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diesen Phantasien beträchtlich. Jeden Morgen dcn-
sclben Weg, jeden Morgen das „Muß"! Wie schön
ks doch wäre, unabhängig und vollkommen frei zu
sein! Ganz dem göttlichen Triebe nachzugeben und
sich der erhabenen Dichtkunst zn widmen!
Anstatt dessen jeden Tag in der Tretmühle, die
doch jeder andre auch treten konnte! Jeden Tag das
mahnende Gesicht des Herrn Bellinghaus, dieses Pracht-
exemplars eines Philisters! Mehrmals sogar hatte er
ihn getadelt, sein Herr Ches, hatte es sich heraus-
genommen, ihn: Vorschriften zn machen, hatte ihn der
Nachlässigkeit, der Zerstreutheit geziehen. In diese
mechanischen Arbeiten, diese geschäftlichen Schreibereien,
diesen Verkehr mit anmaßenden oder blöden Kunden
konnte man doch nicht mehr hereinlegen, als derartige
Dinge es verdienten. Seine volle geistige Kraft dafür
einsetzen, — nein, dafür war sie ihm zu gut! Edle
Thätigkeit? Pah! Wer las denn noch gute Bücher! Es
kam ja doch nur aufs „Geschäftchen machen" hinaus!
Für die Menschheit wurde da herzlich wenig geschaffen.
Erträglich wurde Peter seine Stellung in der Buch-
handlung eigentlich nur durch einige Nebenumstände.
Er bekam ein leidliches Gehalt, konnte viel lesen und —
Um diese Zeit hatten sich nämlich Peters Liebes-
werbungen im wesentlichen aus zwei Geschöpfe zu-
sammengezogen.
Da war die Liebe aus Pflicht und die Liebe aus
Liebe. Erstere galt der Tochter seines Chefs, letztere
einer Bäckertochter. Die Tochter des Chefs waltete
hinten im Comptoir, die Bäckertochter vorn im Bäcker-
laden. Die Tochter des Chefs war neunundzwanzig
Jahre alt und gut erhalten. Wenn sie in den Laden
kam, sagte sie: „Guten Morgen, lieber Herr Flott!"
Und hatte sie gar eine Bitte an ihn, so flöteten die
blassen, schmalen Lippen: „Ach, bester Herr Flott,
möchten Sic wohl die Liebenswürdigkeit haben? . . ."
Dann folgte ein Augenaufschlag, dem gegenüber auch
andre weich geworden wären wie Peter. Und als
Quittung ließ er dann sein bezauberndstes Lächeln und
seine ritterlichste Verbeugung folgen. Fräulein Trud-
chen empfand das äußerst angenehm, sie sprach oft
ihrem Vater gegenüber von den vortrefflichen Eigen-
schaften des „jungen Mannes" und nützte letzterem
dadurch nicht unwesentlich. Doch der Hauptgrund,
weshalb Peter sich zu ihr hingczogen fühlte, war, daß
sie ein tiefes Gefühl für seine dichterischen Versuche
besaß — sehr im Gegensatz zu ihrem Vater, der un-
empfänglich schien für alles? was neuere Dichtung hieß.
Trotzdem er — oder vielleicht gerade weil er Buch-
händler war. Pflegte er die Behauptung aufzustellen,
es sei längst alles ausgedichtet worden, und die Men-
schen sollten sich doch um Gottes willen jede weitere
Mühe sparen, mit der sie nur das wirklich Gute aus
früherer Zeit verdunkelten. Wenn alle Kräfte, die
deutsche Jünglinge und Jungfrauen alljährlich in
Poesie anlegtcn, nutzbringend und praktisch verwertet
würden, dann wäre — so meinte Herr Bellinghaus —
die soziale Frage sofort gelöst.
Wie anders Trudchen! „Ich muß es Ihnen doch
schnell sagen, lieber Herr Flott, daß Ihr letztes Ge-
dicht in der Strophe des Nibelungenliedes mich ge-
waltig gepackt hat. Abgesehen von dem tief empfun-
denen Inhalt haben Sie den höchst verdienstlichen
Versuch gemacht, die alte Nibelungenform neu zn be-
leben, ich möchte sagen: mit modernem Geiste zu er-
füllen . . ."
Wie wohl das that! Und wie verdienstlich sich
Peter nach solchen Worten vorkam. Unwillkürlich fühlte
er den Sockel eines Denkmals unter sich.
Dieses war die Liebe aus Pflicht. Es kam dazu,
daß die Buchhandlung ausgezeichnet ging und Trud-
chen das einzige Kind war. Sollte Peter sich ernst-
lich um sie bewerben? Peter war sehr unentschlossen.
Und immerhin nicht ohne Grund. Denn da war nun
die andre, die Liebe aus Liebe!
Die Bäckertochter war achtzehn Jahre alt, hatte
reizende blonde Löckchen, lebhaft blickende blaue Augen,
eine allerliebste Figur und konnte gar lustig plaudern.
Auch waren die Eltern nicht unvermögend. Allerdings
hatte sie noch vier Geschwister, das war ein nicht zu
unterschätzender Uebelstand.
Nicht daß Peter selbst so sehr erpicht gewesen wäre
auf Geld und Geldeswert, aber da die Familie in
Bernau immer den regsten Anteil an Peters Herzens-
angelegenheiten nahm und sozusagen seine Liebschaften
in all ihren Stadien mit durchlebte, so kam es ganz
von selber, daß auch die Vcrmögensverhältnisse der in
Peters Gesichtskreis tretenden jungen Mädchen be-
sprochen wurden.
Wenn Peter ins Geschäft kam, begrüßte er immer
zuerst vorn die niedliche Bäckertochter durch die Laden-
thür und dann, über den Hof gehend, Trudchen Belling-
haus durch das breite Comptvirfenster. Uud in jedem
Fall bekam er freundliche, vielsagende Gegengrüße. Es
kitzelte ihn förmlich, diese „zwei Figuren an der Strippe
zu haben", wie er sich vor sich selbst ausdrückte. Aber
fn diesem Zustande lag schon die Gefahr des Zwie-
spaltes.

Illu strikte Melt.

Eines Tages erschien die Bäckertochter zu Peters
größter Freude im Laden. „Sie kann's schon gar
nicht mehr ohne dich aushalten!" sagte er sich mit
innerem Frohlocken. Sie verlangte eine Gedichtsamm-
lung, die sich betitelte „Liebesleid und Lust", um sie
einer Freundin zum Geburtstag zu schenken.
„Es werden also doch noch Bücher gekauft," säuselte
Peter mit freundlich lächelndem Munde und wickelte
nicht „Liebeslust und Leid", sondern ein ähnlich ge-
bundenes Werk gleichen Umfanges, das sich betitelte
„Die erste Hilfe bei Unglücksfällen" ein. Die Bäcker-
tochter war, als sie bald darauf im Laden des Vaters
unbeobachtet ein wenig in dem Werke blättern wollte,
nicht sehr erbaut davon, daß Peter die Liebe zu den
Unglücksfällen zu rechnen schien. Am nächsten Morgen,
da Peter gerade in den Thorweg getreten war, eilte sie
ihm nach, um ihm das falsche Buch gleich zurück-
zugeben, — aber sie blieb wie gebannt stehen, denn
sie sah Peter, wie er soeben in das Comptoirfenster
so ausfallend zuvorkommend hereingrüßte und wie
dieser Gruß so auffallend zuvorkommend, man konnte
geradezu sagen: vertraulich! erwidert wurde...
Lieschen weinte mehrere Taschentücher naß, wurde
ungemein melancholisch, und wenn die Zeit kam, da
Peter am Bäckerladen Vorbeigehen mußte, zog sie sich
in die letzte Ecke zurück.
Peter fiel dies natürlich ans. Aber was war das?
Trudchen Bellinghaus wurde Plötzlich sehr spitz in ihren
Reden, umging mit Hartnäckigkeit jedes Gespräch über
Peters Dichtungen und wurde nach des letzteren
Meinung sichtlich älter. Eine Ahnung dämmerte in
Peter auf, als er bemerkte, daß die beiden Mädchen
Freundschaft geschlossen hatten.
Seine geschäftlichen Obliegenheiten erfüllte Peter
nun mit größerer Unlust als je. Er kam sehr oft zu
spät, war gleichgültig und schlechter Laune. Herr
Bellinghaus fühlte sich veranlaßt, ihn eines Tages
ernstlich zur Rede zu stellen.
„Sagen Sie mal, Herr Flott, was ist eigentlich
mit Ihnen los? Ich mnß es Ihnen doch einmal
sagen, daß das nicht so weitergehen kann. Sie legen
es ja geradezu darauf an, sich Ihre Stellung zu ver-
scherzen. Ich spreche nicht nur von jetzt. Aber in
jeder andern Stellung würde es dasselbe sein . . ."
Peter schlug die Äugen nieder und sagte gar nichts.
„Oder wollen Sie umsatteln? Federfuchser werden?"
„Ich habe allerdings hin und wieder daran ge-
dacht, später mich der Schriftstelleret zu widmen.'. .
Falls ich Erfolge haben sollte.. ."
„Da haben wir's!" Herr Bellinghaus legte die
Hände auf den Rücken und ging im Laden auf und
ab. „Also Sie wollen einen sicheren Boden verlassen,
der die Grundlage für eine sorgenfreie Existenz ab-
geben kann, und sich auf allerlei Luftschlösser hin ins
Ungewisse stürzen! Na ja! Sie sind nicht der einzige,
leider! der sich durch ein Paar flüchtige Erfolge als
Gelegenheitsdichter — Erfolge bei Verwandten und
Freunden — den Kopf verdrehen läßt! Ja, ja. Sie
lächeln! Ich habe Leute gekannt, die wirklich be-
deutendes Talent hatten — was bei Ihnen doch noch
nicht bewiesen ist — und die doch nicht vorwärts
kamen. Was wollen Sie denn anfangen, wenn Sie
einmal aus Ihrem Beruf heraus sind, nicht zurück-
mögen und nicht vorwärts können? Redakteur werden?
Die großen Stellen sind dünn gesäet und wären Ihnen
Wohl kaum zugänglich. Und die andern? Jammer-
löhne bei aufreibender Existenz! Mensch, Sie wissen
ja gar nicht, wie gut Sie es haben! Oder" — Herr
Bellinghaus lächelte spöttisch — „wollen Sie von den
Geburtstagsgedichten leben, die Sie Ihren Eltern und
jungen Damen machen? .Ernst und Scherz, auf jedem
Gebiet das Beste', wie da einer immer anzeigt . . .
Lockt Sie das vielleicht? Ein Litteraturbureau er-
richten, in dem Trauer- und Hochzeitsgedichte nach
dem Metermaß verzapft werden? Wie? . . ."
Peter nahm eine sehr ernste, fast abweisende
Miene an. „Ich schreibe auch Erzählendes und fürs
Theater —"
„Na, wenn Sie's man nicht bloß für sich schreiben!
Nehmen Sie mir das nicht übel, ich weiß ja, daß Sie
ein offener Kopf sind, der viel Phantasie hat — manch-
mal zn viel — aber Sie kennen meine Änschauungen
über die ganze Dichterei von heutzutage —"
„Ich glaube, Herr Bellinghaus —"
„Das ist ja das Schlimme, Herr Flott, daß Sie
noch glauben, daß Sie diese schwärmerischen Ideen
haben! Schade — ich würde Sie ganz gern behalten.
Sie passen fürs Geschäft nicht übel, wenn Sie nur
nicht immer diese Dichterei rm Kopf hätten. Ihr Un-
glück ist, daß Sie nicht Soldat geworden sind, — Herz-
fehler, na ja, das wär' wohl so schlimm nicht ge-
wesen ... ja, wenn Sie Ihre Pläne von Dichterglück
und Dichterrnhm endlich einmal ansgeben wollten,
dann ließe sich ja hoffen .. ."
„Die Menschen sind verschieden," warf Peter ein.
„Ich bin eine Künstlernatur." Seine Worte rollten
in erhabenem Schwünge dahin „Niemals wird es
möglich sein, den Sinn für die Dichtkunst aus meiner

23

Seele zu reißen, und nie werde ich zu streben auf-
hören, solange mir das Leben bleibt!"
Herr Bellinghaus klopfte ihn auf die Schulter.
„Na ja, Herr Flott, machen Sie, wie Sie wollen!"
Und damit ging er ins Comptoir. —
Nur vierzehn Tage später war cs, da hielt Peter
das Kündigungsschreiben des Herrn Bellinghaus in
der Hand. Er war verblüfft, das hatte er nicht er-
wartet, so schnell noch nicht. Doch schon während er
§ das Schreiben in die Tasche, steckte, da kam ein andrer,
froherer Gedanke: .Frei! Ich werde frei sein!'
Und als er am letzten Tage die Buchhandlung ver-
ließ, nicht ohne noch einen heftigen Redestrauß mit
Herrn Bellinghaus bestanden zu haben, worin er mit
fühlbarer Anspielung betonte, daß er eben nicht wie
andre Leute ein Philister sei, — und als er nun
auf die Straße trat, da jubelte es in ihm wie nach
langem Gefängnis. Frei war er von all den Banden,
die seine nach dem Lichte strebende Seele bisher ge-
fangen gehalten hatten. Und rosig wie ein junges
Mädchen schwebte eine wunderbare Zukunft ihm vor.
Und das Leben brauste an ihm vorüber, das un-
erschöpfliche Leben. Wie schön, wie herrlich!
Ob vielleicht in späterer Zeit die Litteratnrsorscher
von diesem seinem Gang durch die Straßen einen
neuen Abschnitt seiner geistigen Entwicklung herrechnen
Würden? Schon möglich! . . .
5. Vetcr tritt in die Vrcffc ein.
Es verging einige Zeit, bis Peter ein Unterkommen
nach seinem Sinne erhielt. Manches Mal waren ihn:
in dieser Wartezeit die Mahlzeiten knapp zugeniessen.
Die Redaktion des „Nesidenzblattes" öffnete ihm schließ-
lich ihre Pforten.
Der neue Volontär wurde auf seine Meldung hin
von einem Laufburschen in ein großes Zimmer ge-
führt. Zuerst sah er niemand, doch bei genauerem
Hinschauen bemerkte er jenseits des doppelten Diplo-
matenschreibtisches, halb verdeckt von einem vor ihm
stehenden Bücherbort und tief über die Arbeit gebeugt,
einen runden Körper, auf dem ein dicker Kopf mit
kurzem, schwarzem, wolligem Haar saß.
Eine Weile noch blieb der Betreffende in derselben
Stellung, dann erhob er den Kopf. Ein paar scharfe,
dunkle Augen blickten Peter an. Der Mann war noch
jung. Ein kleiner schwarzer Schnurrbart saß ziemlich
ungepflegt auf seiner Oberlippe.
„Äh — treten Sie näher," sagte der Herr.
Nun trat Peter einige Schritte näher.
„Habe ich die Ehre, Herrn Chefredakteur Sittig-
mann —"
„Sei'n Sie willkommen," fuhr Sittigmann fort.
„Herr Flott, nicht wahr?"
„Mein Name ist Flott."
Der Chefredakteur schien sehr wenig Zeit zu haben,
denn er blieb immer noch sitzen.
„Sie waren schon in der Presse thätig?" fragte er.
„Ich habe für einige Blätter geschrieben," er-
widerte Peter nicht ohne Stolz. „In einer Redaktion
habe ich allerdings noch nicht gearbeitet, doch glaube
ich sagen zu können —" Peter wiegte den Kopf zur
Seite, „daß ich mich für diese Thätigkeit eigne."
„Daran zweifle ich gar nicht," meinte der andre
und erhob sich jetzt, mit großem Geräusch. Die Hände
zur Hälfte in den Hosentaschen, schritt er im Zimmer
auf und ab. Seinen Schritt hörte man kaum, da er
sehr leichte lederne Hausschuhe trug. Ferner trug er
über dunkeln, eleganten Beinkleidern ein schwarzes
Jackett.
„Sie werden sich sehr schnell einarbeiten. Für einen
intelligenten Menschen ist das überhaupt nicht schwer.
Ich brauche nur jemand auzusehen, um zu wissen,
wes Geistes Kind er ist. Sehen Sie mich an. Ich
bin neunundzwanzig Jahre. Na? Und? Allerdings
verdanke ich meine einflußreiche Stellung dem Umstand,
daß ich das Blatt sozusagen — das heißt geistig
und moralisch, besonders auch moralisch — selbst ge-
gründet und in Schwung gebracht habe. Das hat
freilich Arbeit gekostet. Ich habe eine große Arbeits-
kraft. Wie alt sind Sie?"
„Dreiundzwanzig," bemerkte Peter etwas schüchtern
und setzte dann eifrig hinzu: „aber ich werde bald
vierundzwanzig."
„Das beste Alter, um in einem Berns festen Fuß
zu fassen. Sie werden mir in allem etwas an die
Hand gehen, verstehen Sie? Meinen vorigen Sekretär
mußte ich leider entlassen, ein sehr brauchbarer Mensch,
aber zn liederlich. Sie sehen mir solider aus. Folgen
Sie nur pünktlich meinen Anweisungen, dann kann
Ihnen der Erfolg nicht fehlen."
„Ich werde mich in allem bemühen —"
„Sie werden zum Beispiel die auswärtigen Blätter
lesen und mir Auszüge daraus machen. Sie beherrschen
doch das Französische vollkommen?"
„Ich denke," wagte Peter zu antworten.
„Nun also! Auch das Englische?"
„Ein wenig."
„Desto besser. Ich kann nicht alles machen. Sie
 
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