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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 36.1888

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414

Illustrirte Welt.

Menschenglück zu finden. Hier senkten sich aus dem
Beispiele der Eltern die Grundelemente in die junge
Seele des Prinzen, die in seinem ganzen Leben fort-
wirkten: Glaube, Treue und Pflicht.
Wie es im.preußischen Königshause bedeutungs-
poller Brauch ist, begann frühe schon die militärische
Erziehung der Prinzen, die ihr königlicher Vater mit
Teilnahme überwachte; neben dieser wurde aber auch
die wissenschaftliche Ausbildung sorgfältigst gefördert.
So floß in friedlichem Gleichmaß der Tage die goldene
Kinderzeit dahin; bald jedoch sollte die erste Lebens-
schule hart und schwer an Prinz Wilhelm herantreten.
Für ihn selbst aber, wie für Preußen, war die schwere
Prüfungszeit, welche kommen sollte, eine Quelle reichen
Segens, denn in der Prüfung bewährt sich die echte Kraft.
Der Krieg mit Frankreich begann, unerwartet
schnell brach das Unglück herein. Die furchtbaren
Wetterschläge von Jena und Auerstädt enthüllten mit
erschreckender Klarheit die innere Zerrüttung der sich
überlebt habenden militärischen Einrichtungen wie der
Regierungsmaschine, die nur noch in den äußeren
Formen den Stempel Friedrich des Großen trug. Es
war am Neujahrsmorgen des Jahres 1807, als
Prinz Wilhelm zum erstenmal den Rock seines Königs
und Vaters in wirklich dienstlichem Ernst über seinem
jungen Soldatenherzen zukuöpfte, an seinem zehnten
Geburtstag, am 22. März gleichen Jahres, erhielt er
das Patent als Fähnrich, am Weihnachtsabend das-
jenige des Secondelieutenants.
Das Unglück hatte sich durch den Frieden zu Tilsit
in seiner ganzen Ausdehnung vollzogen; der Staat
Friedrich des Großen war zu einem kleinen Ländchen
zusammengeschmolzen, das seiner Größe nach kaum
noch ein Recht auf den Königstitel gewährte und unter
dem Druck fremder Gewalt erzitterte. Zwei Jahre
fast blieb die königliche Familie in Königsberg und
diese Jahre waren von hoher Bedeutung für die innere
Entwicklung des Prinzen Wilhelm.
Indes ging die Weltgeschichte ihren blutigen Gang
weiter. Auf den Krieg Frankreichs mit Oesterreich,
ans die Schlachten von Aspern, Eßling und Wagram
folgte der Friede zu Wien, die Geburt des Königs
von Rom im Jahre 1811, das Napoleon I. auf dem
Gipfel seiner Macht sah. Dann folgte der Krieg mit
Rußland, die Schlacht bei Borodino, der Brand
Moskaus, der Rückzug über die Beresina und die Auf-
lösung des großen Heeres.
Am 28. Februar 1813 schloß der König mit dem
Kaiser von Rußland ein neues Bündnis zum gemein-
samen Kriege gegen Frankreich, und am 17. März er-
folgte, gleichzeitig mit seinem „Aufruf an mein Volk",
die Kriegserklärung an den Kaiser Napoleon. „Mit
Gott für König und Vaterland!" hieß die Losung des
heiligen Kampfes.
Noch war Prinz Wilhelm nicht selbst ins Feld
gerückt, da der König, in Sorge um seine zarte Gesund-
heit, ihm die Bitte abgeschlagen. Nach den mörderischen
Schlachten von Bautzen und Groß-Görschen, nach denen
viele Beförderungen stattgefunden, hatte er jedoch auch
ihn zum Premierlieutenant avanciren lassen, wohl das
mindest erfreuliche Avancement seines langen Lebens,
da er es erhielt, ohne bei der Armee seinen Platz
einzunehmen.
Das Kriegsglück wendete sich bald den Waffen
Preußens und seiner Verbündeten zu, so bei Wahl-
statt an der Katzbach, bei Dennewitz, Nollendorf und
Wartenburg; die große Völkerschlacht bei Leipzig brach
endlich für immer Napoleons Macht. Am 2. Oktober
1813 ernannte der König seinen Sohn zum Kapitän
und übergab ihm dabei die ersten damals für die
Offiziere der Armee neu eingeführten Epauletten» am
1. Januar 1814 überschritt er mit dem Prinzen bei
Mannheim den Rhein. In schneller Folge sollte der junge
Kapitän mehr vom Kriege sehen. Am 1. Februar
fand die Schlacht bei Brienne statt, am 2. Februar
das Gefecht bei Rosnay, am 22. Februar stand man
dem Feinde bei Bar-sur-Aube gegenüber, wo Prinz
Wilhelm, den sein Vater in die Gefechtslinie gesendet,
die Feuertaufe empfing. Am darauffolgenden 10. März,
dem Geburtstag der Königin Luise, verlieh der König
seinem Sohne das kleine eiserne Kreuz, das dieser auch
als Kaiser noch stets als bedeutungsvolles Heiligtum
getragen und durch kein anderes ersetzte.
Am 31. März 1814 zog Prinz Wilhelm mit
seinem Bruder, dem Kronprinzen, unmittelbar hinter
den verbündeten Monarchen, in Paris ein, avancirte
dort zum Major und besuchte dann mit seinem Vater
England und die Schweiz.

Es folgen nun die langen Jahre des Friedens
unter König Fredrich Wilhelm III. und unter der
ersten Hälfte der Regierung Friedrich Wilhelms IV.
Diese Zeit war sür den Prinzen mit ernsten Studien
und Arbeiten über und für die Armee, diesen Gegen-
stand seines freudig erwählten Lebensberufes, aus-
gefüllt. Am 30. März 1817 avancirte er zum
Obersten, am 22. März 1825 zum kommandirenden
General des 3. Armeecorps. Im Jahre 1829 schloß
Prinz Wilhelm den Ehebund mit Marie Luise Augusta,
Tochter des Großherzogs Karl Friedrich von Sachsen,
zu bleibendem Segen für das ganze preußische und
deutsche Volk; am 18. Oktober 1831 wurde ihm sein
erstes Kind, der Kronprinz — unser Fritz — geboren.
Am 7. Juni 1840 fiel der harte Schlag, der dem
Prinzen Wilhelm den geliebten Vater raubte; als
König Friedrich Wilhelm IV. bestieg sein Bruder den
Thron. Und nun begann eine eigentümlich bewegte
Zeit, welche diejenigen, die nicht in ihr gelebt, heute
kaum noch verstehen. Die Auffassung des Königs
und der öffentlichen Meinung in der deutschen Frage
gingen auseinander, und aus diesen Gegensätzen ent-
standen Mißverhältnisse und Entfremdungen in immer
wachsendem Maße. So kam das Jahr 1848 heran,
das mit seinen immer schärfer ausgeprägten Gegen-
sätzen, denen die französische Revolution ihren Hauch
herübersandte, zu der Revolte in Berlin führte.
Bittere Prüfungen brachte jene Zeit auch dem Prin-
zen von Preußen; von seinem Bruder bestimmt, reiste er
nach England und kehrte zurück, als sich die wildeste
Woge des Aufstands gelegt, „der konstitutionellen Mon-
archie seine Kräfte zu weihen", meist aber in stiller
Zurückgezogenheit in Babelsberg seine Tage verbringend.
Am 24. Oktober 1857 übernahm der Prinz von
Preußen die Stellvertretung seines schwer erkrankten
Bruders, der ihm am 5. Oktober 1858 die Regent-
schaft übertrug. Am 2. Januar 1861 starb König
Friedrich Wilhelm IV. und der Prinzregent bestieg als
Wilhelm I. den preußischen Königsthron. Bald sollte
des Königs Regentenbefähigung eine erste Probe be-
stehen, denn immer verwickelter waren die politischen
Verhältnisse in Deutschland geworden. Die dänische
Rechtsverweigerung gegen die Herzogtümer Schleswig
und Holstein hatte Deutschlands Intervention heraus-
gefordert und das Bedürfnis kräftigen Eingreifens
empfinden lassen. Es kam zur blutigen Entscheidung,
die nach dem glänzenden Sturm auf die Düppeler
Schanzen am 28. März 1864 durch den Frieden zu
Wien ihr Ende fand. In Deutschland herrschte jedoch
tiefe Mißstimmung über den zu Gastein 1865 ge-
schlossenen Vertrag zwischen Preußen und Oesterreich,
die sich die gemeinschaftliche Souveränität über beide
Herzogtümer Vorbehalten.
Bald traten Zerwürfnisse zwischen den beiden Groß-
mächten ein, die zu dem beklagenswerten Bruderkriege
führten, der in vier Wochen beendet war und Preußen
auf seinem Weg zur nationalen Einigung Deutschlands
über das vorher Erstrebte hinaus weiter führte — die
unerbittlich geschichtlich fortschreitende Notwendigkeit!
Während der folgenden Jahre schwebte unausgesetzt
die Wetterwolke des Krieges mit Frankreich über
Deutschland, und wenn auch König Wilhelm sich alle
Mühe gab, den Frieden zu erhalten, so fuhr er doch
unablässig fort, die Wehrkraft des norddeutschen Bundes
immer mehr zu stärken und zu entwickeln. So flössen
die Jahre 1867—70 dahin.
Mit letzterem Jahre begann nun der großartigste,
bedeutungsvollste Abschnitt im Leben des Kaisers, so
ruhig und friedlich es auch angefangen. Es ist in
aller Welt Gedächtnis, wie das Anerbieten der spani-
schen Königskrone an den Erbprinzen von Hohen-
zollern der französischen Regierung die lang gesuchte
Gelegenheit bot, den Krieg mit Preußen zu beginnen.
Am 19. Juli erfolgte die llebergabe der französischen
Kriegserklärung, am 2. August erließ der König den
Tagesbefehl, daß er nun selbst das Oberkommando
übernehme, und von diesem Tage an stand zum ersten-
mal seit langen Jahren die ganze deutsche Waffen-
macht einig unter ihrem königlichen Feldherrn im Felde.
Der erste Teil der Campagne entwickelte sich
schneller, als der König selbst es geglaubt, und unter
zerschmetternden Schlägen brach die Heeresmacht des
kaiserlichen Frankreichs zusammen. Auf Wörth folgten
Courcelles, Vionville, Gravelotte und St. Privat, Sieg
nm Sieg; dann die Belagerung von Straßburg, die
Einschließung von Metz, endlich Sedan mit dem Schluß-
akt in dem Schlosse Bellevue bet Donchery, wo der
Sieger dem Besiegten gegenüberstand.

Ausgelöscht war der finstere Tag von Tilsit ans
der preußischen Geschichte, die Leiden der Königin
Luise waren gerächt, zu Feldmarschällen ernannt der
Sohn und der Neffe, die beiden siegreichen Prinzen
des Hauses!
„Welch eine Wendung durch Gottes Fügung!", so
schloß der König die Depesche an seine Gemahlin über
den beispiellos großartigen Sieg von Sedan.
Der Sturz des Kaisertums folgte, die Proklamation
der französischen Republik, die Belagerung von Paris.
In Deutschland aber hatte sich inzwischen die nach
Einigkeit ringende Bewegung zu fester Form gestaltet.
Der König von Bayern nahm die Vollendung des
Einigungswerkes in die Hand; auf seine Anregung
trugen die deutschen Fürsten und freien Städte dem
Könige die deutsche Kaiserkrone an.
Der lang gehegte Traum des deutschen Volkes war
zur Wahrheit geworden. Am 18. Januar 1871, am
Jahrestag der Krönung des ersten Königs von Preußen,
fand die feierliche Proklamirung des neuen Kaisers
im Spiegelsaale des Schlosses Ludwigs XIV. zu Ver-
sailles statt. So hatte nuu der König die höchste
Höhe seines Lebensweges erstiegen unter jubelnder
Zustimmung der Nation.
Unmittelbar nach der Kaiserproklamation begannen
die Kämpfe vor Paris wieder. Die weitere Entwick-
lung derselben und die mannigfachen politischen Ver-
handlungen führten endlich zu dem Friedensschluß zu
Frankfurt, durch welchen die alten Reichslande Elsaß
und Lothringen wieder mit Deutschland verbunden
wurden. Am 14. März 1871 betrat Kaiser Wilhelm
auf der Rückkehr wieder preußischen Boden bei Saar-
brücken, am 17. sah er seine erhabene Gemahlin in Pots-
dam wieder und zog noch am selben Tage, von dem
Jubel seines dankbaren Volkes begrüßt, in Berlin ein.
Es folgte nun eine Reihe von Jahren friedlich
ruhiger Arbeit, das Errungene auszubnuen und zu
sichern, getrübt nur durch manch schmerzlichen Verlust
aus den Reihen der dem Kaiser nahegestandenen Mit-
streiter und Mitarbeiter.
Am 1. Januar 1877 feierte der König das seltene
und nach einem solchen dienstlichen Leben doppelt be-
deutungsvolle Fest seines siebenzigjährigen Dienst-
jubiläums. Am 12. Mai 1879 begrüßte er sein
erstes Urenkelkind, die Prinzessin Feodora von Sachsen-
Meiningen; am 11. Juni 1879 war ihm vergönnt,
seine goldene Hochzeit zu feiern. Fünfzig Jahre lang
hatte ihm seine erhabene Gemahlin in guten und bösen
Tagen zur Seite gestanden, hatte die edelste Aufgabe
der Frau erfüllt, Thränen zu trocknen und Wunden
zu heilen, und hatte ihm des Landes Stolz und Hoff-
nung, den Kronprinzen, wie die geliebte Tochter, die
verehrte Herrscherin des badischen Landes, geschenkt.
Der Lauf der Jahre nach dem französischen Kriege
hatte den Kaiser auch in dem unmittelbaren Kreise
seiner Familie vielfach schmerzlich berührt. Schon
während der Belagerung von Paris, am 6. Dezember
1870, ward seine jüngste Schwester, die Prinzessin
Luise, Gemahlin des Prinzen Friedrich der Nieder-
lande, aus dem irdischen Leben abgerufen, am 14. Ok-
tober 1871 folgte ihr des Kaisers jüngster Bruder,
Prinz Albrecht. Von den königlichen Kindern, auf
welchen einst segnend der Blick der Königin Luise ge-
ruht hatte, waren nun, außer dem Kaiser selbst, nur
noch der Prinz Karl und die Großherzogin-Mutter
von Mecklenburg-Schwerin am Leben geblieben. Am
21. Januar 1883 erlag auch der Bruder an den
Folgen eines Beinbruchs.
Die Jahre verflossen in unermüdlicher, dem inneren
Ausbau des Reichs gewidmeter Arbeit, in edler Be-
mühung für die Erhaltung des Friedens in Europa,
in steter Sorge sür die Fortbildung und Entwicklung
der Armee, zur Seite seine treuen Paladine Fürst
Bismarck und Feldmarschall Graf v. Moltke.
Der 22. März 1887, der neunzigste Geburtstag des
Kaisers, ist noch in unser aller Gedächtnis; so hat noch
nie ein Volk einem Helden zugejauchzt, so begeisterungs-
voll, so voll wahrer, inniger Teilnahme. Der Kaiser
aber neigte demutsvoll in all dem Jubel und der
Verehrung einer Welt sein Haupt vor dem, der ihm
der Jahre hohe Zahl geschenkt.
Kaiser Wilhelm hat seine Pflicht erfüllt in un-
ermüdlicher Strenge gegen sich selbst — er hat die
Treue gehalten Gott und den Menschen — darum ist
sein Glaube herrlich gekrönt worden über Ahnen,
Wünschen und Hoffen — darum ist aus dem Kinde
ein solcher Mensch — aus dem Menschen ein solcher
Held erwachsen.
 
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