Lllustrirte Welt.
135
Die Mulsielmfeier M 8tlioemlors.
(Bild S. I30.Z
Ansicht von Tchorndorf.
Binnen wenig Wochen hat das schwäbische Volk zwei natio-
nale Gedenktage gefeiert, welche sür die Entwicklung des würt-
temdergischcn Staates von großer Bedeutung gewesen sind.
Während die Feier der Schlacht bei Döffingen dem Andenken
eines Fürsten galt, der sein kleines Vaterland vor dem Unter-
gang durch innere Feinde und Zwistigkeiten errettete, verherr-
lichte die am 6. September in Schorndorf, königlicher Oberamts-
stadt im württembergischen Jagstkreife an der Rems, stattgefundenc
Künckelinfeier eine einfache Bürgersfrau, die Bürgermeisterin der
Stadt, Anna Barbara Walch-Kllnckelin, deren mutvolle That
den Anstoß zur Vertreibung der Franzosen aus ihrem Vater-
land gab.
Ohne Ahnung des drohenden Verderbens, das über sie binnen
kurzem hcreinbrcchcn sollte, lagen die reichgcsegneten Fluren am
Rhein und Neckar in tiefem Frieden da, als der schreckliche
Franzoseneinsall vom Jähr 1688 namenlosen Jammer und
furchtbare Verwüstung verursachte, deren Spuren noch jetzt hier
und da sichtbar sind. Soldaten waren nicht im Lande, die be-
fanden sich weit entsernt in Ungarn mit dem Kriege gegen die
Türken beschäftigt. So waren die herrlichen Gaue schütz- und
wehrlos den rohen, plündernden Horden preisgegebcn, deren
Zerstörungswut noch durch ihren Anführer, den berüchtigten
Mclac, immer niehr entflammt wurde. Binnen kurzem kamen
fast alle größeren Städte, die sich meistens ohne jeden Wider-
stand ergeben hatten, in die Hände der Feinde. In Württem-
berg selbst, dessen Herzog, der zwölfjährige Eberhard Ludwig,
mit seinem Vormunde Friedrich Karl nach Regensburg geflüchtet
war, während die edle Herzogin-Mutter, Magdalene Sibylle, in
frommer Ergebung und Standhaftigkeit mitten unter ihren be-
drängten Unterthemen blieb, wehten nur noch auf drei Festungen
die Landesfarben: auf dem fernen, unüberwindlichen Hohentwiel,
auf den stolzen Zinnen Les Neuffen und auf den starken Wällen
des wichtigen Schorndorf. Es galt zunächst, den letztgenannten
wohlverwahrten Platz zu gewinnen, der durch feine Lage von
hervorragenLer Bedeutung war: er schützte Württemberg gegen
Osten und sperrte die große Straße von Nördlingen nach Nürn-
berg. Am 7. Dezember 1688 erschien daher Melac mit nur
40 Reitern vor den Thoren der Stadt, uni dieselbe zur Ucber-
gabe aufzufordern. Er glaubte, der Schrecken seines Namens
und die Furcht vor dem noch von keinem Gegner besiegten Heere
werde genügen, die Bürger zum Oeffnen der Thore zu veran-
lassen. Aber er hatte sich getäuscht; die Verteidigung der Festung
lag in den Händen eines Wackern und erprobten Kriegsmanncs,
der sich lieber unter ihren Trümmern begraben lassen als ohne
Schwertstreich verräterisch den ihm anvertrauten Posten verlassen
wollte. Ter Stadtkommandant Johann Günther Krumhaar
hatte seine Tapferkeit fchon im fernen Osten, im Kriege gegen
die Türkei, bewährt. Mit stolzer Verachtung wies er die ihm
von Melac für die Uebergabe angebotenen 2000 Dublonen
zurück. Das war der erste Widerstand, den der so gefürchtete
General in Württemberg fand. Melac wandte sich jetzt wut-
entbrannt und aus Furcht, dieses eine Beispiel möchte den lang-
verhaltenen Zorn Les so schmählich geknechteten Volkes wach-
rufen, an die ihm stets gefügige Regierung mit der Weisung,
sie solle die Uebergabc befehlen. Man beeilte sich natürlich auch
diesmal, dem Wunsche Les Gewaltthätigen nachzukommcn, und
schickte den Kriegsrat Heller und den Hofjunkcr von Hoff nach
Schorndorf ab. Krumhaar gab jedoch nicht nach, selbst als er
erfuhr, daß Mclac gedroht hatte, Stuttgart plündern und nieder-
brennen zu lassen. Da wandten sich die beiden Kommissäre an
die Väter der Stadt. Hier fanden sic geneigtere Ohren, und
die Kapitulation wäre auch wirklich erfolgt, wenn nicht ein ganz
unerwartetes Ereignis eingetrcten wäre. Tie Frau des Bürger-
meisters Walch, Anna Barbara, geborene Agricola aus Leutkirch,
hatte mit Schrecken den Entschluß des Rates vernommen. Sic
kannte aus eigener Erfahrung und aus den Berichten der in die
Stadt geflüchteten Bauern die furchtbaren Greuel, welche die
Franzosen in den von ihnen besetzten Städten verübt hatten,
und das gleiche -Schicksal sollte jetzt ihr geliebtes Schorndorf
treffen? Schnell entschlossen verband sie sich mit der Frau des
Wirtes und Gerichtsältesten Kazenstein und ließ durch den
schlauen Weingärtner Kurz, der von Haus zu Haus eilte, die
Frauen zu sich entbieten. Von dort aus zogen sie, in Compagnien
geordnet — immer die bösesten Weiber wurden zu Offizieren
gewählt und erhielten Tegen und kurze Gewehre zur Ausrüstung
— und mit allen möglichen Haus- und Küchengerätschasten, mit
Ofen- und Heugabeln, mit Bratspießen, Besenstielen, Stuhlbeinen,
Sicheln und anderem mehr bewaffnet, nach dem Marktplatz, auf
welchem die ernst blickende Bildsäule des Herzogs Ulrich ver-
wundert auf Las sonderbare Treiben zu ihren Füßen herabschaute.
Tas Rathaus wurde umzingelt und die Bürgermeisterin schlich,
nur von einigen wenigen begleitet, sich bis vor das Sitzungs-
zimmer, um zu horchen, — wie die Sage berichtet, durch den
großen Kachelofen — ob ihre Männer wirklich zu einer feigen
und schmachvollen Uebergabe bereit seien. Als sie sich von der
Richtigkeit dieses traurigen Planes überzeugt hatte, drang sie in
das Beratungszimmer mit den anderen Frauen ein, drohte ihrem
Manne, sie würde ihn, wenn er nicht gegen die Uebergabc
stimmen würde, sofort mit eigener Hand als Verräter nieder-
schlagen, und kündigte den übrigen Ratsherren das gleiche Schicksal
an. Die braven Väter der Stadt waren vor Erstaunen und
Schrecken ganz sprachlos. Ohne jede Widerrede fügten sic sich
schleunigst dem Befehle ihrer Frauen und wurden dann entlassen.
Die beiden Kommissäre jedoch behielten die Frauen in strengem
Gewahrsam und überhäuften sie mit Spott und Hohn, bis es
endlich dem Kommandanten gelang, den Kriegsrat Heller heim-
lich aus der Festung zu entlassen, während der Hofjunker von
Hoff auf den Wällen mitarbeiten mußte. Eifrig beteiligten sich
die Frauen dann noch an der Bewachung der Mauern. Der
mit seinem Heere heranzichcnde Melac wagte jedoch keinen An-
griff, da der aus Bayern erwartete Entsatz nahe herangekommen
war. So blieb Schorndorf von den Schrecknissen einer franzö-
sischen Besatzung durch die Unerschrockenheit einer Frau bewahrt.
Die heldenmütige Bürgermeisterin hat noch lange die ungeteilte
warme Verehrung ihrer Landsleute genossen, denn erst als neunzig-
jährige Greisin legte sie am 20. November 1741 ihr müdes
Haupt zur wohlverdienten Ruhe, nachdem sie auch ihren zweiten
Mann, den Bürgermeister Künckclin, und ihr einziges Kind be-
stattet und die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens erblindet zu-
gebracht hatte.
Die zweihundertjährige Gedenkfeier ihrer einzig in der Geschichte
dastehenden That hatte am 6. September eine ungeheure Menge
Schaulustiger nach Schorndorf geführt. Der Festmorgen wurde
früh um 6 Uhr durch eine Tagwache eingcleitet, worauf um
9 Uhr in der geschmackvoll restaurirten Kirche der Festgottesdicnst
stattfand. Dann folgte mittags Iflz Uhr der historische Festzug
durch die Straßen der Stadt, der natürlich den Glanzpunkt der
Feier bildete. Er zerfiel in zwei Abteilungen, von Lenen die
erste die hauptsächlichsten Kriegszeiten, in welchen Schorndorf als
Festung eine Rolle spielte (1490, 1527, 1634, 1688), vorführte,
während die zweite ein Bild der Entwicklung der friedlichen
Thätigkeit in Handwerk und Landwirtschaft bot. In der ersten
Abteilung waren fast alle von den in der obigen Erzählung er-
wähnten Personen zu erblicken in prächtigen, historisch treuen
Kostümen. Ganz besonderes Interesse erregte natürlich der
Wagen der Bürgermeisterin, umgeben von einer auserlesenen
Schar der Schorndorser Weiber, alle bewaffnet mit Morgenstern,
Säbel, Lanzen und Schießgewehren, ja sogar mit einem alter-
tümlichen Hausgeräte, der zwcizinkigen Ofengabel. Die be-
waffneten Weiber hatten den Parlamentär, den Herzog von Berwick,
samt seinem Trompeter in die Mitte genommen, an dessen
Trompete das Flaggentuch mit den goldenen Lilien im Weißen
Felde befestigt war. Daran schloß sich, gleichfalls sehr vorteil-
haft arrangirt, die Gruppe des französischen Heerführers Melac
mit vier Mordbrennern, die brennende Fackeln in den Händen
und auf den Rücken Säcke trugen, ungefüllt mit mancherlei
Raub. Der General selbst war vortrefflich wiedergegeben i eine
etwas hagere Gestalt mit scharfen Zügen und schwarzer Allonge-
Perücke, auf der ein kleines dreieckiges Hütchen thronte. Nach-
dem der Zug den Festplatz erreicht und sich dort aufgelöst hatte,
betrat Professor Or. Th. Schott aus Stuttgart die Rednertribüne
in der geräumigen Fcsthallc und hielt die vortreffliche, mit
rauschendem Beifall ausgenommene Festrede, der wir in Kürze
die obigen geschichtlichen Thatfachen entnommen haben. Bis um
6 Uhr wogte die lebhaft erregte und freudig gestimmte Masst
auf dem Festplatze hin und her, bis das Zeichen zum Beginn
des Festspiels: „Die Weiber von Schorndorf", historisches Lust-
spiel in vier Aufzügen von Adolf Wechsler, gegeben wurde. Mit
dieser von Dilettanten ausgezeichnet wiedergegebenen Darstellung
schloß zur allgemeinen Zufriedenheit die zweihundertjährige Gedenk-
feier dieses sür Württemberg so wichtigen historischen Ereignisses.
1>r. A. S.
Lekm um Aben.
(Bild S. WS.)
Ucber die breite, hochgespannte Brücke drängt und hastet das
Gewühl der Hauptstadt. Wenige der Vorübergehenden finden
Zeit einen Blick nur hinunter zu werfen nach den dunklen, träg
sich vorwärts schiebenden Wassern oder hinaus über das Dächer-
und Giebclmeer der Kapitale. Tie Leute haben alle so viel zu
thun, kalt und teilnahmslos eilen sie aneinander vorüber — Zeit
ist Geld!
Was schaut denn da zwischen den niederen Steinsäulen des
Brückengeländers hindurch ? Ein kleiner, struppiger Kinderkops
ist's, mit großen dunklen Augen, die verwundert hinabgucken
in die Tiefe. Ganz vorn am Brückenrandc liegt ein weißes
Papier, das der Zufall hingcweht; wenn es sich durch die Lücke
zwängt und das Papier vorwärtsschiebt, so wird es schwimmen
unten, ganz wie die großen Schiffe. Und Las geschmeidige Leib-
chen drängt sich, unbeachtet, durch, die kleinen Fingerchen schieben
das weiße Ting über den Rand hinaus. Wie es flattert —
fällt — sich wieder hebt, vom Winde getragen — jetzt senkt cs
sich auf das Wasser — La liegt es auf — jetzt schwimmt es —
jetzt kommt es zur Brücke — jetzt unter dieselbe — jetzt —
Ein Schrei! Tas Kind stürzt in die Tiefe.
Alles rennt zu der Brüstung — man sieht Las Kind fallen
— das Wasser aufjpritzen und sich wieder schließen. Ein Braver
ist unter den Passanten; ein goldenes Herz im Leincnkittel. Rasch
entschlossen steigt er über den Brückenrand, wirst die hemmende
Arbcitsjackc ab und —
„Um Gottes willen, Vater, was thust Tu?"
„Menschenpflicht. Laß mich!"
Zu diesem Moment führt uns das lebenswahre Bild, das
die Stirnseite des heutigen Heftes ziert: mögen unsere freund-
lichen Leser den Vorgang sich nach eigener Empfindung abschlicßen,
vielleicht mit Bürgers schönem: „Hoch klingt das Lied vom
braven Mann!" —r.
S i n n sp r ü ch e.
Armut ist die einzige Last, die schwerer wird, je mehr Ge-
liebte daran tragen.
*
Ein gut Wort richtet mehr aus als ein Fähnlein Lands-
knechte.
Abend im Walde.
(Bild S. ZZ7.)
Mm Wald ist Abend worden,
fA Und still nm Busch und See;
W Nur leise zu seinen Borden
Wagt durstend sich das Red.
Es flammt durch das Geäste
Mit letztem Purpurschcin,
Verschlafen blinzeln im Neste
Die kleinen Vögelein.
Das Schilfrohr nickt im Riede,
Die Wipfel rauschen sacht —
G seliger Abendfriede
In grüner waldesxracht!
w.
B > i tz - W i > I.
Aus dem amerikanischen Verkehröleben
von
W. Weinhold.
(Alle Rechte Vorbehalten.)
crr Owscat!"
„Beliebt, Herr?"
„Der Herr Stationsagent läßt Sie bitten;
cs ist jemand am Telephon, der Sie zu
sprechen wünscht."
„Kalkulire, cS ist Herr Baritt, unser Lokalagent. Hat
immer dergleichen Anliegen im letzten Augenblick."
„Ich weiß es nicht, Herr. Aber es hat Eile, hat
der Herr Stationsagent gesagt. Man wird aus Sie
warten."
Der Beamte verließ eilig den hell erleuchteten Spezial-
wagen, welcher sür Rechnung der Shmithschen Expreß-
compagnie*) in den Ueberlandzug nach St. Paul ein-
gestellt war, und schloß dann die Thür sorgfältig hinter
sich zu, nicht ohne sich vorher von dem festen Verschluß
derselben versichert zu haben. Denn er hatte unter anderen
der Compagnie zur Beförderung nach dem Nordwesten
anvertrauten Wertgegenständen allein hundert Barren
Silber von je tausend Dollars im Wagen, welche für
Minnesota bestimmt waren. Diese lagen wohlverwahrt
in einem schweren, am Wagenboden angeschraubten eisernen
Geldschrank mit Patcntverschluß, und Owscat trug den
Schlüssel hiezu in einem kleinen Täschchen bei sich, welches
an einem um den Leib geschlungenen Lederriemcn an-
gebracht war.
Drüben aus der Stationsoffice wartete man seiner be-
reits mit Ungeduld, denn die zulässige Wartezeit von fünf
Minuten war beinahe verflossen.
Owscat legte die beiden Hörrohre an und gab das
Zeichen, daß er bereit sei.
Es war die bekannte Stimme Mr. Baritts, des Lokal-
agenten der Expreßgesellschaft, dessen Geschäftszimmer für
unvorhergesehene Fälle mit der StationSoffice telephonisch
verbunden war.
„Sie wissen," begann Baritt, „wir haben die Silber-
barren im Wagen. Schicke Ihnen daher heute einen
Begleiter, Herrn Billot, Wird mit Schreiben von mir
vorsprechen. Soll den Dienst lernen und ordentlich auf-
passen — ist übrigens Klient des Herum Shmith selbst —
behandeln Sie ihn gut."
Owscat brummte etwas von Mißtrauen und Bevor-
mundung in den Bart, drehte den Kautabak von der
rechten in die linke Backe und spuckte die braune Brühe
in weitem Bogen über den Kops deö arbeitenden Tele-
graphisten hinweg in die andere Ecke des Zimmers; dann
gab er das übliche Verstandenzeichen und trollte übel ge-
launt nach dem Wagen zurück. Unterwegs unterließ er
jedoch nicht, durch ein gut gemessenes Glas „BokerS-
BitterS" seinen Aerger an der Bar hinunterzuspülen.
Owscat trank nie reinen Whisky.
Die Vorsichtsmaßregel des Lokalagentcn schien nicht
ganz unbegründet. In den letzten Monaten waren wieder-
holt räuberische Angriffe gemacht worden auf die in den
Nachtzügen laufenden Wagen der Gesellschaft, in denen
man Wertgegenstände aller Art geborgen wußte. Bald
waren eS einzelne Strolche, bald ganze Banden soge-
nannter „Uouä ugsnts'-, die offen oder versteckt, mit Ge-
walt oder mit List ihre verbrecherischen Pläne inö Werk
setzten, und nach vollbrachter That ebenso schnell, wie sic
gekommen, auf bereit gehaltenen, ebenfalls geraubten
Pferden im Innern des Landes auf Nimmerwiedersehen
verschwanden. Owscat leuchtete das auch nach und nach
ein, und eine versöhnlichere Stimmung hatte dem Aerger
Platz gemacht. An der Treppe wartete seiner bereits ein
junger Mann, der einen leichten Handkoffer auf die Stufen
niedergeseht hatte und sich bei Ankunft des Beamten
freundlich grüßend als Mr. Billot vorstellte.
Die Expreßcompagnicn vermülelii in Nordamerika die Pakcl-
und Gepückverstndung meistens in eigenen Wagen.
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Die Mulsielmfeier M 8tlioemlors.
(Bild S. I30.Z
Ansicht von Tchorndorf.
Binnen wenig Wochen hat das schwäbische Volk zwei natio-
nale Gedenktage gefeiert, welche sür die Entwicklung des würt-
temdergischcn Staates von großer Bedeutung gewesen sind.
Während die Feier der Schlacht bei Döffingen dem Andenken
eines Fürsten galt, der sein kleines Vaterland vor dem Unter-
gang durch innere Feinde und Zwistigkeiten errettete, verherr-
lichte die am 6. September in Schorndorf, königlicher Oberamts-
stadt im württembergischen Jagstkreife an der Rems, stattgefundenc
Künckelinfeier eine einfache Bürgersfrau, die Bürgermeisterin der
Stadt, Anna Barbara Walch-Kllnckelin, deren mutvolle That
den Anstoß zur Vertreibung der Franzosen aus ihrem Vater-
land gab.
Ohne Ahnung des drohenden Verderbens, das über sie binnen
kurzem hcreinbrcchcn sollte, lagen die reichgcsegneten Fluren am
Rhein und Neckar in tiefem Frieden da, als der schreckliche
Franzoseneinsall vom Jähr 1688 namenlosen Jammer und
furchtbare Verwüstung verursachte, deren Spuren noch jetzt hier
und da sichtbar sind. Soldaten waren nicht im Lande, die be-
fanden sich weit entsernt in Ungarn mit dem Kriege gegen die
Türken beschäftigt. So waren die herrlichen Gaue schütz- und
wehrlos den rohen, plündernden Horden preisgegebcn, deren
Zerstörungswut noch durch ihren Anführer, den berüchtigten
Mclac, immer niehr entflammt wurde. Binnen kurzem kamen
fast alle größeren Städte, die sich meistens ohne jeden Wider-
stand ergeben hatten, in die Hände der Feinde. In Württem-
berg selbst, dessen Herzog, der zwölfjährige Eberhard Ludwig,
mit seinem Vormunde Friedrich Karl nach Regensburg geflüchtet
war, während die edle Herzogin-Mutter, Magdalene Sibylle, in
frommer Ergebung und Standhaftigkeit mitten unter ihren be-
drängten Unterthemen blieb, wehten nur noch auf drei Festungen
die Landesfarben: auf dem fernen, unüberwindlichen Hohentwiel,
auf den stolzen Zinnen Les Neuffen und auf den starken Wällen
des wichtigen Schorndorf. Es galt zunächst, den letztgenannten
wohlverwahrten Platz zu gewinnen, der durch feine Lage von
hervorragenLer Bedeutung war: er schützte Württemberg gegen
Osten und sperrte die große Straße von Nördlingen nach Nürn-
berg. Am 7. Dezember 1688 erschien daher Melac mit nur
40 Reitern vor den Thoren der Stadt, uni dieselbe zur Ucber-
gabe aufzufordern. Er glaubte, der Schrecken seines Namens
und die Furcht vor dem noch von keinem Gegner besiegten Heere
werde genügen, die Bürger zum Oeffnen der Thore zu veran-
lassen. Aber er hatte sich getäuscht; die Verteidigung der Festung
lag in den Händen eines Wackern und erprobten Kriegsmanncs,
der sich lieber unter ihren Trümmern begraben lassen als ohne
Schwertstreich verräterisch den ihm anvertrauten Posten verlassen
wollte. Ter Stadtkommandant Johann Günther Krumhaar
hatte seine Tapferkeit fchon im fernen Osten, im Kriege gegen
die Türkei, bewährt. Mit stolzer Verachtung wies er die ihm
von Melac für die Uebergabe angebotenen 2000 Dublonen
zurück. Das war der erste Widerstand, den der so gefürchtete
General in Württemberg fand. Melac wandte sich jetzt wut-
entbrannt und aus Furcht, dieses eine Beispiel möchte den lang-
verhaltenen Zorn Les so schmählich geknechteten Volkes wach-
rufen, an die ihm stets gefügige Regierung mit der Weisung,
sie solle die Uebergabc befehlen. Man beeilte sich natürlich auch
diesmal, dem Wunsche Les Gewaltthätigen nachzukommcn, und
schickte den Kriegsrat Heller und den Hofjunkcr von Hoff nach
Schorndorf ab. Krumhaar gab jedoch nicht nach, selbst als er
erfuhr, daß Mclac gedroht hatte, Stuttgart plündern und nieder-
brennen zu lassen. Da wandten sich die beiden Kommissäre an
die Väter der Stadt. Hier fanden sic geneigtere Ohren, und
die Kapitulation wäre auch wirklich erfolgt, wenn nicht ein ganz
unerwartetes Ereignis eingetrcten wäre. Tie Frau des Bürger-
meisters Walch, Anna Barbara, geborene Agricola aus Leutkirch,
hatte mit Schrecken den Entschluß des Rates vernommen. Sic
kannte aus eigener Erfahrung und aus den Berichten der in die
Stadt geflüchteten Bauern die furchtbaren Greuel, welche die
Franzosen in den von ihnen besetzten Städten verübt hatten,
und das gleiche -Schicksal sollte jetzt ihr geliebtes Schorndorf
treffen? Schnell entschlossen verband sie sich mit der Frau des
Wirtes und Gerichtsältesten Kazenstein und ließ durch den
schlauen Weingärtner Kurz, der von Haus zu Haus eilte, die
Frauen zu sich entbieten. Von dort aus zogen sie, in Compagnien
geordnet — immer die bösesten Weiber wurden zu Offizieren
gewählt und erhielten Tegen und kurze Gewehre zur Ausrüstung
— und mit allen möglichen Haus- und Küchengerätschasten, mit
Ofen- und Heugabeln, mit Bratspießen, Besenstielen, Stuhlbeinen,
Sicheln und anderem mehr bewaffnet, nach dem Marktplatz, auf
welchem die ernst blickende Bildsäule des Herzogs Ulrich ver-
wundert auf Las sonderbare Treiben zu ihren Füßen herabschaute.
Tas Rathaus wurde umzingelt und die Bürgermeisterin schlich,
nur von einigen wenigen begleitet, sich bis vor das Sitzungs-
zimmer, um zu horchen, — wie die Sage berichtet, durch den
großen Kachelofen — ob ihre Männer wirklich zu einer feigen
und schmachvollen Uebergabe bereit seien. Als sie sich von der
Richtigkeit dieses traurigen Planes überzeugt hatte, drang sie in
das Beratungszimmer mit den anderen Frauen ein, drohte ihrem
Manne, sie würde ihn, wenn er nicht gegen die Uebergabc
stimmen würde, sofort mit eigener Hand als Verräter nieder-
schlagen, und kündigte den übrigen Ratsherren das gleiche Schicksal
an. Die braven Väter der Stadt waren vor Erstaunen und
Schrecken ganz sprachlos. Ohne jede Widerrede fügten sic sich
schleunigst dem Befehle ihrer Frauen und wurden dann entlassen.
Die beiden Kommissäre jedoch behielten die Frauen in strengem
Gewahrsam und überhäuften sie mit Spott und Hohn, bis es
endlich dem Kommandanten gelang, den Kriegsrat Heller heim-
lich aus der Festung zu entlassen, während der Hofjunker von
Hoff auf den Wällen mitarbeiten mußte. Eifrig beteiligten sich
die Frauen dann noch an der Bewachung der Mauern. Der
mit seinem Heere heranzichcnde Melac wagte jedoch keinen An-
griff, da der aus Bayern erwartete Entsatz nahe herangekommen
war. So blieb Schorndorf von den Schrecknissen einer franzö-
sischen Besatzung durch die Unerschrockenheit einer Frau bewahrt.
Die heldenmütige Bürgermeisterin hat noch lange die ungeteilte
warme Verehrung ihrer Landsleute genossen, denn erst als neunzig-
jährige Greisin legte sie am 20. November 1741 ihr müdes
Haupt zur wohlverdienten Ruhe, nachdem sie auch ihren zweiten
Mann, den Bürgermeister Künckclin, und ihr einziges Kind be-
stattet und die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens erblindet zu-
gebracht hatte.
Die zweihundertjährige Gedenkfeier ihrer einzig in der Geschichte
dastehenden That hatte am 6. September eine ungeheure Menge
Schaulustiger nach Schorndorf geführt. Der Festmorgen wurde
früh um 6 Uhr durch eine Tagwache eingcleitet, worauf um
9 Uhr in der geschmackvoll restaurirten Kirche der Festgottesdicnst
stattfand. Dann folgte mittags Iflz Uhr der historische Festzug
durch die Straßen der Stadt, der natürlich den Glanzpunkt der
Feier bildete. Er zerfiel in zwei Abteilungen, von Lenen die
erste die hauptsächlichsten Kriegszeiten, in welchen Schorndorf als
Festung eine Rolle spielte (1490, 1527, 1634, 1688), vorführte,
während die zweite ein Bild der Entwicklung der friedlichen
Thätigkeit in Handwerk und Landwirtschaft bot. In der ersten
Abteilung waren fast alle von den in der obigen Erzählung er-
wähnten Personen zu erblicken in prächtigen, historisch treuen
Kostümen. Ganz besonderes Interesse erregte natürlich der
Wagen der Bürgermeisterin, umgeben von einer auserlesenen
Schar der Schorndorser Weiber, alle bewaffnet mit Morgenstern,
Säbel, Lanzen und Schießgewehren, ja sogar mit einem alter-
tümlichen Hausgeräte, der zwcizinkigen Ofengabel. Die be-
waffneten Weiber hatten den Parlamentär, den Herzog von Berwick,
samt seinem Trompeter in die Mitte genommen, an dessen
Trompete das Flaggentuch mit den goldenen Lilien im Weißen
Felde befestigt war. Daran schloß sich, gleichfalls sehr vorteil-
haft arrangirt, die Gruppe des französischen Heerführers Melac
mit vier Mordbrennern, die brennende Fackeln in den Händen
und auf den Rücken Säcke trugen, ungefüllt mit mancherlei
Raub. Der General selbst war vortrefflich wiedergegeben i eine
etwas hagere Gestalt mit scharfen Zügen und schwarzer Allonge-
Perücke, auf der ein kleines dreieckiges Hütchen thronte. Nach-
dem der Zug den Festplatz erreicht und sich dort aufgelöst hatte,
betrat Professor Or. Th. Schott aus Stuttgart die Rednertribüne
in der geräumigen Fcsthallc und hielt die vortreffliche, mit
rauschendem Beifall ausgenommene Festrede, der wir in Kürze
die obigen geschichtlichen Thatfachen entnommen haben. Bis um
6 Uhr wogte die lebhaft erregte und freudig gestimmte Masst
auf dem Festplatze hin und her, bis das Zeichen zum Beginn
des Festspiels: „Die Weiber von Schorndorf", historisches Lust-
spiel in vier Aufzügen von Adolf Wechsler, gegeben wurde. Mit
dieser von Dilettanten ausgezeichnet wiedergegebenen Darstellung
schloß zur allgemeinen Zufriedenheit die zweihundertjährige Gedenk-
feier dieses sür Württemberg so wichtigen historischen Ereignisses.
1>r. A. S.
Lekm um Aben.
(Bild S. WS.)
Ucber die breite, hochgespannte Brücke drängt und hastet das
Gewühl der Hauptstadt. Wenige der Vorübergehenden finden
Zeit einen Blick nur hinunter zu werfen nach den dunklen, träg
sich vorwärts schiebenden Wassern oder hinaus über das Dächer-
und Giebclmeer der Kapitale. Tie Leute haben alle so viel zu
thun, kalt und teilnahmslos eilen sie aneinander vorüber — Zeit
ist Geld!
Was schaut denn da zwischen den niederen Steinsäulen des
Brückengeländers hindurch ? Ein kleiner, struppiger Kinderkops
ist's, mit großen dunklen Augen, die verwundert hinabgucken
in die Tiefe. Ganz vorn am Brückenrandc liegt ein weißes
Papier, das der Zufall hingcweht; wenn es sich durch die Lücke
zwängt und das Papier vorwärtsschiebt, so wird es schwimmen
unten, ganz wie die großen Schiffe. Und Las geschmeidige Leib-
chen drängt sich, unbeachtet, durch, die kleinen Fingerchen schieben
das weiße Ting über den Rand hinaus. Wie es flattert —
fällt — sich wieder hebt, vom Winde getragen — jetzt senkt cs
sich auf das Wasser — La liegt es auf — jetzt schwimmt es —
jetzt kommt es zur Brücke — jetzt unter dieselbe — jetzt —
Ein Schrei! Tas Kind stürzt in die Tiefe.
Alles rennt zu der Brüstung — man sieht Las Kind fallen
— das Wasser aufjpritzen und sich wieder schließen. Ein Braver
ist unter den Passanten; ein goldenes Herz im Leincnkittel. Rasch
entschlossen steigt er über den Brückenrand, wirst die hemmende
Arbcitsjackc ab und —
„Um Gottes willen, Vater, was thust Tu?"
„Menschenpflicht. Laß mich!"
Zu diesem Moment führt uns das lebenswahre Bild, das
die Stirnseite des heutigen Heftes ziert: mögen unsere freund-
lichen Leser den Vorgang sich nach eigener Empfindung abschlicßen,
vielleicht mit Bürgers schönem: „Hoch klingt das Lied vom
braven Mann!" —r.
S i n n sp r ü ch e.
Armut ist die einzige Last, die schwerer wird, je mehr Ge-
liebte daran tragen.
*
Ein gut Wort richtet mehr aus als ein Fähnlein Lands-
knechte.
Abend im Walde.
(Bild S. ZZ7.)
Mm Wald ist Abend worden,
fA Und still nm Busch und See;
W Nur leise zu seinen Borden
Wagt durstend sich das Red.
Es flammt durch das Geäste
Mit letztem Purpurschcin,
Verschlafen blinzeln im Neste
Die kleinen Vögelein.
Das Schilfrohr nickt im Riede,
Die Wipfel rauschen sacht —
G seliger Abendfriede
In grüner waldesxracht!
w.
B > i tz - W i > I.
Aus dem amerikanischen Verkehröleben
von
W. Weinhold.
(Alle Rechte Vorbehalten.)
crr Owscat!"
„Beliebt, Herr?"
„Der Herr Stationsagent läßt Sie bitten;
cs ist jemand am Telephon, der Sie zu
sprechen wünscht."
„Kalkulire, cS ist Herr Baritt, unser Lokalagent. Hat
immer dergleichen Anliegen im letzten Augenblick."
„Ich weiß es nicht, Herr. Aber es hat Eile, hat
der Herr Stationsagent gesagt. Man wird aus Sie
warten."
Der Beamte verließ eilig den hell erleuchteten Spezial-
wagen, welcher sür Rechnung der Shmithschen Expreß-
compagnie*) in den Ueberlandzug nach St. Paul ein-
gestellt war, und schloß dann die Thür sorgfältig hinter
sich zu, nicht ohne sich vorher von dem festen Verschluß
derselben versichert zu haben. Denn er hatte unter anderen
der Compagnie zur Beförderung nach dem Nordwesten
anvertrauten Wertgegenständen allein hundert Barren
Silber von je tausend Dollars im Wagen, welche für
Minnesota bestimmt waren. Diese lagen wohlverwahrt
in einem schweren, am Wagenboden angeschraubten eisernen
Geldschrank mit Patcntverschluß, und Owscat trug den
Schlüssel hiezu in einem kleinen Täschchen bei sich, welches
an einem um den Leib geschlungenen Lederriemcn an-
gebracht war.
Drüben aus der Stationsoffice wartete man seiner be-
reits mit Ungeduld, denn die zulässige Wartezeit von fünf
Minuten war beinahe verflossen.
Owscat legte die beiden Hörrohre an und gab das
Zeichen, daß er bereit sei.
Es war die bekannte Stimme Mr. Baritts, des Lokal-
agenten der Expreßgesellschaft, dessen Geschäftszimmer für
unvorhergesehene Fälle mit der StationSoffice telephonisch
verbunden war.
„Sie wissen," begann Baritt, „wir haben die Silber-
barren im Wagen. Schicke Ihnen daher heute einen
Begleiter, Herrn Billot, Wird mit Schreiben von mir
vorsprechen. Soll den Dienst lernen und ordentlich auf-
passen — ist übrigens Klient des Herum Shmith selbst —
behandeln Sie ihn gut."
Owscat brummte etwas von Mißtrauen und Bevor-
mundung in den Bart, drehte den Kautabak von der
rechten in die linke Backe und spuckte die braune Brühe
in weitem Bogen über den Kops deö arbeitenden Tele-
graphisten hinweg in die andere Ecke des Zimmers; dann
gab er das übliche Verstandenzeichen und trollte übel ge-
launt nach dem Wagen zurück. Unterwegs unterließ er
jedoch nicht, durch ein gut gemessenes Glas „BokerS-
BitterS" seinen Aerger an der Bar hinunterzuspülen.
Owscat trank nie reinen Whisky.
Die Vorsichtsmaßregel des Lokalagentcn schien nicht
ganz unbegründet. In den letzten Monaten waren wieder-
holt räuberische Angriffe gemacht worden auf die in den
Nachtzügen laufenden Wagen der Gesellschaft, in denen
man Wertgegenstände aller Art geborgen wußte. Bald
waren eS einzelne Strolche, bald ganze Banden soge-
nannter „Uouä ugsnts'-, die offen oder versteckt, mit Ge-
walt oder mit List ihre verbrecherischen Pläne inö Werk
setzten, und nach vollbrachter That ebenso schnell, wie sic
gekommen, auf bereit gehaltenen, ebenfalls geraubten
Pferden im Innern des Landes auf Nimmerwiedersehen
verschwanden. Owscat leuchtete das auch nach und nach
ein, und eine versöhnlichere Stimmung hatte dem Aerger
Platz gemacht. An der Treppe wartete seiner bereits ein
junger Mann, der einen leichten Handkoffer auf die Stufen
niedergeseht hatte und sich bei Ankunft des Beamten
freundlich grüßend als Mr. Billot vorstellte.
Die Expreßcompagnicn vermülelii in Nordamerika die Pakcl-
und Gepückverstndung meistens in eigenen Wagen.