecher sich bemächtigen zu können.
Eine andere Abteilung des Polizeidepartemenis hat die Aus-
gabe, die oft schrecklichen Behausungen der ärmsten Klasse der
Bevölkerung zu untersuchen, aus deren Gesundheitsschädlichkeit zu
prüfen und Vorkehrungen zur Verhütung von epidemischen Krank-
heiten zu treffen. Man kann wohl behaupten, daß die Ein-
richtung des New-Horker Polizeidepartements eine mustergiltige ist.
Die Legmlle vom Milf.
«Bild S. 213.)
Ovid schildert in seinen Verwandlungen eine Verfolgung der
keuschen Nymphe Syrinx durch Pan, sie floh vor ihm durch
unwegsame Wüsten und kam zum Flusse Ladon, wo das Wasser
ihr den Weg abschnitt. Jetzt bat sie um Verwandlung und
ward Rohr. In diesem schallte die Klage des getäuschten Pan
wie melodisches Lispeln und Flüstern, und ward nach der Mythe
der Ursprung der Tonkunst, indem der Pan sagte - „Diese Ver-
einigung mit Dir wird mir bleiben!" — Aus zujammengefügten
Rohrstllckcn entstand die Hirtenflöte Syrinx. So besingt Ovid
Len Mythus von der Syrinx und deni Pan, welchen sich die
beiden jungen Arkadierinnen — in der Abenddämmerung scheu
auf das Rauschen des Schilfes horchend — zuflüstern. Diesem
anscheinend die Erfindung der Hirtenflöte behandelnden erotischen
Märchen liegt ein tiefer kosmologischer Sinn zu Grunde.
Pan, des Aethers Sohn, ist der Himmel in seiner Ver-
mählung mit der weiblichen feuchten Erde) das thätige, befruch-
tend wirkende Naturprinzip, dessen allumfassendes Wesen in
seiner mythologischen Gestalt mit den Attributen beider aus-
gestattet ist: seine Hörner sind die Sonnenstrahlen und Mond-
hörner, sein Gesicht ist rot wie die Morgen- und Abendröte, die
Nebris auf seinen Schultern ist der Sternenhimmel, während
die rauhen Ziegenfüße die ihm zugehörende animalische Welt
bezeichnen.
Pans Amt ist ein doppeltes: unter dem Mond ist er der
Besamcr, der die Wälder befeuchtet und Nahrung gibt für das
Vieh.
lieber der Sphäre des Mondes ist Pan das Prinzip aller
Bewegung. Von ihm geht der Lauf aller Planeten aus und
in ihm findet die Harmonie der sieben Sphären ihren Mittel-
punkt. Er rückt in den Fixsternhimmel hinauf, wo er als
Sohn des Anubis und „gestaltenwechselnder Hund der großen
Göttin" mit Sternenschrift die Charaktere des Himmels bezeichnet,
das große Jahr und die kleinen Jahresläufe ordnet und als
hoher Tänzer die Chöre der Planeten vorschreibt. In diesem
Sinn nennt Pindar Pan „den Tänzer und Vollkommensten der
Götter, welcher Rhea, die große Göttermutter begleitet". Von
diesen Tänzen des Pan im Vaterlande der Rhea läßt Sophokles
den Chor im Ajax bedeutungsvoll singen:
„Erschein, Anführer der Göttcrrcih'n,
Auch ans hent, mysischen, knossischen,
Selbstersonncnen Freudentanz
Zu schlingen." —
Das Element des Tanzes ist die Harmonie und die durch
den Pan hervorgerusenc Harmonie der Sphären oder des Welt-
alls, ist der Sinn des Märchens von der Syrinx. Pan ist die
Sonne im Frühling, die den Jahreskreis neu eröffnende, leben-
spendende Sonne und der Feueräther selbst. Die Pansflöte ist
nun das natürliche Bild der allgemeinen Harmonie, deren Seele
die Sonne ist. Ihre sieben Pfeifen entsprechen den sieben Pla-
neten, die kürzeste dem Mond und die längste dem Saturn.
Der eine Hauch des Feueräthers oder der Sonne geht durch
alle sieben Planeten hindurch und bewirkt den Accord der sieben
konzentrischen Sphären der alten Welt. Die siebenröhrige Paus-
pfeisc ist das Vorbild der Leier Apollos, die derselben Deutung
unterliegt, und in ihr ruht der von der ägyptischen Priesterlehre
als eine Zahl von Göttern pcrjonifizirte Siebenlaut, welcher
durch die Verbindung mit dem Fixsternhimmel die hohe Acht,
den großen Octonar, ausmacht. Pan selbst ist dieser Achte und
heißt deshalb Esmun, der achte. Er ist der große Gott von
Chemmis, den die Priester als „den Künstler des redenden
Tanzes" kannten, während das Volk bei dem Frühlingsgotte
neben dem Zeichen der Ziege, dem Bocksgotte, stehen blieb. —
In gleichem kosmologischem Sinn nimmt die elfte orphische
Hymne den Pan, indem sie ihn „Himmel und Erde, unaus-
löschliches Feuer, Beisitzer des Horen, Befruchter und Licht-
bringer" nennt, welcher „die Wcltharmonie in lieblichem Liede
vorspielt". An demselben Ort heißt er auch der Echo Liebling
und Gemahl, was wieder mit der Personifikation des Tons und
Widerhalls zusammcnhängt. Als Hirtengott die Rohrpfeife
spielend, ist Pan von dem Widerhall der Echo entzückt, während
er, als kosmische Macht die Syringe spielend, den Grund und
das Wesen des hohen Siebcnlautes der Sphärenharmonie bildet.
Gleich doppelgestaltig ist Pan endlich als Gatte der Nymphe
Euphenie (des Wohllautes), mit welcher er den Krotos, den
Takt, erzeugt - hier wie im Mythus vom Pan und der Peitho,
der schmeichelnden Dienerin Rheas, fallen die Ideen des im
gehaltenen Takte dahingleitenden irdischen nnd himmlischen
Tanzes, irdischer und himmlischer Harmonien, des wechselnden
Lichtes der Planeten und des Himmels Sternenschrift nut dem
Gedankenreichtum und dem Jdeenspiel inhaltsreicher Symbolik
zusammen. Karl Kiesewetter.
KiesmsMMröim.
(Bild S. 2I2.>
Wie die jetzt lebenden Reptilien überhaupt, so sind besonders
auch die Schildkröten eine Tierordnung, welche ihre Blütezeit
in längstvergangenen Epochen der Urwelt hatte, denn die größten
Arten derselben sind längst nicht mehr. Solch plumpe, unbehilf-
liche Kolosse, deren Schild bis 3,20 Meter erreichte, konnten Len
furchtbar sich entwickelnden Raubsäugetieren trotz ihres Panzers
nicht mehr stand halten, lieber letzteren siegte, wie später die
Flintenkugel über den Harnisch, das alles zermalmende Gebiß
und die Gewandtheit der gewaltigen Katzen-, Bären- und Hunde-
arten der Vorzeit, und nur die wenigen dieser Riesen, welche sich
auf einsame Inseln geflüchtet, wo keiner dieser gefährlichen Feinde
sie erreichen konnte, haben sich bis heute erhalten. Diese letzten
Zufluchtsstätten der landbewobnenden Riesenschildkröten sind die
Galapagosinseln, die Mascarenen und die Aldabrainseln, im
Osten Afrikas gelegen. Von dort können wir noch ein
imposantes Bild von merkwürdigen Verteidigungsmittclu dcr
grauen Vorzeit erhalten, die sonst, außer bei der Riesenmuschel,
heute nur noch in bedeutend kleinerem Maßstab in Anwendung
kommen. Charakteristisch für die Riesenlandschildkröten ist Ver-
sehr bewegliche Bauchschild, der, wenn das Tier sich ganz zurück-
gezogen hat, vorn und hinten durch ein Scharnier an den Rücken-
schild angezogcn werden kann, so daß dasselbe in einem voll-
kommen geschlossenen Gehäuse sich befindet. Viele dieser Tiere
leben in wasserlosen Gegenden, sie haben deshalb ein Reservoir
im Magen, das sie von Zeit zu Zeit an entfernten Quellen,
wohin sie sich förmliche Pfade treten, füllen. Die Eingeborenen
der Inseln benützen diesen Umstand manchmal, wenn sie von
Durst gequält werden, indem sie eine Schildkröte töten und das
Wasser trinken, das, wenn die Schildkröte noch nicht viel davon
verbraucht hat, sehr rein ist und nur schwach säuerlich schmeckt,
wie Darwin, der dieselben auf den Galapagosinseln beobachtete,
berichtet Wo viele Kaktus wachsen, fressen sie diese und be-
gnügen sich an dem Wasser dieser dasselbe ebenfalls aufspeichern-
den Pflanzen. Sonst nähren sie sich von Gras, Laub, Pilzen,
Gewürm und Kerbtieren und werden dabei sehr fett, was sie
vielfacher Verfolgung von feiten des Menschen aussetzt. Das
Fleisch einer einzigen, das wohlschmeckend ist, kann bis 200 Pfund
betragen, dazu kommt noch das Fett, das ein vortreffliches Ocl
liefert, und ebensolches wird aus den Eiern bereitet Letztere —
wie die Jungen — fallen auch vielfach Raubtieren zur Beute.
Namentlich die Raubvögel fangen sehr viel Junge weg; die
größten Verheerungen unter ihnen richtet jedoch der Mensch an.
Auf den Aldabrainseln sind manche Brutplätze mit Mauern um-
! geben, uni die Schildkröten bis zu ihrer Verschiffung nach
Madagaskar- oder Afrika gefangen halten zu können. Hier be-
finden sich oft mehrere Hundert zusammen, die dann mit Gras
und Laub gefüttert werden, um sie feist zu erhalten. Die Tiere
haben eine sehr zähe Natur, ertragen lange Hunger und Durst
und nehmen mit fast jeder Nahrung vorlieb; nur eines er-
tragen sie nicht, das ist die Kälte. In unseren Tiergärten, wo
man ihnen häufig begegnet, müssen sie im Winter stets im Warmen
gehalten werden, wobei namentlich der Fußboden zu berücksichtigen
ist. Diese letzten großen Landtiere eines abenteuerlichen, nieder-
gegangenen Tiergeschlechtes (wenn man von den mehr amphibisch
lebenden Krokodilen absieht) sind gewiß eines Schutzes vor gänz-
licher Vernichtung wert, um so mehr, La sie sich dem Menschen
auch sehr nutzbar erweisen Sie sind dessen ebenso bedürftig
wie ihre ebenfalls riesigen meerbewohnenden Verwandten, die
Suppen- und die Carettschildkröte, die wenigstens im Meere
noch sicher sind, obgleich sie ebenfalls zu Grunde gehen müssen,
wenn ihre Brut nicht mehr geschont wird wie bisher. Wir
wollen daher hoffen, daß die betreffenden Staaten sich dieser so
sehr verfolgten nützlichen Tiere annehmen werden.
L. Martin.
Das Irauenstudium in Rußland.
Welch großen Umsang das Frauenstudium in Rußland an-
genommen hat, ist folgender Statistik zu entnehmen: Im Jahre
1886 studirten auf den russischen Universitäten 779 Frauen, und
zwar 243 auf den philologischen Fakultäten, 500 auf den physisch-
mathematischen und 36 auf den spezial-mathematischen. Griechisch-
orthodox waren 587, Israelitinnen 139. Unverheiratet waren
748, verheiratet 31. Die meisten waren Adelige, Offiziers- und
Beamtentöchter, und zwar 437, dann Töchter von Geistlichen 84,
von Kaufleuten 125, von Bürgern 117, von Bauern 10, von
Soldaten 4 und Ausländerinnen 2. Im letzten Kurse waren
122 ordentliche Hörerinnen, von welchen 85 Las Rigorosum ab-
legten. Dazu komnit noch die große Zahl von Russinnen, die
an ausländischen Hochschulen und Instituten, namentlich in der
Schweiz, studiren.
Die Ritter des deutschen Hauses.
Roman
von
Gregor Samarow.
«Fortsetzung.)
ÄisMlRMj Während die beiden Männer noch im Gespräch
mit dem Hochmeister begriffen waren, näherte
ein junges Mädchen dem Fräulein von
d Alsleben und wurde von dieser mit herzlicher
Freundlichkeit begrüßt. Sie war die Tochter
des Bürgers Daniel Wittenberg, desselben, welchem heute
die Ehre des Schützenkönigtums zu teil geworden war,
eine Freundin des Fräuleins.
Die schöne Hildegard, wie sie allgemein genannt wurde,
war in allen Stücken verschieden von ihrer Freundin.
Kleiner als diese, hatte sie nicht die antik reinen Züge
derselben, nicht die schöne Rundung und das hohe Eben-
maß der Formen. Sie war magerer, und es ging ihr
die stolze und gebietende Haltung ab, welche der Erschei-
nung Marias etwas Jmponirendes gab. Alle diese
Mängel aber wurden ersetzt durch den Zauber einer naiv
kindlichen Anmut, der ihr ganzes Wesen mit einein un-
widerstehlichen Reiz umgab. Sie stand in dem Alter, in
welchem sich das Kind soeben zur Jungfrau entfaltet hat
und in welchem sich die schönsten Eigenschaften beider
vereinigen, um die Blüte des Lebens init so herrlichen, aber-
leider ebenso flüchtig vergänglichen Farben zu schmücken.
Ihr aschblondes Haar war von der reichsten, üppigsten
Fülle, ihre Haut war so fein und durchsichtig, daß man
den bläulichen Schimmer der Adern darunter sah, ihr
dunkelblaues Auge schien von unergründlicher Tiefe zu
sein und schimmerte in dem eigentümlichen Perlmutterglanz,
der manchen Augen eigen ist und ihnen einen unbeschreib-
lichen Reiz verleiht.
Ihre frischen, zarten Lippen öffneten sich zu dem lieb-
lichsten Lächeln, und was ihren Zügen, namentlich im
Vergleich mit Maria, an Regelmäßigkeit abging, das
ersetzte die ausdrucksvolle Lebhaftigkeit des Mienenspieles,
welches oft in einem Augenblicke von dein Ernst dcr
Jungfrau zu deni Mutwillen des Kindes übersprang.
Sie trug ein weißes Kleid mit blauen Schleifen, die
weiten Aermel waren mit einer kurzen Perlenschnur halb
ausgenommen und gaben den etwas mageren, aber schön
geformten und blendend weißen Armen freien Spielraum.
Ihr Haar war mit Perlenkränzen durchflochten, und ihre
Brust schmückte ein Strauß von frischen Frühlingsblumen.
Das Haus des Bürgers und Ratsherrn Daniel Witten-
berg lag neben dem des Ritters von Alsleben, daher-
waren die beiden jungen Mädchen von Jugend auf Ge-
spielinnen gewesen, und der Altersunterschied hatte nur
dazu gedient, ihr Verhältnis um so schöner zu gestalten,
da die jüngere Hildegard zu der älteren Maria wie zu
ihrem Vorbild aufzusehen gewohnt war und Maria sich
an dem kindlichen Mutwillen und den oft launigen und
treffenden Einfällen ihrer jungen Freundin ergötzte.
Hildegard war mit ihrer Mutter etwas später zu dem
heutigen Feste gekommen und eilte, nachdem sie ihre
Freundin entdeckt, auf dieselbe zu, um sie zu begrüßen.
„Nun, meine kleine Prinzessin," sagte Maria lächelnd
zu ihr, „wie soll ich Dir meine Huldigung bezeigen? Oder
bist Du nicht stolz geworden, seit Dein Herr Vater zu
der hohen Würde des Königs über unsere Schützengilde
emporgestiegen ist?"
„Stolz werde ich zwar nicht gegen Dich sein," ent-
gegnete Hildegard mit komischer Würde, „aber ich werde
es mir nun doch als Schützenprinzessin verbitten, daß
Du zuweilen den strengen Erziehungston gegen mich
anstimmst und mich hofmeisterst in Bezug auf das, was
Du meine kleinen Ungezogenheiten nennst."
Dann verließ plötzlich der Ausdruck mutwilliger Fröh-
lichkeit ihr Gesicht, und indem sie sich von Maria wieder
abwandte, blickte sie mit einer gewissen Aufregung unter
die hin und her wogende Menge und schien von einem
Gedanken, der sie beschäftigte, vollständig in Anspruch
genommen zu sein.
Maria wunderte sich über diesen plötzlichen Uebergang
nicht besonders, weil sie Aehnliches an ihrer jungen
Freundin gewohnt war, und hatte auch nicht Zeit, sie nach
der Ursache ihrer Unruhe zu fragen, weil in diesem Augen-
blick der Hochmeister wieder zu ihnen trat.
„Ah, da ist ja die Tochter unseres sieggekröutcn
Schützenkönigs!" sagte er. „Ich bin überzeugt, daß ihre
Blicke die Herzen unserer jungen Männer ebenso sicher-
treffen, als ihr Vater den Vogel; wahrlich, Ritter voir
Alsleben, Eure Tochter weiß ihre Freundinnen wohl zu
wählen, sowohl was Schönheit als gute Sitte betrifft.
Vergeßt nicht, daß ich Euch in einer Stunde erwarte."
j Und nachdem er sich artig vor den beiden Mädchen ver-
neigt hatte, begab er sich, zu dem Schützenzelte zurück.
Hier grüßte er nochmals den Schützenkönig rind die
Bürger, schwang sick dann auf sein Pferd, das ihm sein
Kumpan Rabe von Pappenheim vorführte, und sprengte,
begleitet von dem Jubelruf der Menge, mit seinem Gefolge
i wieder dem Schlosse zu.